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Der Maestro des Blechs

Der Maestro des Blechs

Im norditalienischen Vicenza betreibt Alonso Corato eine Werkstatt, die Porsche-Passionisten aus der ganzen Welt anzieht. Seit mehr als 45 Jahren schon. Er ist Originalist aus Überzeugung und ein meis-terlicher Blechskulpteur.

Der Tag des Abschieds rückt näher. Alonso Corato weiß
das. Bald wird der Porsche Coupé 1600 SC, dessen entkernter
Metallleib gerade in der Lackierkabine auf sein
neues Glanzkleid wartet, die Werkstatt wieder verlassen.
»Es ist wie der Abschied von einem Kind, das in
die Welt hinaus geht«, sagt Alonso
Corato, der Mann, der den 356er, Bj.
1964, in den letzten Monaten seiner
Wiedererweckung begleitet hat.
Wie immer wird ihm der Abschied
schwerfallen. Wie immer werden er
und seine erwachsenen Kinder Rosita
und Cristiano am roten Werkstatt-Tor
stehen und dem strahlend schönen
Auto nachwinken. »Da geht wieder
einer von uns«, wird Alonso Corato
sagen und sich vielleicht einmal ganz schnell mit dem
Handrücken über die Augen fahren.
Die meisterlichen Hände des Karosseriebauers aus dem
norditalienischen Vicenza haben schon so vielen Porsche-
Oldtimern zu neuem Leben verholfen, darunter
auch dem einen oder anderen hoffnungslosem Fall.
Seit mehr als 45 Jahren betreibt der inzwischen 70-jährige
Carrozziere dort eine Restaurations-Werkstatt, die
Porsche-Passionisten aus der ganzen Welt anzieht. Er
hat mit Ferraris begonnen, wie es einem Italiener gebührt.
Aber seit vielen Jahren gilt seine wahre Liebe
den Luftgekühlten aus Zuffenhausen.
»Mich fasziniert die Eleganz, die Einfachheit, die harmonische
Linienführung«, sagt Corato. Er ist keiner,
der zu viele Worte macht. Aber wer sieht, wie wissend
und fast zärtlich seine Hände über die Flanke eines
356ers streichen, ahnt, wie tief seine Passion reicht.
Alonso Corato ist mit Leib und Seele Originalist. »Das
Original ist immer das Beste«, sagt er. »Und unsere Aufgabe
ist es, so viel wie möglich davon zu bewahren.«
Das gelinge auch, erklärt sein Sohn Cristiano, der als
studierter Fahrzeugtechniker für die Werteinschätzung
der Modelle und weltweite Beschaffung von Ersatzteilen
verantwortlich ist. »90 Prozent bleiben Original, rund
acht Prozent sind ‘new old stock’, nur zwei Prozent neu.«
20 bis 30 alte Porsche gehen jährlich durch die Wiedererweckungs-
Werkstatt von Alonso Corato. Fünf bis
sechs Monate benötigen er und seine zehn Mitarbeiter
für jedes Modell. Auf der Warteliste stehen mehr als 40
Autos, gut zwei Jahre Geduld müssen neue Kunden mitbringen.
Sie kommen aus aller Welt, aus Deutschland,
den USA, Taiwan. Sammler, Passionisten, Investoren. »Es
hat sich herumgesprochen, dass mein Vater zu den wenigen
Karosseriebauern gehört, die immer noch in der
Lage sind, Wunder zu vollbringen«, sagt seine Tochter
Rosita, die sich um die Verwaltung und das Marketing
der väterlichen Firma kümmert.
Alonso Corato steht vor einer frisch eingetroffenen
Rostlaube, die erst auf den zweiten Blick als der Rest Sitze und hinterer Kotflügel fehlen. Rost überzieht das
Autoskelett wie eine brüchige Haut. »Den kriegen wir
wieder hin«, sagt Corato, »neun Monate, dann sieht er
wieder aus wie zu seiner besten Zeit.«
Es wird viel Arbeit kosten und ein kleines Vermögen,
aber natürlich lohnt es sich. Eine Restauration beginnt
bei 20.000 Euro, nach oben gibt es keine Grenzen. Cristiano
Corato weiß sehr genau, wie hoch die Margen sind
und wann eine sechsstellige Investition Sinn macht.
»Wir können viel selbst machen«, sagt er. »Das unterscheidet
uns von anderen Restaurier-Betrieben.«
Vor allem in der Blechbearbeitung macht seinem Vater
so schnell keiner etwas nach. Treiben, glätten, biegen
– Corato ist ein Meister darin. Er hämmert viel von
Hand oder mit Hilfe der gut 50 Jahre alten Biege- und
Rollenstreckmaschinen, die immer noch in Betrieb sind.
Für die rechte Heckteil des 356ers gibt es eine originale
hölzerne Klopfform als Vorlage. Die linke Seite treibt
Corato ohne Vorlage aus dem Blech. »Es reicht ihm,
dass er eine Hälfte sieht, die andere hat er im Kopf«,
erzählt Tochter Rosita. Alonso lächelt nur still. Er brüstet
sich nicht so gern mit seiner Arbeit. Dazu ist sie zu
selbstverständlicher Teil seines Seins. Die Wohnung der
Coratos liegt direkt neben der Werkstatt. Manchmal
klingeln Kunden am Wochenende oder späten Abend.
Corato macht immer auf. Und wenn es dringend ist,
begibt er sich auch nach Feierabend in die Werkstatt.
Noch heute bringt der Senior manchmal ein ganzes
Wochenende damit zu, ein kompliziertes Karosserieteil
aus Blech zu skulpturieren, an dem seine Mitarbeiter
zuvor verzweifelt sind.
»Erfahrung reicht dafür nicht«, sagt Rosita. »Es muss
auch ein Stück Genie dazu kommen. Wir sind nun in
der vierten Generation Carrozziere.« Stolz schwingt mit,
wenn Rosita von ihrem Vater erzählt. Als sie klein war,
holte er sie mit den restaurierten Ferraris und Porsches
seiner Kunden von der Schule ab. Statt mit Puppen spielte
Rosita mit den Modellautos, die ihr Vater als Großformat
in der Werkstatt auseinandernahm. Noch heute liegen
die Modellflitzer in der Vitrine im Werkstatt-Büro.
Auf dem Schreibtisch fungiert ein Porsche-Zylinder als
Stifthalter, ein anderer beherbergt einen Flakon mit
Raumduft. »Wir sind eine echte Porsche-Familie«, sagt
Rosita Corato lachend. Im Land der Ferraristas kommt
das schon fast einem Akt der Widersetzung gleich.
Die Robustheit und Verlässlichkeit, das begeistere ihn
an den alten Porsche-Modellen sagt Alonso Corato. Und
natürlich ihre Rennkraft. Schon als junger Mann träumte
Corato davon, einmal einen Rennwagen sein Eigen
zu nennen. So bescheiden er auftritt, Corato, der noch
heute fünf Mal die Woche Boxen geht und im Verein
die Jugend trainiert, hatte immer Spaß am Wettkampf.
Vor 18 Jahren brachte er einen Porsche nach Hause, der
nicht viel mehr war, als ein Haufen altes Blech. Darunter
aber verbarg sich ein 356er Speedster aus dem Jahr
1959. Die Coratos nannten ihn die »Nummer 1«, weil
er der erste familieneigene Porsche war. Und auch der
erste, den der Vater in den nächsten Monaten der Restauration
ganz auf seine eigenen Bedürfnisse zuschnitt.
Motorhaube und Türen fertigte er aus Aluminium, um
das Gewicht zu verringern. Er verstärkte die Bremsen,
jazzte die PS jazzte auf 110 hoch und verkürzte die
Gänge für bessere Beschleunigung.
Heute nutzt er die Familienkutsche gerne für Wochenend-
Fahrten mit seiner Frau, die Tochter fährt damit
Rennen. Oft wird sie auf ihren rasend schönen Speedster
angesprochen, und wo sie ihn habe restaurieren lassen.
Rosita muss dann nur auf das kreisrunde Logo auf der
Seite ihres silbergrauen Porsche deuten. Es ist das der
familieneigenen Werkstatt.
»Ganz oder gar nicht«, lautet deren Credo bis heute.
Keine halben Sachen. Jeder Oldtimer wird auf einer
Original Richtbank aufgebockt, um Unkorrektheiten
im Rahmen und Aufbau zu erkennen und sodann bis
aufs kleinste Schräubchen in alle Bestandteile zerlegt,
um wieder in Stand gesetzt zu werden. Oft treten dabei
die Flickwerke anderer Schrauber zutage. Grob eingeschweißte Blechflicken am Unterboden, notdürftig
überspachtelter Rostfraß an der Karosserie. All das gilt es
zu perfektionieren. Cristiano Corato dokumentiert jeden
Arbeitsschritt, wohl wissend, dass die Restauration Teil
der Geschichte ist. Was nicht Original ist wird entsorgt,
die brauchbaren Teile kommen in beschriftete Kisten
und Tüten. Leitungen und Gummis werden ersetzt,
Chromteile neu verchromt, Blechteile angefertigt – es
ist ein langer Prozess zurück zum Original und natürlich
weckt er Emotionen. »Diese Autos erzeugen ein Bild von
der Vergangenheit«, sagt Alonso. »Sie erinnern uns an
den Enthusiasmus von damals. Wie ein Parfum, dessen
Duft Erinnerungen wachruft.«
Irgendwann gegen Ende dieser Rückwärtsreise kommt
der Tag, an dem sie das erste Mal den Motor anwerfen,
der manchmal schon Jahre lang keinen Mucks mehr
von sich gegeben hat. Alonso sitzt am Steuer, er lässt
den Boxer-Motor an, hört sein Stottern, wie er kämpft,
abstirbt, es wieder versucht. Und sich dann plötzlich
an seine Kraft erinnert und diesen unvergleichlichen
Sound der Luftgekühlten in die Werkhalle röhrt. Die
Nachbarn eilen jedes Mal herbei und alle Mitarbeiter, die
die Restaurations-Reise begleitet haben. Sie jubeln, sie
beglückwünschen Alonso schulterklopfend und dieser
lächelt still. Er ist zufrieden, aber immer auch ein wenig
wehmütig. Weil er weiß, dass wieder einer gehen wird.