Die Mittelschule Schop79 galt einst als Brennpunktschule, das Karl-Popper-Gymnasium ist auf Hochbegabte spezialisiert. Beide wurden für ihre Innovationskraft ausgezeichnet. Was sind ihre Erfolgsrezepte? Ein Besuch bei Schülern und Lehrern.
DATUM Ausgabe Dezember 2021
Wer zur richtigen Uhrzeit im Stiegenhaus der Währinger Mittelschule ›Schop79‹ steht, kann den Pausen- und Stundenbeginn gar nicht überhören. Die Glocke hallt mit Inbrunst im gesamten Altbau nach. Kinder und Jugendliche kämpfen schreiend und lachend dagegen an, in einer Eskalationsspirale aus laut gegen lauter schickt sie die Glocke zu guter Letzt doch zurück in ihre Klassen.
Am diagonal anderen Ende von Wien, in der Sir-Karl-Popper-Schule am Wiedner Gürtel, läuten seit mehr als zehn Jahren keine Glocken mehr. Der Unterricht läuft hier trotzdem ungestört weiter. Jugendliche wechseln selbstständig ihre Klassen. In den Augen der hiesigen Lehrkräfte repräsentieren Schulglocken das - vielleicht unbewusst - fehlende Vertrauen in junge Menschen. An keiner Uni läuten Alarme. Im Berufsleben halten alle ihre Termine ein. Menschen hätten die Uhr erfunden, um zu wissen, wie spät es ist, sagt ein Lehrer hier, und zumindest ab der Unterstufe würden sie Jugendliche lesen können. Doch Schulglocken bilden nur die Eisbergspitze eines weit größeren Problems, das in vielen Bildungseinrichtungen herrscht. Beim Läuten der Glocke schwingt eine Bevormundung mit, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung verhindert. Zwei Kompetenzen, die junge Menschen mehr denn je brauchen. Zwischen Klimakrise und unkontrollierbar anmutenden Globalisierungs- und Digitalisierungsschüben müssen sie ihren Weg finden, um in der Welt zu bestehen.
Wofür lernen, wenn es keine Zukunft gibt? Aus dieser Frage ist die weltweite Klimabewegung ›Fridays for Future‹ entstanden. Bereits seit einigen Jahren versuchen große internationale Organisationen wie Unesco oder oecd, Antworten darauf zu liefern. Sie haben Anleitungen entworfen, wie Schulen ihre Schüler lehren können, für sich selbst einzutreten. Wie sie Werkzeugkoffer schaffen, die Jugendliche bei nichts Geringerem als der Rettung ihrer eigenen Zukunft unterstützen. Dazu gehören Skills und Wissen rund um Nachhaltigkeit, Antirassismus und vor allem Eigenermächtigung. Diesem und mehr Zielen haben sich auch zwei Schulen in Wien, die Schop79 und die Sir-Karl-Popper-Schule, verschrieben. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Mittelschule in der Schopenhauerstraße wurde schon als ›Brennpunktschule‹ betitelt, in der Popper- Schule lernen vor allem Hochbegabte. Aber beide eint eine im trägen österreichischen Bildungssystem alles andere als selbstverständliche und durch namhafte Auszeichnungen belegte Innovationskraft.
Auf den ersten Blick scheinen die Möglichkeiten an der Schop79 beschränkt. Sie ist die einzige öffentliche Mittelschule in Währing, fast hundert Prozent der Schüler haben eine andere Erstsprache als Deutsch. Zwei Hausnummern weiter steht die Polytechnische Schule. Sie wirkt wie ein vorgezeichneter Weg, auf dem die Schüler von nebenan nur noch die Tür wechseln müssen. Davon lassen sich die Lehrkräfte aber nicht einschüchtern.
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