Mit Mitte dreißig fragte sich Bentje Lefers immer häufiger nach der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Sie hatte studiert, im Ausland gearbeitet, schnell Karriere gemacht. Doch jetzt wünschte sie sich, der Berufsalltag hielte größere Herausforderungen für sie bereit. Lefers sehnte sich nach Weiterentwicklung. Noch mal studieren kam aber nicht infrage, eine neue Fremdsprache zu lernen wäre ihr dagegen zu wenig gewesen.
Stattdessen entschied sich Lefers, Programmieren zu lernen. Aus gutem Grund: Code gilt als die universelle Sprache der Zukunft. Die Welt wird immer digitaler, künstliche Intelligenz hält Einzug in unseren Alltag. „Ich will die dahinterliegenden Strukturen verstehen und damit mündiger mit der Digitalisierung umgehen können", beschreibt die 36-Jährige ihre Motivation. Doch kann man das Programmieren überhaupt lernen - so ganz ohne Informatikstudium?
Coden lernen war noch nie so leichtDie erfreuliche Antwort: Es geht. Tatsächlich war es noch nie leichter, eine Programmiersprache zu lernen. Im Netz gibt es ungezählte Onlinekurse, Video-Tutorials und Bücher zu diesem Thema. Eine der bekanntesten Anlaufstellen für Einsteiger ist dabei Codeacademy. Angeboten werden zahlreiche Kurse mit Übungen und Beispielen zu Programmiersprachen wie HTML, CSS, Ruby oder Python. Die meisten davon sind kostenlos. 29 US-Dollar pro Monat kosten dagegen die Onlinekurse bei Code Avengers. Dafür enden die Einheiten mit einem Lernspiel, das das neue IT-Wissen spielerisch abfragt. Der Fokus liegt auf dem Programmieren von Websites, Apps oder kleineren Spielen. Direkt aus dem Silicon Valley stammt das Bildungsportal Udacity. Es bietet ebenfalls zahlreiche kostenlose Kurse an - zum Beispiel mit Basiswissen zur Apple-Programmiersprache Swift. Doch alle diese Angebote haben einen Nachteil: Man braucht viel Eigenmotivation und Durchhaltevermögen, um wirklich am Ball zu bleiben.
Der Austausch liefert Impulse und ZuspruchAuch Lefers startet auf eigene Faust, liest Bücher über das Coden, meldet sich bei verschiedenen Onlinekursen an. Abends nach der Arbeit und am Wochenende lernt sie so Java Script, versucht sich mit HTML und CSS, den Sprachen für die Entwicklung von Webseiten. Außerdem erhält sie ein Udacity-Stipendium für IT-affine Frauen und beschäftigt sich dabei mit der Programmiersprache Python und künstlicher Intelligenz.
Doch ganz zufrieden war sie damit nicht: „Fürs reine Onlinelernen muss man gemacht sein. Mir fehlte der Austausch mit anderen programmier-interessierten Menschen", erzählt sie. Deshalb besucht Lefers zusätzlich Konferenzen und Stammtische. Hier kann sie ihre Fragen stellen, über Lernhürden diskutieren, bekommt neue Impulse und Zuspruch.
Der ist manchmal auch bitter nötig, das Lernen einer Programmiersprache ist kein Selbstläufer. Wie bei einer Fremdsprache muss man dabeibleiben, das Wissen anwenden, „Vokabeln" und „Grammatik" üben. Weil das in der Lerngruppe leichter funktioniert als allein, haben sich in vielen Städten Code-Initiativen gegründet.
Auch „dumme" Fragen sind erlaubtSo wie die „Code Girls" aus Leipzig. Hier können Frauen gemeinsam und kostenlos das Programmieren lernen - in einem Umfeld, das Spaß mache und auch die „dümmsten" Fragen zulasse, sagt Natalie Sontopski, eine der beiden Gründerinnen der „Code Girls". Denn leider sei gerade bei Frauen die Scheu vor Algorithmen und Quellcodes hoch. Das wollen die „Code Girls" ändern.
„Ich bin überzeugt, dass Coden irgendwann zu einer Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben wird. Ohne ein Grundverständnis für das ‚Wie' kann man die digitale Welt nur schwer mitgestalten", erklärt Sontopski. Sie und ihre Mitgründerin Julia Hoffmann sind beide auch keine Entwicklerinnen - sondern Geisteswissenschaftlerinnen. Doch ein Vortrag der bekannten Programmiererinnen-Gruppe „Rails Girls" motivierte die beiden Freundinnen, selbst aktiv zu werden und eigene Kurse zu veranstalten. Dabei geht es etwa um den Bau einer Homepage, das Grundverständnis für die Funktionsweise von Algorithmen, das Lesen von Quellcodes.
Code-Kentnisse sind wichtiger als AbschlüsseDie Motivation der Teilnehmerinnen ist dabei ganz unterschiedlich. Manche wollen „nur" etwas mehr über das Programmieren lernen, andere planen sogar einen IT-Quereinstieg. Die Chancen dafür stehen gut. Laut Digitalverband Bitkom gibt es rund 82 000 freie Stellen für IT-Spezialisten. Code-Kenntnisse und Lernbereitschaft sind in Zeiten des Fachkräftemangels längst wichtiger als Abschlüsse oder Titel.
Auch für Bentje Lefers hat sich das Engagement gelohnt. Ihren alten Job im Vertrieb gab sie auf. Heute gehört sie zum Führungsteam der Haba Digitalwerkstätten. In den Schülerlaboren können Kinder spielerisch Programmieren lernen - mit bunten Robotern oder Stop-Motion-Filmen. Außerdem gibt es Fortbildungen für Pädagogen und Eltern. „Ich helfe hier Kindern und Erwachsenen dabei, digitale Mündigkeit zu erlangen und besser die Prozesse der Digitalisierung zu verstehen. Das ist genau die Sinnhaftigkeit, die mir bei meinem letzten Job fehlte", erklärt Lefers. Ohne die eigene Auseinandersetzung mit Programmiersprache hätte sie diese Aufgabe vermutlich nie für sich entdeckt.
Von Birk Grüling/RND