3 abonnements et 6 abonnés
Article

30 Frauen: "Männer machen ständig schlechte Filme ohne mit der Wimper zu zucken"

Sabine Derflinger, die Allesbestimmerin. Als Kind übte sie das Kommandieren beim Spielen unter Freunden, heute müssen die Vorstadtweiber ihren Anweisungen folgen. Wir sprachen mit ihr über Film, Frauenquote und Feminismus.

Man bringe den Spritzwein! Ein besseres Motto hätte sich nicht einmal Michael Häupl selbst ausdenken können. Der Schauplatz: ein gut besuchtes Café im 19. Bezirk, das glatt in Vorstadtweiber vorkommen könnte. Auch zwei Spritzer stehen schon bereit, als Regisseurin Sabine Derflinger mit entschlossenem Schritt zur Tür hereinkommt.

Mit der ORF-Serie Vorstadtweiber sind Sie als Regisseurin einem großen Publikum im deutschsprachigen Raum bekannt geworden. Kritikern zum Trotz bezeichnete Programmdirektorin Kathrin Zechner die Vorstadtweiber kürzlich sogar als feministisch. Sind sie das?

Sabine Derflinger: Die Serie arbeitet natürlich mit Klischees. Gleichzeitig zeigt sie aber auch starke Frauenfiguren, die nicht nur brav, sondern auch böse und grausam sein können. Ich denke, das ist gerade im deutschsprachigen Fernsehen eine Seltenheit. Da gibt es oft diesen falsch verstandenen Feminismus, der Frauen zur heiligen Maria hochstilisieren will. Da wird nach weiblichen Figuren gesucht, die einen Heiligenschein tragen. Ich habe das Gefühl, dass oft versucht wird, vor lauter Unterprivilegiertheit und Benachteiligung plötzlich eine „Power-Woman" zu erschaffen. Das halte ich für Schwachsinn. 

In den USA scheinen Serien mit vielschichtigen Frauencharakteren dagegen keine Seltenheit mehr zu sein ... Sie waren die erste Frau, die beim österreichischen Tatort Regie geführt hat. Für Ihren zweiten, Angezählt, haben Sie sich mit dem Thema Prostitution in Wien beschäftigt - warum?

Der Fortschritt dort wurzelt darin, dass sich mächtige Schauspielerinnen wie Meryl Streep zu Wort gemeldet haben, die Probleme öffentlich ansprechen und Druck machen. Diese Schauspielerinnen haben den Willen und das Vermögen, etwas weiterzubringen. Und gerade Firmen wie Netflix gewähren den Filmemachern eine ganz andere Freiheit als hierzulande. Wir befinden uns in einer Wendebewegung, aber Europa hinkt deutlich hinterher. Da geht es immer drei Schritte vorwärts und zwei zurück.

Ich habe über dreißig Jahre die Welt der Prostitution für diverse Produktionen studiert und kenne, glaube ich, mittlerweile jedes Puff in Wien. Die Geschlechterfrage ist für mich ohne die Beschäftigung mit der verkauften Sexualität - mitsamt ihrem Glamour und der Sklaverei - nicht zu klären. Der Tatort ist ein tolles Format, um dieses Thema aufzuarbeiten und es dem Zuschauer näherzubringen.

Denken Sie, dass Filme von Regisseurinnen anders sind als die ihrer männlichen Kollegen? Frauen sind in den letzten Jahrzehnten im Film ausschließlich aus männlicher Sicht dargestellt worden. Hat sich das auch auf die Filme ausgewirkt?

Es hat etwas Spezielles, wenn eine Frau hinter der Kamera steht. Die meisten legen in ihren Geschichten Wert auf andere Details als Männer und haben ein anderes Gespür für die Machtverhältnisse der Geschlechter. Frauen waren nie an der Macht, und das erkennt man an den Filmen. Auch, wenn viele Regisseurinnen mit ihrem Frausein nicht konfrontiert werden wollen, sehe ich einen Unterschied.

Woran liegt es, dass es Frauen bisher so schwer hatten, als Regisseurinnen Fuß zu fassen?

Wir Frauen haben in der Gesellschaft über Jahrtausende nur durch den Blick eines Mannes überhaupt existiert! Deswegen ist es absolut notwendig, dass auch Frauen Geschichten erzählen und präsent sind. Ich denke, dass Regisseurinnen die Fähigkeit besitzen, in einer gewissen Intimität zu arbeiten und das scheinbar Nebensächliche auszuarbeiten, das sonst aus der großen Erzählung herausfallen würde.

Meine Erfahrung aus den letzten Jahren hat gezeigt, dass die Antwort darauf sehr banal ist: Wenn man Frauen wegdrängt, dann hat man die Hälfte der Konkurrenten vom Futtertrog vertrieben. So simpel ist die Welt. Da kann man auch gewisse Parallelen zur Ausländerfrage ziehen. Da geht es weniger um Werte als um die persönliche Bereicherung. Frauen schließt man aus, um mehr für sich zu behalten. Es geht gar nicht um fehlendes Verständnis für Frauen. Überhaupt nicht.

Eine Frauenquote ist Ihrer Meinung nach also notwendig?

Ja. Aber beim Wort „Quote" schreien alle wie am Spieß: „Oh, die Qualität des österreichischen Films geht den Bach hinunter, wenn wir die Quote haben!" Aber auch Männer machen ständig schlechte Filme, ohne mit der Wimper zu zucken.Die Quote muss ja nicht dauerhaft sein. Es geht darum, Maßnahmen zu setzen, damit etwas vorwärts geht. Ich bin gespannt, was Frauen und Männer in Zukunft voranbringen. Feministisch gesehen ist es ja nicht genderabhängig, sich für eine geschlechtergerechte Welt einzusetzen. Der Beruf Regisseurin steht bei den wenigsten Mädchen auf der Liste der Berufswünsche. Wie war das bei Ihnen? Rückwirkend betrachtet war der Wunsch schon immer in mir. Ich habe mich schon als Kind gerne verkleidet und meine Freundinnen beim Spielen herumkommandiert. Dabei war die Vorstellung, Regisseurin zu werden, in den Achtzigerjahren am Land utopisch. Das ist heute anders! Jeder hat ein Handy, kann Filme drehen und sie ins Internet stellen. Gut so!

Rétablir l'original