Alle 40 Sekunden stirbt ein Mensch an Suizid. Das sind 3.000 Menschen pro Tag, über eine Millionen pro Jahr. Jährlich verlieren mehr Menschen ihr Leben durch Suizid als durch alle aktiven Kriege zusammen. Alle drei Sekunden versucht sich ein Mensch durch Suizid das Leben zu nehmen. Einer von hundert Todesfällen ist die Folge von Suizid. Suizid ist die häufigste Todesursache bei Menschen zwischen 15 und 24 Jahren.
Seit 2003 wird am 10. September der Welttag der Suizidprävention begangen, um darauf aufmerksam zu machen, wie dringlich das Problem ist. Ursprünglich von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Gesellschaft für Suizidprävention (die IASP, welche im Übrigen vom österreichischen Psychiater Erwin Ringel gegründet wurde) ins Leben gerufen, schließen sich Jahr für Jahr mehr Initiativen und Organisationen der Bewusstseinsbildungsarbeit rund um den 10.September an.
Wie lassen sich Suizide vermeiden?Die gute Nachricht: Suizide sind vermeidbar. Die schlechte Nachricht: Es reicht nicht, an Individuen zu appellieren, sich doch bitte Hilfe zu suchen, wenn sie diese Hilfe brauchen (so wichtig das auch ist). Um Suizide zu verhindern, um die Suizidrate zu senken, braucht es kollektive Anstrengungen.
Die offensichtlichste dieser Anstrengungen liegt in einer Verbesserung des Zugangs zu psychischer Gesundheitsversorgung und einem besseren Zugang zu kassenfinanzierter Psychotherapie. Gerade Österreich hat hier einiges nachzuholen. Seit Jahrzehnten bestehen signifikante Lücken im System, die durch Corona nur noch größer wurden. Viele Menschen, die durch Suizid sterben, haben eine lange Leidensgeschichte mit einer oder mehreren psychischen Erkrankungen hinter sich. Jede einzelne davon wäre verhinderbar.
(Im Übrigen spreche ich an der Stelle bewusst nicht von „Selbstmord", da ich leidende Menschen nicht mit einem grausamen Gewaltverbrechen in Verbindung bringen möchte. Ich verwende die Formulierung „an Suizid sterben", nicht „Suizid (oder Selbstmord) begehen", da Selbsttötung kein Verbrechen ist, nicht im moralischen Sinne und - zumindest hierzulande - auch nicht im rechtlichen Sinne.)
Fragen, die man sich selbst stellen sollteEin zweite wichtige Anstrengung liegt in der Aufklärung: Welche Risikofaktoren - auch lebensgeschichtliche - erhöhen das Risiko für Suizid und wie kann ich bei Freund:innen sicherstellen, dass sie belastende Ereignisse (wie den Tod eines lieben Menschen, eine Trennung oder Kündigung, oder ein traumatisierendes Erlebnis) überstehen können? Woran erkenne ich Suizidalität in anderen? Was kann ich tun, wenn ich selbst Suizidgedanken habe? Wie kann ich reagieren, wenn andere sich mit Suizidgedanken an mich wenden?
Liebe:r Leser:in: Wenn du diese Fragen nicht beantworten kannst, bitte ich dich inständig, dich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht retten die Antworten dir oder einer nahestehenden Person das Leben.
Was die Suizidrate mit Politik zu tun hatNicht nur Aufklärung und ein besserer Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung sind wichtige Faktoren in der Verringerung der Suizidrate: auch sozioökonomische und soziokulturelle Aspekte sind relevant. So zählen Armut oder Arbeitslosigkeit zu den größten Risikofaktoren. Suizidprävention ist also auch: leistbares Wohnen, ein stabiles Einkommen, genug Geld zum Leben, Abbau von ökonomischen Ungleichheiten. Die Suizidrate ist vor allem auch ein politischer Auftrag.
Weltweit ist der Kampf gegen Suizide noch mit anderen Problemen konfrontiert: In zwanzig Ländern der Welt (unter anderen Uganda, Bangladesh oder auf den Bahamas) ist Suizid immer noch kriminalisiert. Ja, ihr habt richtig gelesen: Suizid ist in diesen Ländern eine Straftat. Dadurch wird zwar kein einziger Tod durch Suizid verhindert, aber betroffene suizidale Menschen werden davon abgehalten, sich Hilfe zu holen.
Während in den Ländern des globalen Nordens Suizid nicht kriminalisiert ist, so ist er - und die Suizidalität und Suizidgedanken, die ihm in der Regel vorangehen - hochgradig stigmatisiert und tabuisiert. Auch das hält davon ab, sich Hilfe zu holen. Oder einfach nur Freund:innen oder Angehörige ins Vertrauen zu ziehen.
Lernen, mit Menschen in suizidalen Krisen umzugehenJene Freund:innen oder Angehörige, die ins Vertrauen gezogen werden, sind nicht selten völlig überfordert. Oft war die einzige Reaktion, die ich auf eigene Suizidalität bekam ein angsterfülltes „Geh, red ned so an Bledsin.". Das ist kontraproduktiv. Wir sollten alle lernen, mit Menschen in suizidalen Krisen umzugehen. Ihnen zuzuhören, ohne in Hysterie zu verfallen (schließlich ist Suizidalität für viele Menschen mit psychischen Erkrankungen eine tägliche Begleiterin). Wissen, wo man anrufen kann, wenn es wirklich ernst wird.
Liebe:r Leser:in, es ist sehr wahrscheinlich, dass du als Person irgendwann mit dem Thema Suizid oder Suizidalität konfrontiert sein wirst. Entweder weil du selbst betroffen sein wirst oder eine dir nahestehende Person. Überleg dir deinen Notfallplan am besten jetzt. Überlege dir, wie du dir nahestehenden Menschen empathisch zuhören kannst, ohne sie mit eigener Angst und Alarmiertheit noch weiter zu belasten. Am Ende dieses Textes findest du Nummern. Notiere sie dir.
Diese Kolumne zu lesen hat in etwa drei Minuten gedauert. In der Zeit sind vier Menschen an Suizid verstorben.
Adressen und Telefonnummern, die helfen könnenRettung: 144 (Notruf) Kindernotruf: 0800 - 567 567 Kriseninterventionszentrum, Telefon: 01 - 4069595, Sozialpsychiatrischer Notdienst/PSD, Telefon: 01 - 31330 „Ent-Störungsbericht" ist die Mental-Health-Kolumne von Beatrice Frasl und erscheint monatlich auf Futter. Außerdem auf Futter: Ent-Störungsbericht: Britney und andere gestörte Weiber