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Reportage

Markt-Wirtschaft

Von Glück kann ein Küchenchef sprechen, wenn er die besten
Lieferanten quasi vor der Restauranttür hat. Im Fall des Machneyuda
in Jerusalem teilen sich Lokal und Markt sogar den Namen

Es war eine kurze Nacht. Drei Stunden Schlaf vielleicht. Egal. Auch das Leben ist kurz. Seit 7 Uhr steht
Eliezer Mizrahi wieder in der offenen Küche des Restaurants Machneyuda, die der 32-jährige erst vier Stunden zuvor verlassen hat. Es duftet nach Kräutern und frisch aufgeschnittenen Tomaten, aus den Boxen dröhnt Israel-Pop, auf dem Tresen stapeln sich die Behältnisse mit vorbereiteten Saucen und kleingeschnipseltem Gemüse. Chefkoch Eliezer kippt einen Arak mit seinen jungen Co-Köchen, er stimmt in den Refrain ein und wippt dazu mit den Hüften. Es ist noch früh am Tag, aber der
Rhythmus hat ihn schon wieder.

Alles an diesem Ort in Jerusalem scheint einem eigenen Beat zu folgen. Es ist ein treibender, anfeuernder Takt. Und er speist sich auch aus der Dynamik, die der benachbarte Mahane Yehuda Markt
vorgibt. Ihm verdankt das Restaurant, das die beiden Star-Köche Uri Navon und Assaf Granit seit gut acht Jahren betreiben, seinen Namen. Und ein Stück weit auch seinen Ruhm.

„Der Markt ist der Ort unserer Inspiration“, sagt Eliezer, während er durch das Marktgetümmel navigiert, um noch ein paar Dinge für das Mittagsmenü zu erstehen. Kubbeh-Suppe wird es geben – ein Klassiker im Machneyuda, Polenta mit grünem Spargel und das legendäre Shikshukit,das die Geschmacksvielfalt des Marktes symbolisiert: Tahini und Yoghurt, kombiniert mit Lamm- und Rinderhackfleisch und einer Vielzahl von Gewürzen. An diesem Freitagmorgen steht der Mahane Yehuda Markt Anlauf kurz vor dem
Siedepunkt. Weil alle bis zum Shabbat die Einkäufe erledigt haben müssen, herrscht freitags stets Hochbetrieb. In den dicht bevölkerten Gassen, die meisten davon überdacht, stehen die Händler hinter ihren Obst- und Gemüsebergen und schleudern die Tagespreise wie Gewehrsalven in die Menge. „Ein Kilo Mangold, acht Schekel!“, „drei Granatäpfel heute nur fünfSchekel!“. Andere scheppern ihre mit Graffitikunst besprühten Ladenjalousien in die Höhe und legen die Ware aus. Liebevoll stapelt ein Bäcker seine Baklava zu einer Pyramide, nebenan schmeißt der Gewürzhändler seine Kurkuma-Mühle an.

„Ich habe diesen Ort schon als Kind geliebt“, sagt Eliezer, während er uns zu der Juice Bar in der HaTabuach Street dirigiert. Wenn er mit seinem Vater auf den Markt ging, den die Einheimischen nur
Shuk oder Machneyuda nennen, war dieser Stand stets die erste Anlaufstelle. Eine Mandelmilch für den Filius, für den Vater einen Granatapfel-Saft. „Die Gerüche, all die Köstlichkeiten, die vielen Menschen haben etwas energetisches“, sagt Eliezer und drängt weiter. Im irakischen Teil des Marktes kauft Eliezer je nach Tagesangebot gerne das Obst und Gemüse. „Hier sind die Preise vernünftiger und die Ware ist genauso frisch“, sagt er. Der Koch ersteht fünf Stück knackfrischen Stangensellerie für die Kubbeh-Suppe und ein paar Kilo Weintrauben. Alles aus Israel natürlich, regionale Ware hat hier wie im ganzen Land absoluten Vorrang.

Aus einer noch halb verrammelten Bar, die sich gegenüber ins Gemäuer duckt,duftet es nach frischem Gebäck. „Lust auf ein Empanada?“, ruft Elizier. „Mein Freund Lucas macht die besten der Welt. Früher haben wir mal zusammen in der Küche gestanden.“ Irgendwann hatte Lucas genug von dem Stress am Herd und machte sich mit dem Empanada-Verschlag „Argento“ selbstständig – ein Anklang an seine argentinische Heimat. Elizier beugt sich unter der Ladenjalousie hindurch ins Dunkel der Bar. Lucas empfängt ihn mit einem warmen Schulterklopfen und heißen Teigtaschen, gefüllt mit Hackfleisch
oder Gemüse. „Wenn ich koche, will ich immer das Beste“, sagt Lucas, der schon in einigen Restaurants rund um den Markt als Koch arbeitete. Auch im Machneyuda hat er schon am Herd gestanden.

Dass das Lokal heute Kultstatus genießt, ist auch dessen Initialwirkung geschuldet .Das Machneyuda hat die Gegendum den Markt zu neuem Leben erweckt. „Als wir 2009 eröffneten, gab es hier nichts“, erzählt Restaurant-Gründer Uri Navon. „Keine Bar, kaum ein Restaurant.“ Heute ist das Marktbiotop im
Künstlerviertel Nachlaot eines der beliebtesten Ausgeh-Reviere der Stadt. DasSoHo Jerusalems nennen es manche. Uri Navon und sein Kompagnon Assaf Granit, der nebenbei in der populärsten Kochsendung des Landes aufkocht, haben dazu beigetragen, dass das Treiben auch nach Budenschluss weiter geht. Abends, vor allem donnerstags, wandelt sich der Shuk zur Partyzone, füllen sich die Verkaufsstraßen mit jungem Feiervolk. Dutzende Bars feuern ihre Musik um die Wette – von den Verkaufstischen, wo tagsüber Gemüse thronte, baumeln nachts Beine. In kleinen
Markt-Restaurants wird getafelt, getanzt, Shishas dampfen auf niedrigen Tischen.

Ohne den Shuk, sagt Navon, hätte er sein Restaurant nicht eröffnet. „Es ist eine Hommage an den Markt und es spiegelt seine Usancen.“ Die frischen Zutaten, die offene Küche, aus der die Lieder und
Kommandos der Köche schallen, das Getöse der Händler, die Unmittelbarkeit, die täglich wechselnden Gerichte – es ist ein Spektakel, das längst auch Gäste aus dem feierwilligen Tel Aviv und ausländische
Touristen anzieht. Inzwischen gehören der Machneyuda-Gruppe sechs weitere Restaurants, darunter zwei in London und eins in Paris sowie zwei Bars. Weitere Dependancen sind geplant.
Dass die israelische Küche derzeit buchstäblich in aller Munde ist, sei eine Folge ihrer unglaublichen Vielfalt, erklärt Elizier, während er sich seinen Weg zum Fischhändler bahnt. „Unser Land ist ein
Schmelztiegel der unterschiedlichsten Kulturen“, sagt der 32-Jährige, dessen Mutter aus Marokko und der Vater aus dem Irak stammen. „Alles mischt sich hier – zu unserem großen Vergnügen auch auf dem Teller.“

Vielleicht mehr als jeder andere Markt steht der Mahane Yehuda Shuk für diesen Reichtum. Als Israels ältester Markt versammelt er an seinen mehr als 250 Ständen seit jeher die unterschiedlichsten Einflüsse, darunter arabische, irakische, syrische, türkische, sephardische, spanische. Nur schade, sagt Eliezer, dass es auf dem koscheren Markt keine Meeresfrüchte gibt. Im Machneyuda, das sich als eines der wenigen Restaurants im konservativen Jerusalem erlaubt, auf das Koscher-Zertifikat des Rabinats zu verzichten, kommt auch Seafood auf den Tisch. Aber die butterzarten Räucherlachsfilets und in Salzlake gereiften Makrelen, die Nati in seinem Geschäft „Eivgi“ zum Kosten über die Theke reicht, sind fabelhaft.

Eliezer schwatzt ein bisschen mit dem Herrn der Fische und lässt sich Lachs einpacken. Dann geht‘s noch schnell auf einen Sprung in den Gewürzladen „Raz el Hanut“. „Hier gibt es das beste Sumach –
es kommt aus Herbron“, erzählt Eliezer. Die gemahlenen Früchte des Essigbaums zählen zu den wichtigsten Gewürzen der israelischen Küche. Neben Raz el-Hanout, der landestypischen Mischung aus bis zu 25 Gewürzen, darunter Zimt, Kreuzkümmel, Anis, Nelken und Muskat. Für Eliezer mischen die Shop-Besitzer die Zutaten nach dessen persönlichen Rezept. „Ich gebe es zum Lamm, auch zum Fisch, oft mit Joghurt“, erzählt er.

Der Bauch hört mit und quittiert’s mit Knurren. Nur gut, dass wir, nach einem schnellen Snack im Falafelkiosk am Eck der Beit Ya`akov Straße, wieder zurück im Restaurant sind, wo alle Tische und auch die Logenplätze an der offenen Küchenfront bereits gedeckt sind. Noch eine Stunde
bis um elf Uhr die ersten Gäste kommen. Die Polenta ist vorgekocht, die Kubbeh-Suppe siedet seit Stunden, das Oliven-Kräuter-Bett, in dem sich später der wilde Seebarsch räkeln soll, ist bereitet.

Wenn es losgeht, wird keine Zubereitung länger als sieben Minuten dauern. Elizier setzt sich mit seinen sechs Köchen zum Briefing an den Tisch, eine Runde Arak für alle, das bevorstehende Mittags-Spektakulum wird perfekt orchestriert sein und dabei so fröhlich-chaotisch wirken wie ein
ausgelassenes Fest mit Freunden. „Happy food“ wolle man servieren, hat Uri Navon erklärt, der einen Großteil der Gerichte komponiert und ihnen lustige Namen gibt. Auf Eliziers Kommando dreht der Bartender die Musik auf. Elegant gewandetes Publikum strömt in den Raum – die Spiele
können beginnen.

Im Machneyuda ist die Küche die Bühne und die Köche sind die Hauptdarsteller. Sie tänzeln, sie singen, sie lassen tischhohe Flammen am Herd aufzüngeln – die Stimmung steigt schneller als ein Soufflee bei Idealtemperatur. Elizier eilt zwischen Herd und Tischen hin und her, er trinkt und scherzt mit den Gästen, prüft dabei aber jedes Gericht, bevor es serviert wird. Nichts ist hier dem Zufall
überlassen, so lässig es auch wirken mag. Die Musik wird lauter, die Gespräche und Gelächter füllen den Raum, darüber tönen die Kommandos der Köche. Es ist der Sound des Marktes.

Irgendwann nach der Hauptspeise dreht der Bartender die Regler auf volle Lautstärke. Die Köche
tanzen in den Gastraum und schlagen im Takt auf ihre Pfannen. Elizier deutet einen Bauchtanz an und singt aus voller Kehle, eine Dame zerschmettert, von ihm angefeuert, zwei Porzellanteller auf dem Boden, auf den Stühlen stehen Gäste und grooven im Takt. Das Kochen, hatte Eliezer zuvor
noch erklärt, sei für ihn das Wichtigste im Leben. Wie auch nicht? Mehr Leben kann
im Kochen gar nicht sein.