Jaron Lanier
Wem gehört die Zukunft?
UT: Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.
Aus dem amerikanischen Englisch von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer
Hoffmann und Campe
480 Seiten
(D) 24,99 Euro
(Anmoderation)
Ein Buch auf Papier über das Internet, geschrieben vom Erfinder der virtuellen Realität - das wirkt auf den ersten Blick paradox. Aber Jaron Laniers Text ist schon ganz richtig gelandet in dieser Form, denn er richtet sich an uns.
An uns Freunde des Papierbuchs, die wir das Internet ein wenig skeptisch beäugen. Vielleicht sind wir zwar ungefähr so alt wie der Autor, nämlich 53, fanden aber in den 1970er Jahren, als er anfing mit dem Programmieren, die analoge Wirklichkeit ausreichend faszinierend und hatten damals keinen Schimmer von einer heraufdämmernden globalen Netzökonomie.
Aber nun ist sie da. Und Lanier findet den Weg, den sie eingeschlagen hat, dringend korrekturbedürftig. Das hat er bereits 2010 mit dem Buch „You are not a Gadget“ deutlich gemacht. Nun legt er – grundsätzlicher – noch einmal nach. „Wem gehört die Zukunft?“ hat Lanier 2013 geschrieben, allerdings bevor Edward Snowden die Zusammenarbeit zwischen den großen Serverfirmen und dem amerikanischen Geheimdienst enthüllte. Umso drängender nun Laniers Frage: „Wem gehört die Zukunft?“
Brigitte Neumann hat sein Buch gelesen.
Jaron Lanier gesteht es gleich: Er hat maßgeblich daran mitgewirkt, genau die Internetstrukturen aufzubauen, gegen die er heute ankämpft. Denn sie drohen zu engleisen mit – wie er findet - schlimmen Folgen für Leben und Auskommen der Menschen.
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„Gängige digitale Konzepte behandeln Menschen nicht als etwas Besonderes. Wir werden vielmehr als kleine Rädchen in einer gigantischen Informationsmaschine betrachtet. Dabei sind wir die einzigen Lieferanten der Informationen und gleichzeitig ihr Bestimmungsort. Das heißt, wir geben der Maschine überhaupt erst ihren Sinn.“
Das Netz, so viel dürfte auch den größten Enthusiasten inzwischen klar sein, ist weder offen noch frei. Es ist ein Raum, der sich ideal für Tracking, Spionage und Überwachung eignet, viel besser als die analoge Welt. Außerdem ist es eine gigantische Marketing- und Verkaufsmaschine mit Vorteilen für die Besitzer der Megaserver Apple, Amazon, Google, E-Bay, Facebook zum Beispiel. Wer sich vor all dem schützen will, darf das Internet nicht betreten. Aber das ist wohl nur noch für Wenige eine Option.
Die meisten Menschen seien heute abhängig von Netzdiensten, die – sobald sie eine kritische Größe erreichten – quasi ein Monopol hätten, schreibt Lanier. Wer mit möglichst vielen Leuten in Kontakt kommen wolle, dem bliebe nur Facebook, das mit 1,2 Milliarden Nutzern größte soziale Netzwerk.
Zitat
„In einer Welt der digitalen Würde wäre jeder einzelne Mensch der kommerzielle Eigentümer aller seiner Daten, die sich aus seiner Situation oder seinem Verhalten ermitteln lassen.“
Lanier schlägt vor, das Internet mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: Kopieren von Daten nur noch mit Angabe der Quelle, wie es Wikipedia bereits vormacht, wo jeder Artikel seine Versionsgeschichte angibt. Damit am Ende jeder Nutzer für die Eingabe seiner Informationen, Filme und Fotos entlohnt werden könne – mit Mikropayments.
Und: Lanier, der unter anderem als Berater der Firma Microsoft arbeitet, weist darauf hin, dass Online-Imperien auch deshalb so rasant wachsen, weil sie keine Verantwortung für das übernehmen, was sich auf ihren Plattformen abspielt. Der Privatzimmermakler Airbnb, der die Hotelerie weltweit in Bedrängnis bringt, haftet nicht, wenn ein Gast die Wohnung seines Gastgebers zerstört. Und tatsächlich: Die Geschäftsbedingungen künden – nicht nur bei Airbnb - von umfassender Rechtlosigkeit des Kunden.
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„Im Grunde wurde ein globaler Risikopool geschaffen, bei dem alle für das Risiko aufkommen müssen, doch der Server, der im Pool die Erfolge herausfiltert, befindet sich in Privatbesitz. Die Gewinne werden privatisiert, die Risiken sozialisiert. Das Erfolgs- Muster der vernetzten Finanzwelt.“
Und das ist noch nicht alles. Jaron Lanier geht von einer massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen aus - durch Big Data, Künstliche Intelligenz und die großen Serverfirmen. Er schreibt, so viel könne man im Netz gar nicht sparen wie dort Einkommen vernichtet werde. Der Kapitalismus sei ernsthaft bedroht, wenn sich ein feudalistisches System ausbreite, das die Märkte schrumpfen ließe.
Und dann führt er unter vielen Beispielen auch das von Kodak an. 100 000 Mitarbeiter wurden arbeitslos, als die User massenhaft die kostenlose Instagram App auf ihr Handy luden. Mit ihrer Hilfe kann man fotografieren, die Bilder bearbeiten und gleich verschicken. Das passiert täglich 55 Millionen Mal weltweit. Instagram hatte 13 Mitarbeiter, als es 2012 von Facebook übernommen wurde.
Das Buch „Wem gehört die Zukunft“ von Jaron Lanier ist so wichtig wie das nur wenige Sachbücher von sich behaupten können. Denn im Moment eines großen Wandels, verstehen die Wenigsten, was eigentlich vor sich geht. Jaron Lanier nutzt seine Kenntnisse und Erfahrungen – er ist Erfinder, Informatiker, Musiker – um uns etwas mehr Überblick zu verschaffen. Nun ist das Buch keine leichte Lektüre. Trotzdem: Jaron Lanier, der bekennende Netzeuphoriker, der Außenseiter unter den Denkern in Silicon Valley, tut etwas sehr Wichtiges: Er fragt nach den gesellschaftlichen Kosten des technologischen Fortschritts. Wer gewinnt, womit und wer verliert? Welches Menschenbild haben die Chefs der großen Internet-Firmen? Was treibt sie an? Wieso kooperieren Politik und Wirtschaft im Stammland des Internets so überaus harmonisch?
Von den alten Griechen haben wir gelernt, die Welt zu analysieren und zu diskutieren. Und es gibt wirklich keinen Grund, ausgerechnet jetzt damit aufzuhören.
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