Deutschland gilt als Aushängeschild der europäischen Wirtschaft. Nirgendwo anders ist die Kaufkraft im Modebereich so hoch wie hierzulande. Nichtsdestotrotz spielt Deutschland immer noch keine große Rolle in der internationalen Modebranche. Paris, London, New York sind die Globalplayer der Modebranche. Städte wie Kopenhagen und Stockholm erobern sich dazu langsam ihren Platz in der etablierten Szene. Nur Berlin, München oder Düsseldorf hinken hinterher. The Business of Fashion bringt es diese Woche auf den Punkt: Deutschland hat den größten Markt - und trotzdem keinen Einfluss in der Modewelt. Woran liegt das? Schließlich gibt es doch Jil Sander, Hugo Boss sowie Escada und viele aufstrebende Designer wie Kaviar Gauche oder Achtland. Wir schlüsseln mal auf, was die möglichen Gründe dafür sein könnten, dass die Modewelt noch immer irgendwie ohne uns statt findet!
Experimente? Nein danke! Wir Deutschen lieben Understatement. Opulente Mode? Verrückte Experimente? Bei Minusgraden High Heels? Was in anderen Ländern und Städten völlig normal ist, gilt hierzulande als ungewöhnlich. Die Masse wagt keine Modeexperimente, gekauft wird, was gute Qualität hat (was keinesfalls schlecht ist) und praktisch ist. Hinzu kommt laut Business of Fashion, dass die meisten großen Modemarken in der Mitte des Marktes angesiedelt sind. High Fashion machen nur die wenigsten, Escada, Jil Sander und Hugo Boss sind also die Ausnahme. Die mittelständischen Modeunternehmen legen Wert auf kaufkräftige Kunden. Und das sind - laut Business of Fashion - immer noch die älteren. Praktische Mode und klassischer Stil verkaufen sich immer noch besser als neue Kreationen junger Designer. Im Gespräch mit Einkäufern habe ich folgenden Satz oft gehört: „Wir würden sehr gerne modischere Sachen einkaufen, doch unsere Kunden kaufen sie nicht. Deswegen setzen wir auf Nummer Sicher."
Die Mode und die Liebe zur Ästhetik Deutschland hat große Literaten sowie Kulturschaffende hervorgebracht - von Bertolt Brecht, Friedrich Schiller, Rainer Maria Rilke bis hin zu Goethe. An Modeschaffende erinnert sich kaum einer. Schade, aber Literatur, Malerei und Musik werden in Deutschland immer noch höher angesehen als Mode. Sie spielt nur eine untergeordnete Rolle. Natürlich lieben wir Karl Lagerfeld, aber irgendwie ist der ja doch mehr Franzose als Deutscher. Im Gegenteil: Wer sich hier mit Mode beschäftigt, ist irgendwie oberflächlich. Oft erlebt: „Mode ist ja schön, aber willst du nicht was Richtiges machen?". Hier stoße ich an meine Grenzen. Warum wird Mode in Deutschland so wenig Stellenwert eingeräumt? Business of Fashion schreibt: „Fashion simply does not run in Germany's blood in the way that it runs in the blood of the French and the Italians." Für junge Designer und Kreative macht diese Haltung es verdammt schwierig. Vom kreativen Umfeld bis hin zu günstigen Freiräumen für die Mode. Ohne Geld kommt man nicht weit. Und: Willst du mit (Mode-)Kunst Geld verdienen, musst du dich oft rechtfertigen. „Lern was gescheids", ein Satz, der vielleicht noch immer in vielen Köpfen steckt. Eine Folge unserer Vergangenheit? Zumindest bedeutet es, dass viele kreative Köpfe Deutschland verlassen, um in anderen Städten im Ausland kreativ arbeiten zu können.
„Fashion simply does not run in Germany's blood in the way that it runs in the blood of the French and the Italians."Der Helene-Fischer-Effekt Helene Fischer ist überall. In den Hitlisten Deutschlands, auf Platz 1 der Albumverkäufe, in der Werbung für einen Autohersteller genauso wie für Tchibo, und dann auch noch auf jeder zweiten Preisverleihung. Helene Fischer nervt. Diesen Eindruck verschaffen uns die Medien, die Facebook-Kommentatoren und das Mittagsgespräch in der Kantine. „Überall taucht diese Frau auf, sowas nerviges.", „Diese Lieder, ich hasse ihre Musik. Und damit verdient die auch noch Geld. Unfassbar." - Fakt jedoch ist: Helene Fischer ist noch keine 30, extrem erfolgreich, sie lebt den Traum vieler Mädchen, verdient jede Menge Geld und sieht gut aus. Eigentlich macht Helene Fischer nicht allzu viel falsch. Sie lebt nur im falschen Land. Während dir in den USA jeder zweite auf die Schulter klopfen würde für deinen Erfolg, leben wir hierzulande gerne nach dem Motto „Irgendwann reichts dann auch." So ein bisschen Erfolg gerne, aber so richtig - und das auch noch genießen? Nee, das geht dann doch ein bisschen weit. Willst du also richtig erfolgreich sein, gehst du ins Ausland. Das gilt für Musiker genauso wie für Modemacher. Karl Lagerfeld ging nach Paris, Kaviar Gauche machte einen Ausflug in die französische Metropole, während Jil Sander in Mailand zeigt und Achtland in London residiert.
Der deutsche Stil London ist ausgeflippt, Paris hat seinen eigenen Stil; Kopenhagen feiert den Minimalismus und New York erlaubt sich sowieso alles. Doch wo steht München, Berlin oder Hamburg? Fragt man nach dem Stil der Deutschen, klingt oft das Vorurteil des praktischen, funktionalen Deutschen vor. Doch eigentlich haben wir doch Stil. Nur nicht den einen. In der internationalen Modeszene ist es also schwierig, sich die eine Position zu sichern. Wofür steht Berlin als Modehauptstadt? Während andere Modestädte ganz klar sich positionieren können, kämpft unsere Hauptstadt noch immer um die Anerkennung. Der Stil bleibt außen vor - und wird vergessen. Dabei wäre das so wichtig, um langfristig Deutschland als Modeland zu etablieren. Hoffnung gibt es, denn Business of Fashion schreibt: "There is something rather solid about the German fashion houses, which is almost an opposite to la frivole française," said international Vogue editor Suzy Menkes, adding that, in a world where taste for spectacle is fading, "this could be Germany's moment.""
Fokussieren, sich Zeit geben und dann durchstarten. Vielleicht ist es - trotz des starken Marktes - noch immer zu früh, um international mithalten zu können. Wir dürfen nicht vergessen: Die Geschichte Deutschlands ist jung. Während die anderen Städte sich auf Mode konzentrieren konnten, musste hierzulande erstmal eine Hauptstadt gekürt werden. Ein Land wächst zusammen und das dauert. Gleichzeitig dürfte die Ernsthaftigkeit der Mode endlich wahrgenommen werden. Es bleibt spannend.
Während ich hier nur vier Erklärungen angedacht habe, gibt es sicherlich noch mehr mögliche Gründe. Was meint ihr sind die Gründe? Let's discuss!
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