Eigentlich sah alles sehr gut aus für den Nachwuchsforscher. Direkt nach seinem Diplom bekam er eine Mitarbeiterstelle an der Uni Leipzig, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Darin wollte er untersuchen, wie Menschen Klänge wahrnehmen - und ob Töne und Melodien Einfluss auf ihr Verhalten haben können.
Erforscht war das kaum, sagt der Doktorand. Auf einer internationalen Konferenz erhielt er sogar eine Auszeichnung. Wenn du so weitermachst, habe sein Promotionsbetreuer daraufhin gesagt, steht einer Professur nichts im Wege.
Es kam anders.
Als der Laborversuch gerade ein halbes Jahr lang lief, fragte der Professor plötzlich nach Zwischenergebnissen. Der Doktorand - so erzählt er es - schrieb einen Aufsatz. Interessant, meinte der Professor, das müsse man doch publizieren, bei einem Fachjournal einreichen. Und dann hatte der Chef bald darauf noch einen kleinen Wunsch: Er wolle der Erstautor der Studie sein. Der Doktorand zögerte.
Na ja, meinte der Professor und erzählte aus einer Unterhaltung mit einem Professorenkollegen. Wenn seine Mitarbeiter sich so anstellen, habe der Kollege gesagt, würde er die sofort entlassen.
"Nach der Drohung habe ich nachgegeben", sagt der Doktorand heute. So wie er die Geschichte schildert, steht sie später auch in einem Untersuchungsbericht der Uni Leipzig.
Dort steht auch: Dass der Doktorand auf seine Erstautorenschaft verzichtete, könne "kaum als freiwillig angesehen werden". Und: "Schon die bloße Aussicht, es fortan mit einem die Betreuung nur widerwillig fortsetzenden Betreuer zu tun zu haben, muss ein Doktorand als bedrohlich empfinden." So bedrohlich, dass er auch heute noch nur anonym sprechen will.
Vollzeit beschäftigt, Teilzeit bezahlt
Leipzig ist nur ein Beispiel. Viele Doktoranden in Deutschland sind in einer verhängnisvollen Situation: Ihr Promotionsbetreuer tritt gleichzeitig auch als ihr Arbeitgeber und als Gutachter der fertigen Doktorarbeit auf. Der Professor stellt das Thema, gibt den Job und entscheidet am Ende auch noch über den Titel. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist die Promotion im Idealfall. Zu einem Verhältnis zwischen Herr und Knecht verkommt sie mitunter.
Das zeigt sich unter anderem daran, wie häufig Doktoranden Überstunden leisten müssen: Mehr als 80 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter haben einen Teilzeitvertrag, mehr als 60 Prozent arbeiten faktisch voll. Das Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ) in Berlin hat diese Zahlen erhoben.
Der Wissenschaftsrat, das wichtigste hochschulpolitische Beratungsgremium, fordert bereits seit Längerem eine Generalüberholung der Promotion. So empfehlen die Experten unter anderem, dass die Betreuung und Bewertung einer Doktorarbeit getrennt werden sollten. Der Professor, der die Arbeit über Jahre begleitet, sollte nicht derjenige sein, der anschließend über die Note befindet.
Keine Anmeldepflicht für Doktoranden
Doch die Situation bessert sich nur allmählich. Immer noch, beklagt Wissenschaftssoziologe Stefan Hornbostel vom IFQ, betrachten viele Professoren die Promotion als ihre Privatangelegenheit: Sie entscheiden, wer den Titel bekommen sollen, und reinreden lassen wollen sie sich wenig. Mit bizarren Folgen: "Es gibt ganze Universitäten in Deutschland, die nicht wissen, wie viele Doktoranden bei ihnen derzeit an einer Dissertation arbeiten", bemängelt Hornbostel.
Denn vielerorts müssen Promovenden der Fakultät nicht gemeldet werden. Es reicht, wenn sie mit einem Professor ein Thema verabredet haben. Erst wenn sie ihre fertige Arbeit einreichen, erfahren die Hochschulen überhaupt von der Existenz vieler Doktoranden - wenn denn die Verbindung zum Professor so lange hält. "Eigentlich haben die Fakultäten die Pflicht, eine vernünftige Betreuung der Doktoranden sicherzustellen", sagt Hornbostel. "Aber wie sollen sie das tun, wenn sie sie nicht mal kennen?"
Lange habe er gesucht, erzählt ein Philosophie-Doktorand, bis er an der TU Darmstadt einen Betreuer für seine Doktorarbeit gefunden hatte. Auch hier verlief der Anfang vielversprechend: Der Professor verfasste sogleich ein freundliches Empfehlungsschreiben, mit dem sich der Doktorand um ein Stipendium bewerben konnte. Mit Erfolg. Der weitere Kontakt zum Lehrstuhl verlief dagegen eher spärlich.
"Ein Gespräch ist nicht nötig"
Der Doktorand schickte dem Professor ein Konzept per E-Mail, bat um einem Termin. Der Betreuer antwortete mit einem Zweizeiler. "Sie können mit dem Schreiben beginnen, Gliederung und Änderungen sind in Ordnung, ein Gespräch ist nicht nötig."
Oft antwortete auch nur ein Mitarbeiter auf die E-Mails des Doktoranden. Der Professor lasse grüßen und "sich dafür entschuldigen, dass er auf Ihren letzten, ausführlichen Brief noch nicht hat antworten können; er ist mit Ihrer Zusammenfassung und der Gliederung des Ganzen einverstanden", heißt es zum Beispiel in einer anderen E-Mail.
Ein halbes Jahr darauf, Ende 2010, schickte der Doktorand schließlich die fertige Arbeit. Kurz vor Heiligabend kam die Antwort: Er könne diese Studie unmöglich als Dissertation annehmen, erklärte der Betreuer plötzlich. Die Studie sei "keine philosophische Arbeit", was er vorher leider nicht habe erkennen können. Auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE hat der Professor bislang nicht reagiert.
Die Geschichte verdeutlicht nicht nur, dass Doktoranden das Nachsehen haben können, wenn die Betreuung nicht stimmt. Sie zeigt auch, wie sehr es von Doktorvater zu Doktorvater variieren kann, was eine promotionswürdige Leistung ist: Ein Professor einer anderer Universität fand die Arbeit keineswegs misslungen. Er gab ihr eine gute Note und dem in Darmstadt Verschmähten den Titel.
Der Doktorand beschwerte sich - die Stimmung wurde frostig
Für den Leipziger Klangforscher endete der Konflikt mit dem Professor weniger günstig. Irgendwann, erzählt er, habe sein Doktorvater sich auch noch gegenüber der Zeitschrift, in der der Aufsatz erscheinen sollte, als Hauptansprechperson präsentiert. Das reichte: Im April 2013 meldete der Nachwuchsforscher den Fall der Ombudsstelle der Uni Leipzig.
Eigentlich sollen Ombudsleute wissenschaftliches Fehlverhalten ahnden, die Beteiligten sollen während der Untersuchung geschützt sein. In der Praxis geht das oft schief. "In einem solchen Verfahren ist es sehr schwierig, die Anonymität der Doktoranden zu wahren, die die Beschwerde einreichen", sagt Wissenschaftsforscher Stefan Hornbostel. So war es auch in Leipzig.
Das Arbeitsklima am Lehrstuhl, sagt der Doktorand, sei prompt frostig geworden, als die Untersuchung gegen den Professor lief. Mehr als ein Jahr lang zog sie sich hin.
Anfang 2014 schließlich gab die Kommission dem Doktoranden auf ganzer Linie recht: Der Professor habe "zu Unrecht die Erstautorenschaft für einen gemeinsam verfassten wissenschaftlichen Beitrag in Anspruch genommen", heißt es in ihrem Beschluss. Der Professor hält die Entscheidung für falsch und klagt derzeit dagegen; gegenüber SPIEGEL ONLINE will er sich wegen der laufenden Auseinandersetzung nicht äußern.
Dem Doktoranden hat das Votum der Untersuchungskommission wenig genützt. Der Vertrag an der Uni lief aus, einen neuen gab es nicht. Drei Studien hat er während seiner Arbeitslosigkeit gemacht, jetzt versucht er, sie auf eigene Faust in Fachzeitschriften unterzubringen. Dann fällt es vielleicht einem Professor leichter, sie als Promotionsleistung anzuerkennen. Aber wie bringt man wissenschaftliche Journale dazu, Aufsätze zu veröffentlichen, ohne E-Mail-Adresse und Postanschrift einer Universität?
Dem ehemaligen Promotionsbetreuer an der Uni Leipzig dürften solche Sorgen derweil sehr fern sein. In diesem Frühjahr schickte die Uni ihn sogar in eine dreiköpfige Arbeitsgruppe, die die Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis überarbeiten sollte. Dass er selbst womöglich dagegen verstoßen hatte, spielte keine Rolle.