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Vom Ruderer zum Reporter

Sebastian Stuart ist erfolgreicher Ruderer und lebt mit geistiger Beeinträchtigung. Als sein Traum von einer sportlichen Teilnahme an den Special Olympics World Games platzte, hatte er eine Idee. Nun berichtet er für die Sportschau von den Wettkämpfen. Von Anton Fahl

Als feststand, dass Rudern kein Teil des Programms der Special Olympics World Games werden würde, fiel Sebastian Stuart in ein Loch. "Ich habe danach ein bisschen mit Depressionen zu kämpfen gehabt", sagt er. "Das wäre mal eine Erfahrung gewesen, international zu starten und andere geistig beeinträchtigte Ruderer zu sehen und kennenzulernen." Es habe schlicht zu wenige Teilnehmer aus anderen Nationen in seiner Disziplin gegeben. "Dann haben die das abgesagt", berichtet der 24-jährige Berliner, der mit einer geistigen Beeinträchtigung lebt und Leistungssport treibt: Autismus mit Asperger-Syndrom.

Langsam sei die Enttäuschung allerdings überwunden, es gehe ihm wieder besser. Die Gründe sind vielschichtig: Zum einen habe ihm die Teilnahme am Halbmarathon in Zürich dabei geholfen, den Frust zu bewältigen. Zum anderen, vielleicht noch entscheidender, kann Stuart nun doch bei den Special Olympics World Games dabei sein - wenn auch aus beobachtender Perspektive.

"Vielleicht verstehe ich die Sportler sogar besser"

"Ich habe mit meinem Betreuer einfach mal den rbb angeschrieben", sagt Stuart. Er habe vorgeschlagen, als Reporter mitzuarbeiten. "Mit Sportlern Interviews führen, sie fragen, wie sie das finden und ein bisschen darüber zu berichten, kleine Beiträge zu drehen", so der Berliner weiter. Schon zu Schulzeiten habe er in der Online-Schülerzeitung mitgearbeitet.

Nun also der Schritt zum rasenden Reporter bei den Special Olympics World Games? "Ich habe gedacht: Ich glaube schon, dass ich das schaffe. Englisch kann ich auch gut. Und dadurch, dass ich selbst eine Beeinträchtigung habe, verstehe ich die Sportler vielleicht sogar besser oder anders als jemand, der keine Beeinträchtigung hat."

Gedacht, gefragt, getan. Stuart berichtet in den kommenden Tagen für die ARD von den Special Olympics World Games, stand beispielsweise schon für den Instagram-Kanal der Sportschau vor der Kamera und hat erste Blog-Einträge für sportschau.de verfasst. Auf diese Weise ist Sebastian Stuart eben doch bei den Special Olympics dabei. Er wolle den Leuten zeigen, "dass Menschen mit geistigen oder anderen Beeinträchtigungen auch Sport machen können und davon nicht ausgeschlossen werden." Vor allem freue er sich auf die Begegnung und den Austausch mit anderen, internationalen Athletinnen und Athleten, darauf "deren Freude zu sehen".

Traum von eigener Special-Olympics-Teilnahme lebt

Doch sein ganz großer Traum ist klar: "Dass ich irgendwann mal bei den Special Olympics dabei sein darf und irgendwann mal Deutschland-Klamotten im Rudern tragen darf - das ist mein größtes Ziel. Und dass ich den Sport nach vorne bringe."

Den Sport nach vorne bringen - das könne er aus verschiedenen Perspektiven und Funktionen, sagt er: als aktiver Ruderer, später aber vielleicht auch als Trainer oder in der Politik. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Landesverband, Bundesverband und internationaler Verband oft nicht zuständig fühlen und sich die Verantwortung gegenseitig zuschieben. Die Förderung von geistig beeinträchtigten Leistungssportler:innen wird leider sehr vernachlässigt", schreibt er auch in seinem Blog.

Auf der Suche nach der nächsten Herausforderung

Es scheint so zu sein, dass Stuart nicht vor Herausforderungen zurückschreckt, sondern förmlich nach ihnen sucht. Dazu passt jedenfalls auch der Name seines Bootes: 'Challenge'. "Den habe ich mir ausgesucht, weil es schwierig war, einen Ruderverein zu finden, der mich unterstützt", sagt Stuart. Ein Jahr habe es gedauert, ehe er beim Ruderclub Rapid Berlin e.V. ein sportliches Zuhause fand.

Der Verein wurde im November 2019 gegründet und eröffnete unter anderem auch eine Handicap-Abteilung. Und dennoch: "Sebastian möchte gerne Leistungssport machen und wir haben ihn in die Leistungssportabteilung unserer Junioren integriert", sagt Steffi, die den Verein mitgegründet hat und eine von Stuarts Trainerinnen ist. "Wir betreuen ihn wie jeden anderen Sportler auch, weil wir das als selbstverständlich ansehen und er einfach leben soll. Sicherlich muss man mal ein bisschen mehr hingucken und anfassen, aber eigentlich wird er von uns betreut wie jeder andere Sportler auch."


Rudern? "Das ist wie eine Familie"

Ähnlich unkompliziert klingt das auch aus Stuarts Mund: "Ich arbeite im Garten- und Landschaftsbau in einer Behindertenwerkstatt und nebenbei mache ich Leistungssport Rudern." Er trainiere bis zu sechs Mal pro Woche. Nach der Special-Olympics-Absage sei es etwas weniger gewesen, räumt er ein.

Der Sport bedeute ihm sehr viel. "Das ist am Wasser und mit Menschen, mit denen ich gut klarkomme - das ist wie eine Familie. Da kann ich mich gegen andere messen, im Wettkampf und im Training." Und noch dazu: "Spaß haben und manchmal nach dem Training baden gehen." Mit Erfolg: Schon ein "paar Mal" habe Stuart die Deutsche Meisterschaft auf dem Wasser gewonnen, ein "paar Mal" auf der Rudermaschine, "die Landesmeisterschaften in Berlin zwei Mal". Aktuell trainiere er "für einen internationalen Wettkampf in Paris", der im Juli stattfinden soll.

Doch bevor sich Stuart dieser nächsten Herausforderung stellen wird, heißt es für ihn in dieser Woche bei den Special Olympics World Games in Berlin erstmal noch: Dabei sein, berichten und einen Teil dazu beitragen, "dass im Sport mehr Inklusion für Leute mit Beeinträchtigung gemacht wird."

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