Das Essen mag nicht das allerbeste sein, aber trotzdem ist das Restaurant "The Ivy" in Beverly Hills der Treffpunkt der Reichen, Schönen und Berühmten - und derer, die es noch werden wollen. Von Ariane Sommer
Die Schlange der Wartenden, die bis auf den Bürgersteig des Robertson Boulevards reicht, riecht nach dem neuesten Duft von Michael Kors, und ein bisschen nach Angstschweiß. Selbst mit einer Reservierung ist eine gute Lage des vorbestellten Tisches nicht gewährleistet.
Man könnte, Schockschwerenot, drinnen geparkt werden. In dem sonnengelb gestrichenen Raum mit Americana an den Wänden, unweit der Küchentür. Soziales Sibirien sozusagen. Sitzordnung ist hier Rangordnung. Und hier ist "The Ivy". Das meistgeliebte und meistgehasste Restaurant von Los Angeles.
Ich habe Glück, ich werde mit meiner Begleitung, einer Anwältin, vom Oberkellner an einen der begehrten Tische auf der Terrasse dirigiert. Die weißen Schirme, die sich zwischen uns und den blauen Himmel spannen, filtern das Licht gnädig, eine Art Instant-Photoshop. Das Dekor ist, im Gegensatz zu anderen angesagten L.A.-Restaurants, dezidiert anti-trendy.
Es sieht aus, als ob eine Valentinstagskarte explodiert ist. Wohin man schaut: Blumen. Sie quellen aus Vasen, sprießen auf Kissen, Tellern, Speisekarten, sogar auf den Krawatten der Kellner. Von den Fensterläden und Säulen des Backsteinhäuschens blättert fotogen die Farbe ab. Shabby Chic, schäbig-schick, nennt man das.
Das who's who von HollywoodWer einander auf dem dicht gedrängten Patio den Stuhl ins Kreuz drückt, ist wer. Dieser Annahme sind zumindest alle Anwesenden, die ihre Hälse verrenken, um zu sehen, wer außer ihnen noch so da ist. Man könnte ja was, oder wen, verpassen.
Die Liste der Gäste, die seit der Eröffnung im Jahr 1983 "The Ivy" frequentieren, liest sich wie ein Who's who von Hollywood. Michael Jackson und Madonna aßen Mitte der Neunziger oft hier zu Abend. Victoria Beckham und Katie Holmes, damals noch Cruise-Anhängsel, inszenierten ihre öffentliche Zweckfreundschaft beim Lunch.
Demi Moore deklarierte "The Ivy" zu ihrem Lieblingsrestaurant. Der scheue Woody Allen sitzt freiwillig im Hinterzimmer, er kommt wegen der pochierten Artischocken, nicht wegen der Aufmerksamkeit. Für die kommen Popstars wie Gwen Stefani und Christina Aguilera sowie die komplette It-Girl-Riege: Paris Hilton, Kim Kardashian, Lindsay Lohan. Neulich führte Robin Thicke seine Mutter zum Mittagessen ins "Ivy" aus.
So unterschiedlich sie sein mögen, eines haben die Prominenten, die hier aufschlagen, gemeinsam: Sie wollen gesehen werden. Um neue Beziehungen zu dokumentieren, Trennungen zu dementieren und sich selbst zu zelebrieren. Nur ein weißer Zaun trennt die Gäste vom Bürgersteig und den dort kampierenden Paparazzi.
Vor ein paar Tagen war Matt Damon da, erzählt meine Bekannte. Den hat aber keiner erkannt, weil er mit seiner Baseballkappe wie ein Tourist aussah. Heute sitzen bloß ein paar Selbstdarstellerinnen der Reality Show "The Real Housewives of Beverly Hills" auf der Terrasse. Was der Begeisterung der Touristen in den Bussen, die auf Promi-Safari durch die Stadt kutschiert werden, keinen Abbruch tut. Zwei Paparazzi lungern in der Mittagssonne vor dem Restaurant herum, in der Hoffnung, jemandem in den Rachen zu blitzen.
Lionel Richie soll das Grundstück gehörenZur Mittagszeit summt es hier wie in einem Bienenstock. Agenten aus einer der benachbarten Agenturen tüten Filmdeals für ihre Klienten ein. Hip-Hopper lassen ihre diamantverkrusteten Uhren in der Sonne um die Wette glitzern. Brasilianische Twens mit Kabbalah-Bändchen stellen erschöpft Einkäufe aus angrenzenden Edelboutiquen wie Chanel, Ralph Lauren und Kitson unterm Tisch ab.
Dazwischen die "Aquí! Aquí!"-Rufe der Latino-Wassernachschenker und Tischabräumer. Alles dezent untermalt von 70er-Jahre-Discomusik, "She's a brick house", als würde gleich Lionel Richie, dem übrigens das Grundstück gehören soll, aus dem Efeu springen. Den grünen Ranken verdankt das Restaurant auch seinen Namen.
Eine der Beverly-Hills-Hausfrauen schiebt sich verstohlen ein Stück Scone zwischen die Backen. Das Buttergebäck wird umsonst gereicht und allgemein als "Ivy Crack" bezeichnet. Auf den rügenden Kommentar ihrer Nebensitzerin hin erklärt sie, dass sie sich den Bissen nachher beim Spinlates (20 Minuten auf dem Fahrradergometer + 40 Minuten Pilates = 60 Minuten Hölle) wieder abtrainieren wird. Außerdem hat sie morgen eine Colonic Irrigation geplant. Das klingt nach Kolonialzeit-Gartenbewässerungsmethoden, ist aber eine Darmspülung. Sie überlegt, diese auch für die TV-Show dokumentieren zu lassen. Na dann, bon appétit!
Knallharte VerkäuferDer Kellner händigt uns die Speisekarten aus. Wir werden von Robin bedient, einem netten Schotten, der sich durch den Job seine Leidenschaft fürs Tiefseetauchen finanziert. Ob wir schon etwas trinken wollen? Von dem stets freundlichen Lächeln, den pinkfarbenen Hemden und den Blumenexplosionen auf den Kellner-Krawatten darf man sich nicht täuschen lassen. Alles Tarnung. Hinter dem lieblichen Äußeren verbergen sich knallharte Verkäufer. Leitungswasser? Wirklich? Nein, natürlich nicht, sagt man hastig und hat, schwupps, ein Mineralwasser für zehn Dollar auf dem Tisch. Upselling heißt das.
Manchmal wird auch in eigener Sache verkauft, so wie der kellnernde Schauspieler mit der Radiostimme. Neulich servierte er einem Produzenten neben der Rechnung seine Visitenkarte. Auch Ashley Judd hat mal hier gekellnert, bevor sie es als Schauspielerin schaffte.
Die Gerichte auf der Karte sind das, was man Nouvelle American Cuisine nennt und was so viel bedeutet wie: ein wenig schizophren. Ein Hauch Kalifornien (frische Santa Barbara Krabben, jede Menge Salate und Bio-Säfte), ein Schuss Mexiko (Guacamole und Tortillas), eine Prise Italien (Taglierini mit Porcini), ein wenig Frankreich (ein Glas Château d'Yquem für 70 Dollar) und eine Messerspitze New Orleans (Mais-Suppe). Hummer-Pizza ist kein Widerspruch.
Und von Ivy's Grilled Vegetable Salad hat Gwyneth Paltrow sich in ihrem Kochbuch "My Father's Daughter!" zu ihrem "My Ivy Salad" inspirieren lassen. Etwas, das die Besitzer und Eheleute Richard Irving und Lynn von Kersting als Kompliment auffassen. Viele Gerichte stehen schon seit Jahrzehnten auf der Karte, ungewöhnlich in einer Stadt, wo alt werden als unanständig gilt, aber die Stammgäste mögen das. Andere sind brandneu und "very L.A.", wie etwa die glutenfreie Pasta. Oder der derzeitige Renner unter den Cocktails: "The Super Model". Ein Gemisch aus kalorienarmem (logisch!) Wodka, Blaubeeren, zuckerfreiem Ginsengsaft, Kokoswasser, Limette und Agaven-Nektar. Passenderweise der Lieblingsdrink von Victoria's-Secret-Engel Alessandra Ambrosio, die regelmäßig vorbeikommt.
Wir bestellen Salat für 25 Dollar (fleischlos) und 30 Dollar (mit zwei Garnelen). Günstig für "Ivy"-Verhältnisse, wo ein Steak locker 70 Dollar kosten kann. Ein Mann hinter uns echauffiert sich über den Preis seiner Enchiladas. "26 Dollar! In Seattle bekomme ich die für neun!" Genau, in Seattle ...
Um das Essen geht es hier nicht"The Ivy" wird geliebt oder gehasst. Und das Wort Hass ist durchaus nicht zu hoch gegriffen. In einem Online-Forum schreibt eine Frau: "Als ich im 'The Ivy' zu Mittag aß, mit meiner Schwester und meinen zwei wohlerzogenen Kindern, wurde uns mitgeteilt, dass wir das Restaurant verlassen müssen. Mein wunderbarer, fünf Jahre alter Sohn wurde durch diese Behandlung schwerst gekränkt, verletzt und traumatisiert.
An den Besitzer: Nächstes Mal, wenn ich Sie im 'Mr. Chow' sehe, werde ich in Ihr Gesicht spucken. Und in das Ihrer Frau auch." Ein anderer Gast beschwert sich: "Der Hummer schmeckte nach Füßen und das Gericht hatte Happy-Meal-Proportionen."
Der nette Schotte stellt die Salate vor uns ab. Sie schmecken ausgezeichnet. Aber um das Essen, ob man es mag oder nicht, geht es hier auch nicht. Das Erfolgsrezept des Restaurants, das sich in dem launischen Gastronomiemarkt von Los Angeles schon seit über 30 Jahren hält, ist ein anderes. "The Ivy" ist ein Illusionskokon, eine Projektionsfläche. Hier sieht man die Welt durch Rosé-Champagner-farbene Gläser. Auf gefühlten 30 Quadratmetern spielt sich ein Mikrokosmos dessen ab, was die Außenwelt sich unter L.A. vorstellt. Und die Angelenos spielen mit.
Ein Rolls-Royce Wraith fährt vor. Seine Insassen, eine Blondine mit Vintage-Leder-Haut und ein junger Mann im Tommy-Hilfiger-Look werden prompt an einen Tisch vor dem weißen Zaun gesetzt. Auch der Wraith bekommt einen Platz in der ersten Reihe, er wird direkt vor dem Restaurant geparkt, neben einem Ferrari California und einem Mercedes AMG. Porsche Cayennes, Range Rover und andere Nullachtfuffzehn-Wohlstandskarren werden von den Einparkern in eine Tiefgarage gefahren. Und falls es jemand wagt, mit einer Familienkutsche vorzufahren, reißen die Einparker die Wagentüren auf und zerren die Insassen, unter Vorgabe zu helfen, aus dem Gefährt, um es schnellstmöglich verschwinden zu lassen. Der junge Mann greift nach der Hand der Blondine, küsst sie und nennt sie "Daaaahling". Diese Pärchenkonstellation ist, besonders in L.A., erfrischend.
Touristen kreischen "Oh my God!"Auch die Toilette erfrischt mit Unerwartetem. Neben dem Waschbecken liegt Adidas-Parfum aus. Das habe ich zuletzt in den Neunzigern im Drogeriemarkt gesehen. Auf dem Rückweg zum Tisch entdecke ich einen Bekannten in der Schlange zu den zwei einzigen Toiletten. Verschwörerisch zeigt er auf seine ausgebeulte Hosentasche. Inzwischen hat er fast das gesamte Geschirr- und Besteck-Set des Restaurants zusammengeklaut. Die Arbeit von Jahren. Besagter Freund ist übrigens Multimillionär und besitzt ein halbes Dutzend Strandhäuser in Malibu.
Der dritte Bus des Nachmittags hält vor dem weißen Zaun. Der Fahrer winkt hysterisch und die Touristen kreischen "Oh my God!", als sie die Beverly-Hills-Hausfrauen entdecken. Ganz klar, eine Offenbarung für die Weitgereisten.
"Jesus!", schreit ein schinkengesichtiger Mann mit New-York-Yankees-Kappe. Aber er meint nicht die Hausfrauen. "Jesus!", ruft er noch mal und zeigt in die Richtung einer sich langsam nähernden Gestalt auf dem Gehweg. Tatsächlich. Der Mann im weißen Wallegewand mit Bart und braunen Locken, die auf seine Schultern fallen, sieht aus wie der Messias persönlich.
In L.A. ist er kein Unbekannter. "Hollywood Jesus" verbringt seine Tage damit, die Straßen der Stadt auf und ab zu laufen und Fotos mit Fans zu machen. Sein bürgerlicher Name ist Kevin Lee Light und er ist, was sonst, Schauspieler. In der rechten Hand hält der Sohn Gottes einen Starbucks-Becher, mit der linken macht er eine segnende Geste Richtung Bus. Die Touristen flippen aus. Jesus Christ Superstar.
Angelina Jolie und Brad Pitt sucht man hier zwar vergeblich und auch das Essen mag nicht das allerbeste in Los Angeles sein, aber es schmeckt dennoch verdammt gut. Viel zu teuer, klar, aber sich darüber zu beschweren ist genauso sinnvoll, wie sich darüber aufzuregen, dass der Laden, über den in Hunderten von Magazinen und Blogs geschrieben wird, zu voll und zu snobistisch ist.
Von Menschen, deren Tagesoutfit mehr kostet, als die meisten im Monat verdienen, Edelkarossen und selbstbewussten Kellnern darf man sich nicht einschüchtern lassen. Eleanor Roosevelt sagte einmal sehr treffend: "Niemand kann dir, ohne deine Zustimmung, das Gefühl geben, minderwertig zu sein."