Wer in Gera bei Amazon arbeiten will, muss den sogenannten Kisten-Hebetest bestehen, und dabei macht man sich natürlich ein bisschen zum Hampelmann. Da steht also Steve, junger Mann mit Baseballcap, in einem Gang, vor ihm ein Stapel bunter Kisten. Die müssen farblich sortiert werden: anheben, dann neu aufstapeln. Los geht's. "Immer mit den Knien heben, nie mit dem Rücken!", ruft ein Mann, der hier offenbar der Aufseher ist. Steve stapelt, erst die rote, dann die schwarze, dann die weiße ...
Rumpel. Der Kistenstapel bricht zusammen.
War's das jetzt für Steve mit dem Job bei Amazon?
Ein paar Meter entfernt steht Fabian Kruschel und beobachtet das Geschehen. Der kleine, kräftige Mann mit feuerrotem Haar leitet das "Recruitment Center Gera" von Amazon, einen kargen Bürokomplex, ausschließlich erreichbar über den Seiteneingang einer Shoppingmall. Am Fenster steht eine einsame Plastikpflanze. Kruschels Jobtitel: "Workforce Staff Manager". Mit einem achtköpfigen Team sucht er hier nach neuen Mitarbeitern für das Logistikzentrum des US-Konzerns in Gera, Thüringen. Sie "staffen" Personal, so heißt es in Amazon-Sprache.
Kruschel sagt, Steve habe den Hebetest bestanden. Das mit den Kisten, das passiere fast allen.
Der Recruiter hat früher selbst im Lager geschuftet und Regale aufgefüllt. Er hat Karriere gemacht, jetzt sucht er nach anderen, die die Regale auffüllen. Amazon "stafft" in Gera vor allem, Achtung, nächstes Amazon-Wort, "Level-1-Jobs". Das sind die mit den einfachsten, aber körperlich schwersten Arbeiten: laufen, heben, packen. Nach landläufiger Meinung gelten diese Jobs als ausbeuterisch: Mitarbeiter würden schlecht bezahlt, dauerüberwacht, es herrsche gewaltiger Leistungsdruck, so hieß es in vielen Zeitungsartikeln. Vor allem aber seien die Jobs eintönig.
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Wenn Kruschel über Amazons Unternehmensphilosophie spricht, klingt das ganz anders. Er erzählt vom familiären Umgang unter den Kollegen, von Prozessen, die großartig ineinandergreifen würden. Und doch leidet Amazon unter dem dürftigen Ruf. Denn dass Fabian Kruschel tut, was er tut; dass Amazon also einen gewissen Aufwand betreibt, um in Gera Leute zu rekrutieren, hat etwas mit einem sich verändernden Markt, mit einer sich verändernden Welt zu tun. Mit einem sich verändernden Gera.
Was Ostdeutschland einst zum Traum-Standort von Konzernen mit Level-1-Jobs gemacht hat, ist passé: Arbeitslosigkeit. Und damit Menschen, die sich aufopfern für wenig Geld. Die Arbeitslosigkeit ist auch im Osten einem Arbeitskräftemangel gewichen. Viele Menschen sind in der komfortablen Lage, sich ihren Arbeitgeber aussuchen zu können.
Aber Amazon braucht dringend neue Mitarbeiter. In den vergangenen fünf Jahren hat das Unternehmen deutschlandweit neun neue Logistikzentren eröffnet, es sind jetzt 19, weitere sind in Planung. Im Osten gibt es neue Standorte in Sülzetal, Erfurt und eben in Gera. Das Logistikzentrum hier ist seit August 2021 in Betrieb, mehr als 1900 Menschen arbeiten laut dem Unternehmen dort. Es ist damit nicht nur der zweitgrößte Arbeitgeber der Region. Es stößt auch an Grenzen. Mit Amazon hat sich die Zahl der Arbeitslosen in der Region innerhalb eines Jahres um 16 Prozent reduziert. Jetzt sind nur noch wenige übrig. Deshalb soll Kruschels Team dem Großkonzern ein sympathischeres Image verpassen. Amazon soll ein sexy Arbeitgeber werden.
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