Ja, es gibt sie: richtig gute Popmusik aus Deutschland. Zugegebenermaßen sind erträgliche Popsongs in deutscher Sprache Mangelware, da muss die Suche schon abseits vom typischen Radiopop stattfinden, wo zum Beispiel die schon länger aufgelösten Ruben Cossani anzutreffen sind. Auf Englisch texten und singen Jack Beauregard, denen aber nicht unbedingt ein Übermaß an Aufmerksamkeit zuteil wurde. BOY im Gegensatz dazu wurden schon mit ihrem Debüt Mutual Friends und erst recht mit dem Nachfolger We Were Here regelrecht durch die Decke katapultiert.
Ein weiteres Duo macht sich jetzt auf, die deutsche Popmusiklandschaft zu erobern. Die Vorzeichen bei TROPIC stehen dafür nicht schlecht, wenn auch die Referenzen „Tatort-Musik-Komponist" und „trauriger Junge mit Gitarre" nicht unbedingt Garanten für gutes Pop-Songwriting sein müssen. Aber sobald Peter Folks Stimme auf dem Debütalbum I Am the Rain If You Are the Meadow in bester Rufus-Wainwright-Manier mit tiefem Timbre und Vibrato erklingt, ist jede anfängliche Skepsis verschwunden. So richtig klar wird nicht, was Something Dark Around You eigentlich ist, denn der Song arbeitet sich in über sechs Minuten durch Jazzanleihen, Get Well Soon'sche Gesten höchster Güte, elektronische Breaks und ausgedehnte Streicherarrangements bis zu einem atemberaubenden Ende, das Peter Folk und Johannes Lehniger als hektischen Wettlauf gegen Genreschubladen inszenieren.
Dann legt sich ein dunkler Schleier auf die Gehörgänge, wenn Spread Your Love mit Gitarren-Fingerpicking beginnt. Über bedeckt gehaltenen Pianoakkorden und umhüllt von einer erhabenen Decke aus Violinen besingt Peter Folk die emotionalen Nachteile von One Night Stands („Money can buy what you gave me tonight / But I know it won't happen again / You spread your love to another one / You will forget what we had tonight"). Dabei verströmt der Song eine wunderschöne Film-Noir-Ästhetik, überkontrastierte Abschiedsszenen im Regen sind fast zum Greifen nah. Das zugehörige Musikvideo ist zwar nicht schwarz-weiß und in Sachen Liebe etwas heteronormativ geraten, illustriert Spread Your Love aber sehr kunstvoll.
Durch ihren rückwärts gewandten Sound wirken TROPIC wie aus der Zeit gefallen. Jazzeinflüsse sind auf I Am the Rain If You Are the Meadow allgegenwärtig, so bringen Folk und Lehniger immer wieder Rufus Wainwright und auch die schon genannten Ruben Cossani als Referenz ins Spiel. Zu danken ist dafür auch der edlen Produktion, die fast ausnahmslos auf Studioaufnahmen statt Digitalsounds setzt und dem Klang von TROPIC eine hohe Wertigkeit verleiht. Save Your Love For Me dreht den Dramaregler nach oben und wird von Peter Folk in einer hohen Oktave beendet, bevor Vertigo eine ordentliche Prise Italo-Western mit galoppierende Gitarrenriffs ins Album einbringt. You'll Be The First To Know ist beschwingter, Watching All The People schraubt das Tempo wieder zurück.
Im Titelsong zelebrieren TROPIC die bedingungslose Hingabe zu einem anderen Menschen. Was mit einer etwas unorthodoxen Bitte beginnt („Let me be the manager of your future life"), mündet im Refrain in die ultimative Loyalitätserklärung: „I put you in the spotlight / While I'm sitting in your shadow / You don't owe me your gratitude / I am the rain if you are the meadow." Bisweilen können Zuneigung und der resultierende Schutzgedanke auch obsessiv werden („Would you mind closing the drapes / ‚Cause the sunlight might hurt you"), das wird hier deutlich. TROPIC beenden ihr Debüt mit einer verträumten Zugfahrt („I got on a train deep in the night / The world outside is in moonlight"), Bäume stellen Fragen („Where are you going my friend? / Why are you leaving again?"), das Streicherensemble aus Geigen und Celli gibt noch einmal alles und so entlässt The Trip mit der absolut passenden Stimmung aus dem Album. Aber es ist klar: Die Reise in schwarz-weiß hat eigentlich gerade erst begonnen.