25 Jahre lang lebte Nina Nastasia in einer dysfunktionalen Beziehung. Mit brutaler, bestürzender Ehrlichkeit berichtet ihr erstes Album nach zwölfjähriger Stille davon.
Nina Nastasia kennt man entweder gar nicht oder so richtig. Die einen - wohl vor allem die Jüngeren - haben noch nie etwas von der New Yorker Folkmusikerin gehört, die in den Nullerjahren sechs Alben herausgebracht hat. Einige wenige aber erinnern sich an ihre nachdenklichen, düsteren Songs, die von der BBC-Legende John Peel so gern in dessen Radioshow gespielt wurden. Auf ein Gefühl werden sich nun aber wahrscheinlich alle einigen können, die Nastasias neues Album hören und einen Funken Empathie im Körper tragen: Riderless Horse tut richtig weh. Mit entsprechender Vorsicht sollte deshalb der folgende Text gelesen werden, in dem es auch um Themen wie Partnerschaftsgewalt und Suizid geht.
Nastasia ist heute 56 Jahre alt. Ihr siebtes Album erscheint nach zwölf Jahren der musikalischen Stille. Es ist Zeugnis einer furchtbaren, dunklen Zeit, von der die Außenwelt erst jetzt erfährt. Und es ist nahezu unmöglich, Riderless Horse getrennt von seiner Hintergrundgeschichte zu hören. Am 26. Januar 2020 trennte sich Nastasia nach 25 Jahren in einer teils missbräuchlichen Beziehung von ihrem Partner. Einen Tag später nahm dieser sich das Leben.
Kennan Gudjonsson war zugleich Lebensmensch und formte als langjähriger Manager und Produzent Nastasias Songs und Karriere von Beginn an entscheidend mit. Die Beziehung nahm über die Jahre aber immer toxischere Züge an. Der Tod von Gudjonsson und die Zeit davor durchdringen Riderless Horse auf eindrückliche und deswegen schmerzliche Weise. Nastasia hat die zwölf Songs direkt nach den tragischen Ereignissen 2020 geschrieben, oder vielleicht auch "ausgekotzt", wie sie es kürzlich in einem Interview nannte.
Bekannt wurde Nastasia im Jahr 2000 mit ihrem Debütalbum Dogs. Nur 1.500 Exemplare waren davon ursprünglich gepresst worden, den Versand hatte sie selbst übernommen. Die Songwriterin saß nachts in ihrem winzigen New Yorker Apartment und klebte jeden Umschlag per Hand. Ein echtes DIY-Unternehmen. Als Dogs längst ausverkauft war, wurde Peel auf sie aufmerksam. "Außerordentlich" nannte er die Platte in seiner Radiosendung. Dogs hatte alles, was ein Folkalbum zu einem zeitlosen Erlebnis macht: ganz viel Großstadt - und überhaupt Lebensmelancholie -, umgesetzt in präzise aufgebaute und ausgeschmückte Songtexte. Es klang elegant und roh zugleich, unheilvoll und ehrlich. Bei Fans erlangte das Album bald Kultstatus. 2004 wurde es noch einmal in einem größeren Rahmen veröffentlicht.
Nastasia kooperierte anschließend mit Produzenten wie Steve Albini und Musikern wie dem experimentellen Schlagzeuger Jim White. Nach ihrem Album Outlaster aus 2010 verstummte sie jedoch. Die Künstlerin zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, selbst im Internet hinterließ sie bis auf einen Wikipedia-Eintrag und eine tote MySpace-Seite nicht viele Spuren. Wie ein Geist aus einem vergangenen Jahrzehnt. In einem Statement, das sie nun zu Riderless Horse veröffentlicht hat, erzählt sie von der Finsternis dieser langen Zeit, von großer Unzufriedenheit, überwältigendem Chaos, psychischer Krankheit und ihrer "auf tragische Weise dysfunktionalen Beziehung" zu Gudjonsson.
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