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Offshore-Energie: Wenn Windräder schwimmen lernen

Windräder auf See haben einige Vorteile gegenüber ihren Verwandten an Land: Für ihren Bau müssen keine Straßen gesperrt oder gar neu angelegt werden, Platz ist mehr als genug vorhanden und keine Bürgerinitiative beschwert sich über angeblich verschandelte Natur. Obendrein windet es auf See kräftiger und beständiger. Im Durchschnitt produziert ein Offshore-Windrad doppelt so viel Strom wie ein Dreiflügler in der Eifel oder im Bayrischen Wald.

Bislang sind in Deutschland allerdings nur 950 Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee in Betrieb. Und diese steuerten 2016 nur knapp zwei Prozent zur deutschen Bruttostromerzeugung bei - die Räder an Land lieferten zusammen gut zehn Prozent. Der Grund für dieses Missverhältnis ist schnell gefunden: Wer ein Offshore-Windrad errichten will, muss einen riesigen Aufwand betreiben. Bevor mit dem Bau überhaupt begonnen werden kann, stehen aufwendige Untersuchungen des Meeresbodens an. Sind diese abgeschlossen, rücken Spezialschiffe aus, die die massiven Stahlrohre in den Boden rammen. Für die Installation von Turm, Turbine und Rotoren sind wiederum Kranschiffe notwendig. Und dann ist da auch noch das raue Wetter auf See, das dem kostspieligen Unterfangen schnell einen Strich durch die Rechnung machen kann.

Hinzu kommt: Solche Anlagen lassen sich nur dort errichten, wo das Meer nicht tiefer als 50 Meter ist. Nord- und Ostsee sind insofern ein Glücksfall für die Energiebranche. Doch fast alle relevanten Offshore-Gegenden sind tiefer, sagt Andreas Reuter vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Bremerhaven. Ob vor Amerika, Japan oder auch im Mittelmeer, vielerorts sind schon die Küsten extrem steil - zu steil, um dort Windräder aufzustellen. Übersetzt heißt das: Offshore-Windkraft ist momentan nicht bloß teuer, sondern auch nur sehr begrenzt einsetzbar.

Henrik Stiesdal will gleich beide Probleme lösen. Die Idee des Dänen: Schwimmende Windräder, die im Hafen zusammengebaut und dann an ihren Einsatzort geschleppt werden, der bis zu 1000 Meter tief sein kann. Bestehen sollen die Anlagen aus wenigen Standardteilen, die unkompliziert und günstig in Serie produziert werden. Ganz so, wie es bei Anlagen fürs Festland längst üblich ist. Das klingt nach der irrwitzigen Idee eines schrägen Tüftlers. Doch Stiesdals Lebenslauf liest sich anders. 1978 konstruierte der Däne seine erste Windturbine und verkaufte sie ein Jahr später an Vestas. Bis dahin verdiente die Firma ihr Geld zum Beispiel mit Hydraulikkränen. Heute ist Vestas einer der Marktführer im Bau von Windkraftanlagen. Stiesdal selbst hatte Blut geleckt. Mit seiner Firma Bonus Energy installierte er 1991 den ersten Offshore-Windpark überhaupt. Bonus Energy ging 2004 an Siemens. Stiesdal blieb als Technik-Vorstand und führte die Siemens-Windkraft-Sparte, bis er 2014 ausstieg. Sein Nachfolger Rüdiger Knauf sagt über ihn, Stiesdal habe in der Windbranche technologische Standards gesetzt. Andreas Reuter nennt ihn schlicht einen „Windkraft-Pionier". Mehr als 700 Patente hält der heute 59 Jahre alte Däne. Im Ruhestand sieht er sich noch lange nicht und auch vor großen Tönen schreckt er nicht zurück: „Schwimmende Windräder können einen Markt für die Windkraft eröffnen, den es aktuell noch gar nicht gibt", sagt Stiesdal.

Mit dieser Ansicht ist er freilich nicht allein. „Schwimmende Windräder müssen das Ziel sein", sagt Andreas Reuter vom Fraunhofer-Institut. Für eine Energiewende auf der ganzen Welt seien sie kaum zu ersetzen. Auch Andreas Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, hält das Konzept für „hochinteressant".

Die erste Variante eines schwimmenden Windrads treibt schon seit 2009 vor der Küste Norwegens - entstanden unter der Leitung von Stiesdal. Das Gemeinschaftsprojekt von Siemens und dem norwegischen Energieriesen Statoil, „Hywind" genannt, soll nun auch die Basis für den ersten schwimmenden Windpark der Welt bilden.

Das Hywind-Rad ist auf einem 14 Meter dicken Schwimmkörper aus Stahl und Beton - einer sogenannten Spar-Boje - installiert, der knapp 80 Meter tief in die Nordsee hineinragt. Stabil gehalten wird die Konstruktion mit Ballasttanks und Stahlseilen, die am Meeresboden befestigt werden. Das ist notwendig, denn wenn das Rad durch Wind und Wellen zu stark schwankt, leidet die komplexe Technik der Windturbine. Die Hywind-Technik basiert auf Statoils Erfahrungen aus der Öl- und Gasförderung, das Windrad stammt von Siemens. Vor Schottland sollen im Laufe des Jahres fünf solcher Anlagen mit einer Leistung von je 6 Megawatt ans Netz gehen und Strom für 20.000 Haushalte liefern. Kostenpunkt für den gesamten Windpark: rund 250 Millionen Dollar. Das ist viel Geld - zu viel, findet Stiesdal.

Er bewundere Statoil dafür, dass der Konzern sich an ein solches Projekt herantraue, so der Däne. Schwimmende Windräder seien für alle in der Branche Neuland. Doch die Technik habe gleich mehrere Schwächen: So müsse nicht nur der Schwimmkörper, eine Sonderanfertigung, in einer Schiffswerft gebaut werden. Auch aufrichten ließe er sich nur an wenigen Orten, da die Konstruktion 80 Meter tief ins Wasser ragt. „In Schottland gibt es keinen Hafen, wo das möglich ist", sagt Stiesdal. Die fünf „Hywind"-Anlagen müssten daher in Norwegen gebaut, aufgestellt und dann zu ihrem Einsatzort vor der schottischen Ostküste geschleppt werden. Einige Teile werden gar im spanischen Bilbao gefertigt.

Für Stiesdal steht dieser Aufwand in keinem Verhältnis. Auch bei anderen Varianten sieht er Probleme. Vor Fukushima etwa steht seit 2015 die größte schwimmende Windkraftanlage der Welt. 7 Megawatt leistet die Turbine. Die verwandte Technik lässt sich bei deutlich geringeren Wassertiefen einsetzen als die Konkurrenz von Statoil, nur thront das Windrad auf einer gigantischen dreieckigen Stahlkonstruktion. Ein anderer Ansatz sieht eine kleinere Stahlplattform für das Windrad vor, die nur wenige Meter im Meer versinkt, dafür aber wiederum mit einer aufwendigen Seilkonstruktion stabil gehalten werden muss.

Stiesdal dagegen will weg von schweren Schwimmkörpern aus Stahl, komplizierten Sonderanfertigungen und der Arbeit mit teuren Spezialschiffen. Dem Dänen schwebt eine leichte Halterung in Form eines Tetraeders vor, zusammengesetzt aus wenigen kurzen Stahlröhren, die verschraubt statt teuer verschweißt werden. Stabil halten sollen die Konstruktion simple Bojen aus Stahl oder glasfaserverstärktem Kunststoff an den Enden des Tetraeders sowie ein Kiel am Boden, der herabgelassen wird, wenn die Anlage am Einsatzort steht und mit Stahlseilen am Boden vertäut ist. Die Bauteile sollen idealerweise in jeder Fabrik in automatisierten Abläufen entstehen, auch die Logistikkette will Stiesdal radikal vereinfachen: „Meine Konstruktion kann in jedem Hafen zusammengebaut und zur Wartung einfach zurück in den Hafen gezogen werden."

Andreas Reuter vom Fraunhofer-Institut erkennt in Stiesdals Modell eine verbesserte Lösung, sieht aber Schwierigkeiten: „Die Verankerung am Boden und der Anschluss des Seekabels für die Stromproduktion werden bei zunehmender Meerestiefe immer komplizierter." Von Siemens heißt es, man verfolge die Konzepte und Ideen des ehemaligen Technik-Chefs „mit großem Interesse". Und auch Po Wen Cheng, Professor für Windenergie an der Universität Stuttgart, ist angetan von der Idee des Dänen: „Technisch spricht nichts dagegen, warum das nicht funktionieren sollte." Allerdings existiert Stiesdals „TetraSpar"-Anlage im Gegensatz zu den schon schwimmenden Prototypen von Statoil und Co. bislang nur auf dem Papier. Das ist sicher ein Nachteil, so Cheng. Doch auch diese Projekte befinden sich momentan noch in den ersten Zügen - und der entscheidende Punkt ist die Industrialisierung der Fertigung, wie Andreas Wagner von der Stiftung Offshore anmerkt. Hier sieht Stiesdal den großen Vorteil seines Konzepts.

Die standardisierte Bauweise nach dem Vorbild der längst in Massenfertigung produzierten Windkraftanlagen fürs Land soll Offshore-Windkraft radikal vergünstigen. „Ich will den Preiswettbewerb, den nur die industrielle Fertigung erzeugen kann", sagt Stiesdal. Mit monströsen Sonderanfertigungen, die in mühsamer Arbeit in Werften gefertigt werden, sei dies unmöglich. Bedenken, dass seine simpel anmutende Konstruktion womöglich zu instabil ist, teilt er nicht: „Es wird natürlich Schwierigkeiten beim Bau des Prototyps geben, aber keine fundamentalen Probleme, die sich nicht lösen lassen." Fachleute einer norwegischen Zertifizierungsgesellschaft teilen diese Ansicht. Das Team von DNV GL, das sich schwerpunktmäßig mit dem Energiesektor beschäftigt, hat Stiesdals Konzept unter die Lupe genommen und schreibt in seinem Bericht: „DNV GL kann beim jetzigen Stand der Planung keine unlösbaren Punkte identifizieren."

Spätestens 2022 will Stiesdal den ersten Prototyp seiner „TetraSpar"-Schwimmer zu Wasser lassen. Die Kosten bis dahin schätzt er auf rund zehn Millionen Dollar. In der Industrie stoße sein Projekt auf großes Interesse, sagt der Däne. Mit einigen Unternehmen sei er schon im Gespräch. Ursprünglich war sein schwimmendes Windrad sogar ein „Open Source"-Projekt. Doch das habe nicht funktioniert: „Große Namen in der Branche wollen nicht mit Open Source arbeiten. Jeder Fortschritt könnte ja auch der Konkurrenz zu Gute kommen." Bei seinen Plänen soll sich trotzdem weiterhin jeder bedienen dürfen: „Wenn du etwas für dich nutzen kannst, dann schau es dir ab", sagt der Windkraft-Pionier.

Schwimmende Windräder könnten einmal einen großen Teil des weltweiten Energiebedarfs decken. Aber eben nur, wenn die Kosten rapide gesenkt werden. Dazu will Stiesdal seinen Beitrag leisten. Aktuell kostet Strom von festverankerten Offshore-Windrädern etwa 10 Cent die Kilowattstunde. Stiesdal schweben 5 Cent vor. Das wäre auf dem Niveau von Gas und Kohle. „Langfristig ist das möglich, doch da muss noch einiges geschehen", sagt Po Wen Cheng von der Universität Stuttgart.

Das Potential der Offshore-Windkraft ist in jedem Fall riesig. Auf gerade einmal rund 14.000 Megawatt Leistung kamen 2016 alle Offshore-Anlagen auf der Welt zusammen. Mehr als drei Viertel davon waren in Europa am Netz, 4110 Megawatt in Deutschland. Deutschland größtes Braunkohlekraftwerk in Neurath kommt alleine auf 4400 Megawatt. Sollen die Klimaziele von Paris erreicht werden, muss sich noch viel tun. Windkraft macht derzeit nur etwa 5 Prozent am globalen Energiemix aus - und der Löwenanteil wird von Dreiflüglern an Land produziert.

Hat Stiesdal Erfolg, könnten diese Zahlen bald ganz anders aussehen. Vor der Küste Kaliforniens etwa dreht sich aktuell kein Rad im Wasser. Der Energiebedarf im Bundesstaat ist zwar riesig, doch um konventionelle Offshore-Anlagen in den Boden zu rammen, ist das Meer zu tief. Ähnlich sieht es vor Japan oder an Südamerikas Ostküste aus. Und in Europa hat die Industrie für die schwimmenden Windräder auch Atlantik und Mittelmeer ins Visier genommen.

Seit 2011 schwimmt eine Testanlage vor der Küste Portugals, Frankreich hat mittlerweile einen eigenen Fördertopf für schwimmende Anlagen eingerichtet, und drei große Netzbetreiber wollen in der Nordsee gigantische künstliche Inseln aufschütten. Diese sollen einmal als zentrale Verteilstationen für den Strom von mehren tausend konventionellen Offshore-Windrädern auf einer naheliegenden Sandbank fungieren. Damit der auch bei Haushalten fernab der Küsten ankommt, muss an Land allerdings der Netzausbau in Gang kommen. Hier hakt es vielerorts noch. Die Energiewende auf hoher See könnte dennoch bald richtig Fahrt aufnehmen - und Henrik Stiesdal will abermals Pionier sein. An Selbstbewusstsein jedenfalls mangelt es ihm nicht.

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