Gewalttätige Ausschreitungen in Kiew überschatteten die Abstimmung über eine Verfassungsreform der Ukraine. Die Proteste richteten sich gegen eine Dezentralisierung des Landes und eine dadurch befürchtete Abspaltung der pro-russischen Separatisten-Gebiete. Jedoch würde eine solche Reform ganz wesentlich zur Korruptionsbekämpfung beitragen, erklärt Maksym Folomieiev im Interview.
8. September 2015
Arthur Molt: Was sind die wichtigsten Veränderungen, die die Reform zur Dezentralisierung mit sich bringen wird?
FOLOMIEIEV: Das ukrainische administrative System funktioniert immer noch in weiten Teilen wie zu Sowjetzeiten. Es ist sehr ineffizient, weil es keine Regelung für die Selbstverwaltung gibt. Die Verfassungsänderung wirkt sich vor allem auf die finanziellen Mittel der Regionen aus. Wir haben immer noch ein sehr zentralisiertes Modell, wenn es um öffentliche Gelder geht. Die Hauptstadt Kiew entscheidet über die Budgetvergabe. Und es gibt Zweifel an der korrekten Verwendung dieses Geldes.
Ja, teilweise tun sie das.
Die Dezentralisierung gehörte nicht zu den Hauptforderungen des Euro-Maidan. Für Sachverständige war es ein wichtiger Aspekt, aber nicht für die breite Öffentlichkeit. Im Vordergrund standen die Korruption und die zukünftige außenpolitische Orientierung der Ukraine. Die Dezentralisierung ist ein Konzept, das den Menschen erst noch erklärt werden muss.
Das Problem ist, dass die Leute Dezentralisierung mit Föderalisierung gleichsetzen. Sie denken, dass die Reform einen Sonderstatus für die von Rebellen besetzten Gebiete im Donbass gewähren wird. Das Ziel der Reform war vielleicht nicht gut genug erklärt.
Am Montag sahen wir nur die erste Lesung im Parlament. Die Diskussion wird noch weitergehen. Und wir sollten nicht vergessen, dass es eher eine kleine Gruppe von Radikalen ist, die Gewalt eingesetzt hat. Es ist gefährlich, ein ganzes Land aufgrund des Verhaltens eines Mannes zu verurteilen, der eine Granate auf Sicherheitskräfte geworfen hat.
In Kriegszeiten gibt es eine Menge Leute, die enttäuscht sind und alles auf einen Schlag entscheiden wollen. Es gibt eine Reihe von Kompromissen, die manchmal schwer zu akzeptieren sind.
Wenn es nur um politische Fragen ginge, könnten wir sie leichter diskutieren. Aber jetzt haben wir eine Menge Opfer des Krieges im Osten. Und unter diesen Umständen ist es schwierig, politische Verfahren zu moderieren.
In Lugansk und Donezk gibt es momentan keine gewählten Regierungen, sodass die Selbstverwaltungsreform nicht für sie gilt. Gemäß der Minsk-Abkommen muss es zunächst ein Ende der Kampfhandlungen, eine Kontrolle der Grenzen und freie Wahlen unter ukrainischem Recht geben. Nur dann können wir über die Umsetzung dieser Änderung in dem Gebiet sprechen, das derzeit unter Kontrolle der Rebellen steht.
Teile der ukrainischen Opposition sehen diese Reform als Risiko für weiteren Separatismus. Was entgegnen Sie darauf?
Das ist zu dramatisch. Die lokalen Behörden erhalten nur wirtschaftliche Macht. Ihnen wird keine politische oder legislative Macht gewährt. Abgesehen davon hat der Präsident die Befugnis, Handlungen zu stoppen, die gegen die Verfassung und die territoriale Integrität des Landes laufen.
In den sozialen Netzwerken kursiert der Witz, dass Präsident Putin nach den Ereignissen eine Flasche Champagner öffnen kann. Aufgrund einer Person werden russische Medien nun verbreiten, die Ukraine stehe unter Kontrolle von Radikalen. Jetzt haben wir Bilder für das Propaganda-Fernsehen.
Wir wissen um die Bedrohung durch gewalttätige Angriffe in Charkiw. Es war ein Bombenanschlag durch Anti-Maidan Demonstranten, bei dem im Februar dieses Jahres drei Menschen getötet wurden. Einer von ihnen war der Koordinator des Euro-Maidan in Charkiw. Wir sind nur 56 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.
Dezentralisierung kann als ein Weg nach Europa gesehen werden. Aber Föderalisierung auf der anderen Seite wird zum Zerfall der Ukraine führen. Das ist die Idee, die Russland fördert. Das sowjetische Modell war ein Modell einer Machtvertikale: alle Parteifunktionäre waren unter dem Kreml. Wir sind jetzt näher an einem normalen europäischen Modell, wo lokale Ebenen Probleme vor Ort lösen. Wir brauchen nicht einen guten Zaren, wir brauchen ein effektives Politikmodell.