Was heißt "Ein Autogramm, bitte?" eigentlich auf spanisch? Kann ja nicht so schwer sein, ist aber auch nicht so einfach. Der Google-Übersetzer nuschelt. "Unautografo, por favor?", "Unauto grafo, porfa vor?". Ich muss das wissen.
Die Sportredaktion will, dass ich versuche, ein Autogramm von Lionel Messi zu bekommen und dann darüber schreibe. Weil der beste Fußballer der Welt ja nicht jeden Tag in die Stadt kommt und es doch sicher lustig wäre und so weiter. Als wäre dieser Auftrag nicht schon affig genug, möchte ich nicht einer von Tausenden sein, die "Messiiiiiii" brüllen. Ich will nicht herumspringen, drängeln und schubsen, nur um an die Unterschrift eines Menschen zu kommen. Das ist was für Groupies. Ich hasse Groupies.
Ich möchte durch Fremdsprachenkenntnisse überzeugen, aber der Roboter nuschelt weiter. Langsam wird die Zeit knapp. Die Uefa hält die genaue Ankunftszeit der Finalteams aus Sicherheitsgründen unter Verschluss. Nur so viel ist klar: Irgendwann am frühen Freitagnachmittag soll Messi mit seinen Kollegen im Grand Hyatt einchecken. Niemand weiß, welches Gate die Mannschaft am Flughafen nutzt, das abendliche Abschlusstraining findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und für Abseilaktionen à la Mission Impossible bin ich zu dick. Vor dem Hotel ist also die einzige Gelegenheit. Aber ich werde dort sicher nicht der Einzige sein. Ich brauche Rat.
Ein Spongebob-Plastikball als WaffeIch greife zum Handy und tippe. "Mama, warst du irgendwann mal Groupie von irgendwem oder irgendwas?" Meine Mutter ist während der Beatlemania aufgewachsen, da muss doch was hängengeblieben sein. "Nee, wirklich nicht. Kenne auch niemanden." Wie kann sie es wagen, ich habe ihr gezeigt, was WhatsApp überhaupt ist! Nicht der letzte Schlag, den mein Ego heute noch einstecken müssen wird. Schließlich habe ich meinen Heureka-Moment, ganz ohne Badewanne.
Ich suche mir einen Gegenstand, auf dem Messi unterschreiben soll. Eine freundliche Bitte auf Roboter-Spanisch würde im Gekreische der anderen untergehen. Ein optischer Reiz muss es also sein, aber welcher? Brüste? Sind im Ansatz vorhanden, könnten in meinem Fall aber eher abschrecken. Ein Trikot der argentinischen Nationalmannschaft? Zu teuer. Aber im nächsten Einkaufszentrum entdecke ich einen quietschgelben Plastikball, der das Konterfei von Spongebob Schwammkopf trägt, sogar gleich zweimal. Er fällt auf, ist ironisch (wir sind schließlich in Berlin) und ein Ball. Die Kassiererin zieht die rechte Augenbraue hoch, als ich ihr einen Fünf-Euro-Schein reiche. "Da wird sich mein Neffe sicher freuen", erkläre ich ihr. Sie wechselt die Augenbraue.
Um 12 Uhr ist vor dem Hotel schon einiges los. Vielleicht 100 Fans haben sich um den Eingangsbereich versammelt. Sie stehen sich vor brusthohen Absperrgittern gegenüber und bilden eine zehn Meter lange Schneise. Etwa ein Dutzend Polizeibeamte und genauso viele Kameraleute schenken ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Die vordersten Plätze sind bereits besetzt, aber da, auf der linken Seite ist relativ mittig ein Platz in der zweiten Reihe frei. Das ist der Platz für Messi und den Schwammkopf-Ball.
Gespräche wie in KnastfilmenWir warten. Zeit, um die Konkurrenz abzuchecken. Die meisten sehen aus, wie man sich Fußballfans vorstellt: männlich, zwischen 20 und 50, Trikot. Hier und da findet sich ein Grüppchen von Jugendlichen, die für Barca die Schule schwänzen. Auf der anderen Seite stehen drei Mädchen, vielleicht 13 Jahre alt. Der Blick aufs Smartphone wird nur zum Kollektiv-Kichern unterbrochen. Eine von ihnen hält ein Plakat in der Hand. Darauf hat sie ausgeschnittene Köpfe von Neymar geklebt, in der Mitte funkelt sein Name in Regenbogenfarben.
Zwischendurch will immer wieder jemand den Mannschaftsbus oder gar einen Spieler entdeckt haben. Fehlalarm. Ständig werden Informationen über den aktuellen Verbleib des FC Barcelona ausgetauscht. Auf Twitter liest einer, dass der Flieger in Spanien abgehoben sei. Die BZ habe geschrieben, dass er gelandet sei. Mittagshitze und Langeweile schweißen zusammen, Gespräche entstehen. Gespräche wie in Knastfilmen. "Wie lange bist du hier?" und "Warum bist du hier?" sind die häufigsten Fragen, jedenfalls bei den anderen. Mich fragen die Leute zuerst, was ich mit dem bescheuerten Ball will. Ich erzähle von meinem Neffen, als mich eine eindringliche Stimme unterbricht.
"Ey, woher hast du den Marker?", ruft mir ein Mann aus der ersten Reihe auf Englisch zu. Er steht etwas weiter weg, ist etwa 1,70 Meter groß, gebräunt, trägt Sonnenbrille und ein kariertes Hemd. "Den habe ich mitgebracht", sage ich. "Wollen wir ihn uns teilen? Dann lasse ich dich neben mich in die erste Reihe." Jackpot. Als ich einwillige, nickt er seinem Nachbarn zu, der sich prompt zur Seite schiebt. Wie sich herausstellt, gehören sie und drei weitere Männer zusammen.
Ich bin jetzt Teil einer lateinamerikanischen GangMein Geschäftspartner heißt Nestor. Er und seine Freunde sind für das Finale extra aus Guatemala angereist, die Flagge ihrer Heimat hängt über der Absperrung vor ihnen. Ich bin jetzt Teil einer lateinamerikanischen Gang, wieder wie im Knastfilm. Nur habe ich mich mit einem Filzstift eingekauft, statt mit Zigaretten. Auf welchen Spieler er es besonders abgesehen hat, frage ich Nestor. "Ist mir eigentlich egal, ich bin Fan von Manchester United."
Inzwischen ist es 14 Uhr. Seit zwei Stunden stehe ich in der prallen Mittagssonne, die Wetter-App sagt 28 Grad. Fast fange ich an zu dösen. Die Presse nutzt die Zeit, um Schnittbilder zu schießen. Die Fans johlen: "Messi!", "Neymar!", "Suárez!". Nestor pfeift ab und zu einer Hotelangestellten hinterher, die eigentlich schon genug mit ihren Absätzen zu kämpfen hat.