Alain Platel und Frank Van Laecke bringen mit „En Avant, Marche!“ Schmerz, Witz und Marschmusik ins Festspielhaus St. Pölten.
Ein alter Mann setzt sich bedächtig auf einen Stuhl. In der Hand hält er ein Schlaginstrument. Wie einen Schatz legt er dieses behutsam auf den Boden. Im Hintergrund läuft melancholische Musik von einer CD. Er leidet. Doch die Liebe zur Musik lässt ihn zum Instrument greifen. Zum musikalischen Höhepunkt schlägt er die Handzimbeln klangvoll aneinander.
Stimmungswechsel charakterisieren „En Avant, Marche!“ unter der Regie von Alain Platel und Frank Van Laecke. Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Performance der Tanzcompanie les ballets C de la B und des Genter Stadttheaters wechselnde Gefühlswelten. Melancholischen Momenten, musikalisch passend untermauert von Blasmusik-Klängen der Stadtkapelle Tulln, folgen aberwitzige Augenblicke. So wird eine in festliche Uniformen gekleidete Kapelle vom Chaos und ausgelassenen Orgien übermannt. Die Jacken fallen und Unterwäsche oder ein nackter Männeroberkörper kommen zum Vorschein. Da ist man zunächst ratlos. Bei genauerem Hinhören und Hinsehen wird man mit des Rätsels Lösung belohnt. In einem Sprachenmix, unter anderem Deutsch, Englisch, Französisch und Flämisch, gibt der Protagonist Einblicke in seine zwiespältige Gefühlswelt. „La morte è passata“ – „Der Tod ist vorbeigekommen“, zitiert er aus Luigi Pirandellos Stück „L’uomo dal fiore in bocca“ und thematisiert damit seinen Zustand. Wie eine beschwörende Warnformel kommt der Satz „Man darf nie aufhören zu spielen“ von seinen Lippen, sobald die Kapelle verstummen will. Eine schwere Krankheit habe ihn gezwungen, sich von seiner großen Liebe, der Posaune, zu verabschieden. Seinen Schmerz vermag er im nächsten Moment mit sexistischen Bemerkungen geschickt zu übertünchen. Doch als eine Schauspielerin im goldenen Kleid ihm mit einem einfachen „Ich hab dich lieb“ antwortet, bröckelt die Fassade. Die Angst vor Nähe, vor dem Tod – die Verwundbarkeit des alten Musikers wird mit einer simplen, aber doch so wirkungsvollen Geste offengelegt.
Alain Platel und die Stadtkapelle Tulln – eine seltsame Kombination mag man auf den ersten Blick denken. Doch nach rund eineinhalb Stunden ist man überzeugt: Eine besseres Zusammenspiel hätte es kaum geben können.
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