Er gilt als einer der gruseligsten Filme der letzten Jahrzehnte und für dieses Prädikat braucht es heutzutage viel. Regisseur James Wan („Insidious", „Saw") hat es raus, zeitgemäße Horrorfilme zu machen und spannenden Stoff ansprechend auf Zelluloid zu bannen. „Conjuring - Die Heimsuchung" ist derzeit wohl der beste Beweis dafür, welche Passion der Regisseur seinem präferierten Genre entgegenbringt. Der eigentlich recht simpel gestrickte Streifen, der bei genauerem Hinschauen lediglich eine schon vielfach dargebotene und damit wenig neue Geschichte erzählt, hätte, von einem anderen Regisseur inszeniert, auch gründlich in die Hose respektive direkt auf den „Direct-to-DVD"-Markt gehen können. Anders bei Wan. Der liebt sein Genre und vermittelt dem Zuschauer stets das Gefühl, seine Filme so zu drehen, dass auch er sie sich als Fan gerne anschauen würde. Viel zu viele Produktionen erwecken den Anschein einer heruntergedrehten Pflichtarbeit. Wans Werke fallen nicht darunter.
Mit „Saw" zollte Wan „Sieben" seinen Tribut, brachte aber mithilfe des ihm zugrunde liegenden, gleichnamigen Kurzfilms ordentlich Pfeffer in das harte Thrillergenre, sodass „Saw" lediglich eine Hommage, jedoch kein müder Abklatsch wurde. Mit „Insidious" lieferte er 2011 klassischere Kost ab, setzte mit seiner typischen Handschrift allerdings ebenfalls neue Akzente und erntete dadurch Lob von allen Seiten. Auch „Conjuring" bedient sich eigentlich nur an einer für Horrorfilme typischen Ausgangslage - Familie zieht in ein Spukhaus und wird schon bald von Geistern heimgesucht -, lässt durch viel Liebe zum Detail, ausgesuchte sowie durch und durch stimmige Settings und knallharte Schocks jedoch das Blut in den Adern der Zuschauer gefrieren.
Roger und Carolyn Pennon (Ron Livingston und Lili Taylor) ziehen mit ihren fünf Kindern in ein altes Haus auf dem Land. Noch macht sich die Großfamilie nichts daraus, dass der gemeinsame Hund auf der Türschwelle stehenbleibt und sie einen geheimen Keller entdeckt, von dem offenbar niemand etwas wusste. Erst, als schon in der ersten Nacht seltsame Ereignisse vor sich gehen, werden nach und nach sämtliche Familienmitglieder unruhig. Mutter Carolyne hat Blutergüsse am Körper, deren Herkunft sie sich nicht erklären kann, der Hund wird tot vor dem Haus aufgefunden, die kleine Christine (Joey King) spricht mit einem unsichtbaren Freund und ihre Schwester hat Nachts Visionen. Als plötzlich sämtliche Bilder von der Wand fallen und Carolyne von einer unsichtbaren Macht in den Keller gesperrt und verletzt wird, kontaktieren die Pennons die Dämonologen Ed und Lorraine Warren (Patrick Wilson und Vera Farmiga). Die kommen schnell zu der Erkenntnis, dass es sich hierbei um den schwierigsten Fall ihrer Karriere handelt…
Alles beginnt mit einem Prolog und gleichzeitig der Ankündigung, sämtliche, im Film geschehenen Gegebenheiten würden auf wahren Ereignissen basieren. Dieser Zusatz ist nicht neu und gerade in den Vereinigten Staaten jedes Mal wieder eine der erfolgversprechendsten PR-Strategien überhaupt. Im Falle von „Conjuring" ist es selbstverständlich keine 1:1-Nacherzählung sich definitiv ereigneter Geschehnisse, dennoch ist der Hinweis diesmal nicht völlig weit hergeholt. Der Story zugrunde liegen die Erlebnisse des Ehepaares Warren, das sich seit Jahrzehnten der Geister- und Dämonenjagd verschworen hat. Auf der Lebensgeschichte des Paares basierten schon Filme wie „Amityville Horror" und „Haus der Dämonen", in „Conjuring" bekommen die beiden jedoch zum ersten Mal ein Gesicht. Lorraine Warren, deren Ehemann Ed im Jahre 2006 verstarb, wirkte sogar aktiv bei der PR-Arbeit für den Film mit und ließ es zu, dass das Filmteam ihre privaten Artefakte während der Dreharbeiten bestaunen konnte. So auch eine Puppe, die es sowohl in der Realität - heute aufbewahrt in einer Vitrine im Warren'schen Haus - als auch im Film gibt, wo sie eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
Ein Großteil der im Film entstehenden Atmosphäre rührt dementsprechend von diesem Wissen her. Sofern das Publikum den Gedanken daran, dass die Story einen Funken Realismus enthalten könnte, verinnerlicht, bräuchte Wan nur noch das Nötigste tun, um das Optimum an Spannung aus dem gut eineinhalbstündigen Gruselinferno herauszuholen. Vor allem auf die Bezeichnung „Grusel" scheint er großen Wert zu legen. Denn „Conjuring" ist keiner dieser stylischen, schnell geschnittenen Hochglanz-Horrorfilme. Gleichwohl zu den inszenatorischen Makeln die Tatsache zählt, dass „Conjuring" trotz aller technischen Mühen nie hundertprozentig einen originalen Siebziger-Look annehmen kann, hat der ebenso unverfälschte wie schmutzige Look, gepaart mit der Authentizität des Spukhauses viel Charme und lässt immerhin die Erinnerungen an die Filme dieses Jahrzehnts aufkeimen. „Conjuring" reiht sich atmosphärisch nahtlos in eine Reihe mit „Carrie", dem Original von „Amityville Horror" oder auch „Der Friedhof der Kuscheltiere", zudem werden vielmals Erinnerungen an Klassiker wie „Poltergeist" wach. Die Handschrift des Regisseurs, sich vor liebgewonnenen Genrebeiträgen zu verneigen, ohne sie zu kopieren, sticht in „Conjuring" wieder einmal positiv hervor.
Einmal mehr ist es vor allem der schaurig schöne Drehort, der sogar den Darstellern zeitweise den Rang abläuft. An sich gar nicht so leicht, denn „Conjuring“ ist sowohl in den Haupt- als auch in den Nebenrollen hervorragend besetzt, wobei gerade die Jungdarstellerinnen positiv ins Auge stechen. Allen voran Joey King ("Die fantastische Welt von Oz") liefert in den spannenden Momenten solch überzeugende Leistungen ab, dass man als Zuschauer nicht umher kommt, ihre gespielte Angst bewusst am eigenen Leibe zu spüren. Damit übertrumpft sie sogar Lili Taylor („Public Enemies“), die durch ihre zweigeteilte Pro- und Antagonistenrolle besticht, in den ruhigeren Momenten jedoch zu unauffällig bleibt. Gleiches gilt für Ron Livingston („Das wundersame Leben des Timothy Green“), der zu oft nur Staffage ist und dadurch zwar nicht stört, jedoch denkwürdigere Auftritte hätte vertragen können. Die Leistungen seitens der Warrens, dargeboten von Vera Farmiga ("Orphan - Das Waisenkind") und Patrick Wilson(„Prometheus – Dunkle Zeichen“) gehören definitiv zu den ganz starken und überzeugen vor allem aufgrund der spürbaren, inneren Zerrissenheit der beiden Figuren. Gerade Farmiga schafft es, ihrer Figur genau die Portion Unbehagen einzuverleiben, die es für die Rolle braucht, gleichzeitig wirkt sie in den starken Momenten nicht überdreht oder gewollt tough.
Während bereits vom Beginn an durch das Setting und die beobachtenden Perspektiven in der Kameraarbeit ein beklemmendes Gefühl beim Zuschauer entsteht, hat sich Wan auch bei der Platzierung der Schockeffekte ordentlich Mühe gegeben. So verzichtet „Conjuring“ zwar nicht gänzlich auf das gewohnte Zusammenspiel zwischen Schreck und ankündigender Musik, ist dabei aber sichtlich darum bemüht, nicht erneut auf vielfach abgedroschene Schemata zurückzugreifen. Allzu oft kommen die Jump Scares aus dem Nichts und sorgen für den überraschenden Kick, mit dem Wans Filme stets auftrumpfen können und mit welchem er vielen seiner Kollegen immer wieder weit voraus ist. So holt er das Maximum an Innovation aus einem eigentlich schon oft dagewesenen Thema und bedient dadurch sowohl die heranwachsende Horrorfilmgeneration, als auch die Liebhaber des Oldschool-Gruselkinos.
Das Horrorfeeling alter Schule findet sich auch in der Wahl des Soundtracks beziehungsweise der -kulisse wieder, in der sich Umgebungsgeräusche und mal aufgeregte, mal beunruhigende Pianoklänge mischen. Charakteristisch für „Conjuring“ ist jedoch eine allgegenwärtige Ruhe. Viele Szenerien besitzen gar keine Tonkulisse, genau wie viele Szenen kaum Bewegung in Form hektischer Kamerafahrten oder Schnitte genießen. Am Beispiel einer quälend langen Einstellung, in welcher Lili Taylors Figur nachts hochschreckt und minutenlang in eine dunkle Zimmerecke starrt, ohne dass dabei irgendetwas Aufregendes passiert, lässt sich die Konsequenz, mit welcher Wan vorging, genau demonstrieren: Der Regisseur hat keine Hemmungen, seinem Publikum eine augenscheinlich ellenlange und dabei langweilige Einstellung zu präsentieren. Viel zu sehr ist er sich der Atmosphäre seines Films sicher, die einzig und alleine dafür zuständig ist, dass sich das Publikum zu keiner Sekunde bewegen, geschweige denn wegsehen mag. Für James Wan müsste es eine Wonne sein, in diesem Moment eine Kinovorstellung zu besuchen: Das allgegenwärtige Herzklopfen dürfte nahezu spürbar sein.
Es sind einzig und allein die letzten zwanzig Minuten, die „Conjuring“ ein wenig aus seinem ruhigen Gruselflair herausbringen. Das anziehende Tempo, der sich zwar vorab ankündigende aber dennoch radikal ändernde Tonfall und eine reichlich unnötige, bluthaltige Szene hätten es nicht zwingend gebraucht, ziehen – ganz im Gegensatz zu manch anderen Genrevertretern dieses Jahres, wie etwa „Mama“ – den Gesamteindruck des Films aber nicht nach unten. Wan hat sich für ein insgesamt stimmiges Finale entschieden, das sich passend in die Szenerie eingliedert und einen konsequenten Höhepunkt, auf den die einzelnen Szenen nach und nach unaufhörlich zusteuern, markiert. Vielleicht hätte sich der ein oder andere Zuschauer ein weniger aufgeregtes Ende gewünscht. Insgesamt nimmt es dem Streifen jedoch seinen Rhythmus nicht und überzeugt aufgrund der sich immer weiter steigernden Spannung sowie einer zwar abgegriffenen aber Wan-typisch modern arrangierten Thematik.
Fazit: „Conjuring – Die Heimsuchung“ zehrt zwar deutlich von seinem Hype, der aufgrund der nicht ganz neuen Geschichte in der Form nicht hundertprozentig berechtigt ist, ist aber dennoch der derzeit beste Genrebeitrag des Jahres und eines der eindringlichsten Gruselerlebnisse der letzten Dekaden. Der bodenständige Charme der Inszenierung, eine atemberaubende Kulisse und die Darbietungen sämtlicher Darsteller sorgen beim Zuschauer – wirklich! – für Gänsehaut und dafür, dass man sich in einigen Situationen nicht mehr zu bewegen traut. Geschweige denn, jemals wieder zuhause unters Bett zu gucken
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