30 Quadratmeter, Wellblechdach, an den Außenwänden weißer Putz: Bis vor wenigen Tagen war dies das Zuhause von Rosalba Vargas Díaz und ihren beiden Enkelinnen. Dann mussten sie das kleine Haus verlassen, das oben in El Codito steht, einem der Armenviertel in den Hügeln über . Díaz dreht den Schlüssel um und betritt das Häuschen, das sich für sie noch wie ein Zuhause anfühlt. Die Räume sind leer. Unverputzter Beton, winzige Zimmer - aber ihre Enkelinnen Karen Sofía und Maria Fernanda hatten hier wenigstens einen Raum für sich. Díaz hat den Schlüssel noch. Der neue Besitzer, der das Haus von ihrem früheren Vermieter gekauft hat, hat ihn noch gar nicht abgeholt.
Sie erinnert sich an den Moment, als er sie besuchen kam: "Wann ziehen Sie endlich aus, Señora?", habe er direkt gesagt, sagt Díaz. Sie wusste nicht, dass das Haus verkauft worden war. 15 Tage habe der neue Besitzer ihnen Zeit gegeben, zu räumen.
Jetzt brauchen Díaz und ihre Enkelinnen eine neue Wohnung, aber während der Pandemie ist es für die 62-Jährige so gut wie unmöglich, eine zu finden. Díaz sammelt Glas, Plastik und Metalldosen. Was sie findet, verkauft sie einer Recyclingstation. Doch seit Ausbruch des Coronavirus kann sie nicht mehr arbeiten - und ohne Job vermietet ihr selbst in El Codito niemand eine Wohnung.
Ausgangsbeschränkungen seit MärzViele Bewohner der Armenviertel Bogotás mussten schon vor der Pandemie jeden Tag aufs Neue um ihren Lebensunterhalt bangen. Jetzt stehen sie vor dem Ruin. Mehr als 570.000 Corona-Infektionsfälle sind in derzeit registriert, damit liegt das Land global auf Platz acht. Täglich wurden zuletzt mehr als 10.000 Neuinfektionen gemeldet. Dabei gelten im ganzen Land seit Mitte März Ausgangsbeschränkungen und in Bogotá, wo die Krankenhäuser zwischenzeitlich zu 100 Prozent ausgelastet waren, herrschen noch striktere Regelungen als in anderen Teilen des Landes.
In besonders stark betroffenen Stadtteilen - dazu zählt El Codito - dürfen die Bewohner bis Ende August ihre Häuser nur in Ausnahmefällen verlassen. Arbeit fällt nicht darunter, es sei denn, es handelt sich um systemrelevante Jobs. Da viele der Ärmeren im informellen Sektor arbeiten oder Tagelöhner sind, trifft sie das hart. Sie können weder im Homeoffice arbeiten, noch sind sie irgendwie sozial abgesichert.
Díaz, eine kleine, gedrungene Frau in Poncho und mit Baseballcap, verlässt ihr ehemaliges Zuhause durch die Hintertür. Sie tritt über Bauschutt und drückt den kaputten Drahtzaun zur Seite, der einen kleinen Hinterhof umgibt. Ein Lehmweg führt zu einem kleinen Schuppen, den Díaz öffnet. Hinter der Tür befinden sich Küchengeräte, Geschirr, Möbel und Spielzeug.
Eine ihrer Enkelinnen, die neunjährige Karen Sofía, zieht zielstrebig eine Puppe aus einem Regal. Die Mädchen mussten ihr Spielzeug zurücklassen, als sie auszogen. "Unser Ex-Vermieter hat uns diesen Ort zur Verfügung gestellt", sagt Díaz. Er habe nicht verhindern können, dass sie ausziehen mussten - andernfalls hätte der Käufer den Verkauf rückgängig gemacht. Díaz sagt, ihr ehemaliger Vermieter sei kein schlechter Mensch.
Sie kommt aus einem Dorf in Boyacá, einem Departement nördlich von Bogotá. Mit zwölf hat sie geheiratet, zwölf Kinder geboren, acht haben überlebt. Mit Ende 40 floh sie aus dem Dorf nach Bogotá. Sie habe die Schläge ihres Mannes nicht mehr ertragen, sagt sie. Doch der Neubeginn bedeutete ein Leben ohne Sicherheit.
Díaz fing an, in einem Laden zu putzen, der Arepas verkaufte, die traditionellen Maisfladen mit Käse. Sie lernte, die Fladen zuzubereiten und verkaufte sie schließlich selbst. Als eine ihrer Töchter die Enkelinnen beim Kinderversorgungsdienst abgeben musste, weil ihr das Geld für Essen fehlte, adoptierte sie die beiden. Karen Sofía war damals ein Jahr alt, Maria Fernanda vier.