Michael Weigl: Das Ergebnis der Bundestagswahl ist für die CSU eine Katastrophe. Nicht nur, weil es das schlechteste Ergebnis seit 1949 ist, sondern weil sich damit eine äußerst prekäre Situation für die CSU für die Landtagswahl im nächsten Jahr ergibt. Wahlen werden durch unentschlossene Wähler entschieden, die sich kurzfristig entscheiden. Aber auch Stimmungen, die schon sehr viel früher gelegt worden sind, spielen eine wichtige Rolle, das haben wir jetzt bei der Bundestagswahl gesehen. Die CSU geht also in ihren Wahlkampf mit dem Image des Verlierers, und auch Horst Seehofer gilt jetzt als derjenige, der Wahlen nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren kann. Die CSU muss sich jetzt überlegen, wie sie in den nächsten Monaten die Stimmung drehen kann. Und vor allem muss sie versuchen, die Wähler des bürgerlichen Lagers wieder an sich zu binden.
Inwieweit wird die interne Debatte der CSU auch die Koalitionsgespräche für Jamaika beeinflussen?Es wird die Gespräche massiv beeinflussen, wir wissen nur noch nicht, in welche Richtung. Richtig - und das hat Seehofer auch gesagt - ist: Die CSU ist im Bund nur so stark, wie sie geschlossen in Bayern auftritt. Das war auch immer der Grund für die Vorsitzenden und Ministerpräsidenten, Geschlossenheit einzufordern. Das ist jetzt schon durch die Debatte ein Stück weit beschädigt worden. Hinzu kommt die Frage, wie die CSU inhaltlich auftreten möchte. Auf der einen Seite muss die Partei ihr konservatives Profil schärfen, ich spreche bewusst nicht von der rechten Flanke. Auf der anderen Seite kämpft sie bei der Landtagswahl nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen FDP und die Freien Wähler. Das wird die Koalitionsgespräche in Berlin massiv beeinflussen, denn die CSU wird versuchen, hier ihre eigenen Positionen durchzubringen.
Andere Parteien haben bereits durchscheinen lassen, dass es mit ihnen keine Obergrenze für Flüchtlinge geben wird. Die CSU hat dies allerdings zur Bedingung gemacht. Glauben Sie, die CSU geht am Ende lieber einen Kompromiss ein, um mitregieren zu können, oder spaltet sie sich von der CDU ab, um ihr Gesicht in Bayern wahren zu können?Es sind seltsame Zeiten, in denen viel passieren kann. Aber eine Abspaltung von der CDU wäre für die CSU eine politische Katastrophe. Das kann sie sich eigentlich überhaupt nicht erlauben. Denn das wäre der Anfang vom Untergang der CSU. Das ist der Partei auch sehr bewusst. Das sind Drohungen, die mal schärfer und mal subtiler formuliert sind. De facto wissen aber alle, dass sie auf diese Fraktionsgemeinschaft im Bund angewiesen sind. Sie müssen zusammenarbeiten und auch zusammen den Erfolg suchen.
Also wird es letztendlich einen Kompromiss geben?Ja. Die Latte für die Koalitionsverhandlungen hängt natürlich hoch, aber sie werden einen Kompromiss finden. Aus dem müssen dann alle Parteien möglichst gesichtswahrend hervorgehen. Allerdings wird das sehr schwer werden.
Derzeit sprechen viele Politiker davon, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Wie geschickt ist es von Seehofer, die Debatte um ihn aber auch um die Zukunft der CSU auf den Parteitag im November schieben zu wollen?Das ist der Versuch, der Debatte aus dem Weg zu gehen. In zwei Monaten ist personell schon vieles entschieden. Aber auch die inhaltlichen Fragen sind dann nicht mehr die gleichen wie zum jetzigen Zeitpunkt. Die Koalitionsverhandlungen sind dann in vollem Gange. Da darf sich die CSU dann erst recht nicht erlauben, den eigenen Vorsitzenden zu schwächen. Es ist also der Versuch, das Ganze in eine Arena zu schieben, die praktisch keinen Widerspruch zulässt.
Was schätzen Sie, was auf dem Parteitag passieren könnte?CSU-Parteitage waren noch nie der Ort für die große Debatte. Die wird innerhalb der Partei auf anderen Wegen geführt. Parteitage sind dazu da, Geschlossenheit und Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Das ist im Gen der Partei. Es könnte in diesem Jahr ungemütlicher werden, aber eine Revolution können wir da wohl nicht erwarten.
Wie diszipliniert ist die CSU in Personalfragen?Die CSU ist, was Personalfragen angeht, in der Regel schon diszipliniert. Sie führt diese Debatten nicht voreilig. Wenn die Landtagsabgeordneten jedoch merken, dass es um ihre Existenz, also um die absolute Mehrheit und Mandate im bayerischen Landtag geht, kann diese Debatte mit aller Wucht ausbrechen. Und dann wird sie öffentlich, relativ kurz und mit vielen Schmerzen geführt. Das ist der klassische CSU-Stil. Ich glaube aber nicht, dass es dieses Mal so sein wird. Die Debatte um die Person wird auch relativ schnell wieder abebben.
Könnte Seehofer nicht doch ein Abgang wie Edmund Stoiber 2007 drohen?Es gibt zwei Gründe, warum es nicht so kommen wird. Zum einen hat es Seehofer geschafft, die Partei so aufzustellen, dass es de facto sehr schwierig ist, eine Mehrheit gegen ihn zu organisieren. Außerdem hat er noch ein großes Unterstützerlager. Natürlich ist er massiv unter Druck geraten, weil sein Image angekratzt ist. Die CSU wollte mit ihm als herausragenden und erfahrenen Ministerpräsidenten bei der Wahl für Stabilität stehen. Die Frage ist jetzt, ob es der Partei etwas bringt, wenn sie ein Jahr vor der Landtagswahl den Reiter wechselt. Das ist zu kurz, die Partei würde ein sehr großes Risiko eingehen, weil der Neue sich praktisch nicht profilieren kann.
Also steckt die CSU in einem Dilemma?Wären keine Wahlen, könnte sich Seehofer nicht halten. Jetzt muss die Fraktion abwägen, ob Seehofer noch einmal einen erfolgreichen Wahlkampf machen wird, trotz dieser schlechten Ausgangsposition. Oder ob es ein Neuer schafft, der sich im Vorfeld nicht beweisen konnte. Es gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage, deswegen wird es viele geben, die sagen werden: Wir machen es lieber noch einmal mit Seehofer.
Hat Horst Seehofer noch die Souveränität, die CSU nach dem Wahldebakel neu aufzustellen und, wie angekündigt, die AfD-Wähler zurückzuholen?Ich glaube nicht, dass Seehofer vorhat, die Partei neu aufzustellen. Das wollte er nach 2008 machen, das ist ihm nach dem Abgang von Karl-Theodor zu Guttenberg auch geglückt. Jetzt geht es ihm darum, die Partei so aufzustellen, dass sie fähig ist, den Kurs der letzten Jahre in konsequenter Weise weiterzuführen. Die Ansage, dass die Partei sich jetzt stärker rechts profilieren möchte, ist bereits das Konzept der letzten Jahre gewesen. Das Modernisierungsprojekt der CSU hat schon massiv darunter gelitten, dass der konservative Anspruch der Partei so stark herausgearbeitet wurde. Jetzt geht es darum, Konsequenz zu zeigen und keinen Wackelkurs zu fahren. Und dafür hat Seehofer die Legitimation.
Markus Söder wird von einigen schon als Nachfolger gehandelt. Wie stark ist der Rückhalt innerhalb der Partei?Söder ist ganz klar die Nummer Eins für die Nachfolge Seehofers, allerdings perspektivisch gesehen. Im Moment kann er aber nicht die Führung übernehmen. Das liegt daran, dass die Partei in sich und speziell auch die Landtagsfraktion gespalten ist. So lange hier keine klare Mehrheit da ist, wird es nicht funktionieren. Söder hält sich derzeit zurück, er möchte nicht der Königsmörder sein. Für ihn ist es aber auch keine günstige Ausgangslage. Wenn er jetzt übernehmen würde und dann verliert, wäre er verbrannt.
Hat Söder langfristig eine Strategie für die CSU? Mehr zum ThemaEr hat eine Strategie für die Übernahme, aber die muss er ständig anpassen. Das Wahlergebnis hat ja so auch niemand kommen sehen. Söder macht es jetzt genau wie Seehofer. Der hat einmal gesagt: Es geht nicht darum, wo ich heute stehe, sondern dass ich am Tag X am richtigen Ort bin. Söder hat einen sehr langen Atem bewiesen. Er weiß, dass die Nachfolgerdebatte, wenn sie denn ernst wird, nicht ohne ihn zu lösen ist. Das heißt nicht, dass er es dann auch sicher wird, aber man kann ihn nicht ignorieren. Ihm geht es vor allem darum, dass er seine Netzwerke und Unterstützerkreise hat, damit er von diesen Plänen nicht ausgeschlossen wird. Es sind schon viele Namen für die Nachfolge gefallen, die heute keine Rolle mehr spielen. Söder ist immer noch da.
Mit Michael Weigl sprach Birgit RaddatzQuelle: n-tv.de
Themen