Wie arbeiten Journalist*innen in Zeiten von Corona? Welche Ressorts haben besonders gelitten? Und wie findet man einen Ausgleich zur Arbeit? Der Zündstoff hat mit vier Journalistinnen in Wien und Graz gesprochen.
Vera Gasber, 30, Videojournalistin und Producerin bei der ARD in Wien © Caro Strasnik photographyWenn man im Journalismus arbeitet, muss man immer schauen, dass man einen Ausgleich zur Arbeit findet, nicht nur während Corona.
Wie ist es, bestimmte Themen momentan weglassen zu müssen, falls sie gerade nicht reinpassen, bzw. manchen Artikeln einen „Corona-Stempel" aufdrücken muss? Wir behandeln im Korrespondentenbüro in Wien ja nicht nur Österreich, sondern ganz Südosteuropa, das sind insgesamt 12 Länder. Wir berichten also auch über ein Erdbeben in Albanien oder die Abholzung des letzten Urwald Europas. Aber wie immer im Journalismus müssen bei der Themenauswahl die Relevanzkriterien beachtet werden, also Aktualität, Nähe, Skurrilität, im Moment ist da Corona nun einmal ganz vorne.
Haben sich Leser*innen beschwert in den letzten Wochen? Direkt hätte ich das nicht mitbekommen, nein. Wir versuchen aber auch den Einfluss von Corona auf andere Themen zu behandeln. Auf unserem Blog ( Anm.: ard-wien.de) haben wir zum Beispiel auch einen Beitrag über den Einfluss von Corona auf die Pressefreiheit in Südosteuropa und Österreich gemacht, da haben wir sehr positives Feedback von einem Uni-Professor bekommen. Sowas freut mich immer sehr.
Wie ist es, Journalismus von zuhause aus zu betreiben, was fehlt dir an der redaktionellen Arbeit? Wir haben trotz Krise täglich zwei Redaktionskonferenzen, jetzt eben per Video. Allgemein muss viel mehr zwischen den einzelnen Mitarbeiter*innen kommuniziert werden, damit jede*r weiß, was die anderen gerade für einen Bericht gestalten. Diese Videokonferenzen funktionieren, aber ein gemeinsames Mittagessen fehlt mir sehr, bei dem man über seine aktuelle Arbeit spricht und einfach miteinander kommuniziert. Viele Menschen haben ja im Alltag den meisten Kontakt mit ihren Arbeitskolleg*innen, das kann sich glaube ich schon auf die Psyche schlagen, wenn das einfach wegfällt. Ich freue mich schon sehr, wieder regelmäßig ins Studio zu dürfen. Momentan dürfen immer nur einzelne Leute ins Büro um zum Beispiel Technik zu holen, die sie unbedingt brauchen, aber da dürfen auch nie zu viele gleichzeitig dort sein.
Wo findest du für dich Ausgleich, wenn du dich den ganzen Tag mit so einem bedrückenden Thema beschäftigen musst? Ich glaube, wenn man im Journalismus arbeitet, muss man immer schauen, dass man einen Ausgleich zur Arbeit findet, nicht nur während Corona. Aber ich mache das wahrscheinlich wie die meisten Leute, ich mache Sport, spreche mit Freunden oder lese ein gedrucktes Buch und bleibe bewusst eine Weile offline.
Julia Wenzel, 26, Redakteurin bei der Presse in Wien
Dem Leser zeigen, es gibt auch anderes auf der Welt als Corona.
© PrivatWie ist es, bestimmte Themen momentan weglassen zu müssen, falls sie gerade nicht reinpassen, bzw. manchen Artikeln einen „Corona-Stempel" aufdrücken muss? Weglassen ist vielleicht ein bisschen relativ, weil es im Moment einfach so viele Corona-Themen gibt, dass man oft gar keine Zeit hat, zu anderen Themen zu recherchieren. Die Themenlage lässt da einfach im Moment nichts anderes zu. Wir haben aber in der Presse am Sonntag auch immer längere Geschichten, da habe ich zum Beispiel eine doppelseitige Reportage über Intensivstationen gemacht, dafür hat man dann auch mehr Zeit zu recherchieren.
Welches Ressort hat deiner Einschätzung nach bisher am meisten unter der Krise gelitten? Von den tagesaktuellen Ressorts auf jeden Fall der Sport, da sind die Kolleg*innen auch in Kurzarbeit. Die Kultur hat natürlich auch gelitten, da ist tagesaktuell einfach weniger zu tun. Wir haben ja auch Wochenressorts, also Ressorts, die einmal in der Woche in der Zeitung erscheinen, zum Beispiel Reise und das Schaufenster, da sind die Kolleg*innen auch in Kurzarbeit und diese Beilagen erscheinen im Moment auch nur alle zwei Wochen.
Haben sich Leser*innen beschwert in den letzten Wochen? Mit den richtigen Leserbriefen beschäftigen sich zwei Kolleginnen, die sehe ich nur, wenn direkt an mich was kommt. Da versuche ich immer sehr höflich zu antworten. Direkt an mich adressiert hätte ich da nichts mitbekommen. Man kann aber glaube ich sagen, dass in der Bevölkerung eine gewisse Sättigung an dem Thema Corona herrscht. Wir sind in der Redaktion sehr offen für alles, was nicht Corona ist und forcieren mittlerweile auch „Non-Corona"-Themen, das wollen glaube ich auch die Leser*innen.Im Moment ist einfach die ganze Gesellschaft, die ganze Welt, mit diesem Thema beschäftigt. Langsam kommen aber wieder von allein mehr Themen, die Wien-Wahl im Herbst zum Beispiel oder die Rendi-Wagner ( Anm.: Sitzung des SPÖ-Parteivorstands) gestern.
Ab wann ist Corona nicht mehr das „Thema des Tages"? Das ist ganz schwer zu sagen, in den Redaktionskonferenzen merkt man aber, dass es Bemühungen gibt, Abwechslung hineinzubringen. Dem Leser zu zeigen, es gibt auch anderes auf der Welt als Corona.Aber solange es täglich Pressekonferenzen von der Regierung gibt und es weltweit so viele Fälle gibt, bleibt das sicher noch länger präsent. Manche Länder sind ja erst mittendrin, das muss man auch beachten. In Österreich sind dann vielleicht bald eher die wirtschaftlichen Themen im Fokus, vor allem bei uns als Zeitung mit Wirtschaftsschwerpunkt. Da aber jetzt einen genauen Zeitpunkt zu sagen, ist wohl Kaffeesudleserei... Aber für mich kann ich sagen: Meine Themen ( Anm.: im Inland- bzw. Chronikressort) werden sicher noch länger mit Corona zu tun haben.
Wo findest du für dich Ausgleich, wenn du dich den ganzen Tag mit so einem bedrückenden Thema beschäftigen musst? Ich wohne in einer WG mit zwei Mitbewohnerinnen, mit den beiden habe ich am Abend immer viel geredet, um das zu verarbeiten, was am Tag so passiert. Manchmal konnte ich sie auch ein bisschen beruhigen, wenn sie Fragen hatten. Ich hatte ja doch Informationen aus quasi erster Hand. Ich habe auch ganz viel Sport gemacht, war sehr viel laufen und auch spazieren. Den Kontakt mit anderen habe ich auch aufrecht erhalten, Houseparty und Skype haben wir da sehr oft benützt. Aber in der Intensivphase, so von Mitte März bis Mitte April war es schon sehr heftig, da habe ich mir auch einmal vier Tage frei genommen und nur gelesen und Sport gemacht, weil mir das sonst zu viel geworden wäre. Ich mache auch manchmal die Online-Dienste, also die Spätdienste, wo die Website betreut werden muss - das ist dann der Super-GAU, vor allem mit dem Live-Ticker, da könnte man ja quasi minütlich was Neues zu Corona schreiben.
Hannah Michaeler, 23, Redakteurin bei der Steirer Krone in Graz
Mir fehlt das, was den Journalismus für mich so schön macht: Draußen sein, Menschen zu treffen.
© David BaumgartnerWelches Ressort hat deiner Einschätzung nach bisher am meisten unter der Krise gelitten? Jedes einzelne auf seine eigene Art und Weise, die Themensetzung hat sich eben verschoben. Vermutlich das Sport- und Kulturressort. Obwohl es weiterhin kein Problem ist, eine Kulturseite vollzukriegen. Langsam kommen neue Kultur-Angebote auf, exklusive Vorstellungen, für die man dann auch virtuellen Eintritt bezahlt. Um Institutionen wie das Burgtheater oder die Oper muss man sich keine Sorgen machen, die werden finanziell vom Staat getragen. Aber gerade die kleinen Theater, gerade in Gesprächen mit kleinen Kulturbetreibenden wird dir bewusst, wie schlimm die aktuelle Lage ist. Wenn jemand vor dir sitzt, der nicht weiß, ob er seine Wohnung halten kann. Aber auch das Reise-Ressort, Pressereisen sind so wie andere Reisen momentan natürlich nicht möglich. Bei uns wurde die Gerichts-Berichterstattung erst letzte Woche wieder aufgenommen. ( Anm. der Redaktion: Zuvor wurden Redakteur*innen, die Öffentlichkeit, von Gerichtsverhandlungen ausgeschlossen, um ein eventuelles Ansteckungsrisiko zu vermindern.)
Wie ist es, bestimmte Themen momentan weglassen zu müssen, falls sie gerade nicht reinpassen, bzw. manchen Artikeln einen „Corona-Stempel" aufdrücken muss? Ein Corona-Stempel ist so gar nicht nötig. Die meisten Zeitungen haben momentan einerseits sowieso einen geringeren Seitenumfang, und andererseits passiert so viel, über das man berichten muss. Es gibt momentan kaum Raum für etwas anderes. Das Chronik-Ressort kommt wahrscheinlich als das einzige ohne Corona aus. Nicht-Corona Texte wären aber wünschenswert.
Wie ist es, Journalismus von zuhause aus zu betreiben, was fehlt dir an der redaktionellen Arbeit? Die interne Kommunikation ist um einiges schwieriger, statt zwei Konferenzen täglich haben wir momentan drei, die Arbeit ist natürlich anders, weil man keine Außentermine hat. Andererseits hat man vorher ja auch Interviews übers Telefon geführt. Aber man erzählt die Geschichten besser, wenn man näher an den Menschen dran ist. Mir fehlt das, was den Journalismus für mich so schön macht: draußen sein, Menschen zu treffen.Und natürlich fehlt der Kontakt zu den Kolleg*innen.
Katrin Fischer, 24, Redakteurin bei der Kleinen Zeitung in Graz
Du kannst dich nicht von deinem Beruf trennen, du bist Journalistin, aber du bist auch ein Mensch - und kein Roboter. Und das ist auch gut so.
© PrivatWelches Ressort hat deiner Einschätzung nach bisher am meisten unter der Krise gelitten? Besonders in der Verantwortung ist natürlich das Chronik-Ressort. Neue APA-Meldungen kommen im Minutentakt: Manchmal weiß man gar nicht mehr, wo man zuerst „hingreifen" soll. Für die Menschen in der Region ist das Bundesland-Ressort Ansprechpartner Nummer Eins. Die Kolleginnen und Kollegen helfen bei der Einordnung von der Makroebene, das was im Bund entschieden wird, bis zur Mikroebene, was das für die Menschen in ihren einzelnen Gemeinden bedeutet. In meinem Ressort Besser Leben hat unsere Gesundheitsverantwortliche wohl den größten Mehraufwand. Hier müssen Fragen zu Impfungen und der Ansteckungsgefahr beantwortet und eingeordnet werden. Auch bei meinem Themenbereich hat sich der Arbeitsaufwand nach oben potenziert. Normalerweise erscheint die Kinderzeitung einmal pro Woche. Seit den Ausgangsbeschränkungen liefern wir zusätzlich einmal am Tag ein Erklärstück für Kinder. Täglich erreichen uns über die Nachrichten unzählige Meldungen, die selbst für so manch einen Erwachsenen kaum mehr zu bewältigen sind. Kinder leben nicht im luftleeren Raum, sie tun sich schwer, diese Bilder zu verarbeiten. Dabei wollen wir ihnen helfen. Natürlich leiden das Kultur- und das Sport-Ressort durch die ausfallenden Veranstaltungen. Die Kultur macht momentan das, was von daheim möglich ist: Filmkritiken, Rezensionen über Bücher, das Vorstellen neuer Musik. Im Sport wurden Ressourcen frei, die jetzt die Chronik unterstützen.
Wie ist es, bestimmte Themen momentan weglassen zu müssen, falls sie gerade nicht reinpassen, bzw. wenn man manchen Artikeln einen "Corona-Stempel" aufdrücken muss? Ich empfinde eigentlich kein Gefühl der Einschränkung, aber es wird mit der Zeit monothematisch für einen selbst. Wir haben erst heute eine Geschichte für die Kinderzeitung geplant über Probleme und Dinge, über die gerade niemand spricht, die aber noch immer genauso wichtig sind, wie zum Beispiel der Klimawandel. Natürlich auf Kinderebene runtergebrochen. Aber natürlich muss man Abstriche machen und manche Geschichten drehen, damit sie Corona mitnehmen.
Wie ist es, Journalismus von zuhause aus zu betreiben, was fehlt dir an der redaktionellen Arbeit? Besonders die Kinderzeitung entsteht stark im Miteinander, in der leidenschaftlichen Diskussion untereinander. Wir tüfteln alle gemeinsam an der Ausgabe, gemeinschaftlich. Sowas über den Bildschirm auszutragen, ist eine große Herausforderung. Das Miteinander macht das Produkt und den Erfolg aus. Und mir fehlen die Kids, das Verfassen von Reportagen, rauszugehen und zu sehen, wie Kinder ihre Nervosität überwinden, wenn sie gemeinsam mit mir jemanden zum Interview bitten. Oder ihre erste Anmoderation für ein Video machen.Mir fehlt das „Gschichten erzählen". Ein Anruf ist einfach nicht dasselbe.
Beitragsbild © Caro Strasnik photography, David Baumgartner, privat
Verfasst von Jenny Knabl und Astrid Wenz.
Die Autorinnen empfehlen, spontane Artikelideen öfter in die Tat umzusetzen. So entstehen manchmal die besten und interessantesten Geschichten.
Aus der Online-Ausgabe SS20