In gewisser Weise wurde ich bereits in die Welt von Mittelerde hineingeboren. Mit einer Mutter die sowohl leidenschaftlicher Fan der originalen Buchreihe, sowie Peter Jacksons' Verfilmung zu Tolkiens Werken ist, ist mir die Liebe zu dem Universum praktisch angeboren. Entsprechend euphorisch empfing ich 2014 Monoliths Action-Adventure Mittelerde: Mordors Schatten. Der Titel war kein perfekter Vertreter des Genres, aber das Nemesis-System fügte dem Spiel eine Dynamik hinzu, die wir bis dato nicht erlebt haben und die auch bis heute unerreicht bleibt. Jedenfalls bis jetzt, denn das Nemesis-System ist mit seinen prozedural und dynamisch generierten Kriegshetzern, Overlords und Ork-Kapitänen in Mittelerde: Schatten des Krieges zurück, diesmal breiter aufgestellt und kompletter, als jemals zuvor.
Die Balrogs, Nazgûl und Gollum sorgen für eine filmische Atmosphäre, die wir am Original so sehr vermisst haben.Mittelerde: Schatten des Krieges schließt an die Ereignisse des Vorgängers an und reiht sich zeitlich zwischen den Geschehnissen der Herr der Ringe- und der Hobbit-Trilogie ein. Talion und sein Rachegeist Celebrimbor (der legendäre Meisterschmied, der den einen Ring anfertigte) haben einen neuen Ring geschmiedet, mit dem wir die Macht des ersten Rings aushebeln möchten. Das einzige Problem ist nur, dass wir das Accessoire bereits vor dem eigentlichen Spiel an Shelob verlieren. Das startet einen Prolog in dem wir in spektakulärer Metroid-Art all unserer Fähigkeiten beraubt und fortan von der einen in die andere Ecke gescheucht werden. Dieser schwache Start dauert um die acht Stunden, wodurch Mittelerde: Schatten des Krieges einen sehr schwierigen und enttäuschenden Ersteindruck hinterlässt. Erst im zweiten Akt, einen ganzen Tag nachdem ich das Spiel zum ersten Mal startete, öffneten sich mir die neuen Inhalte und vier weitere Questreihen. Wer sich also zuerst von der eintönigen Stimmung des Spiels abschrecken lässt, den wollen wir zum Durchhalten animieren. Denn nach den anfänglichen Schwierigkeiten blüht das Spiel auf und entfaltet sein volles Potential.
Zwar beinhaltet die Herr der Ringe-Trilogie eine Vielzahl von episch inszenierten Schlachten und fantastischen Wesen, doch wenn es eines gibt, das bei den knapp dreistündigen Filmen immer wieder zum Vorschein kommt, dann ist es die Thematik der Freundschaft. In einer Welt die geprägt wird durch die dunklen Schatten des Schicksalsberges sind es vor allem die Bündnisse und Freundschaften, die den Bewohnern Glauben schenken. Als ich mich vor drei Jahren in der Welt von Mordors Schatten wiederfand, stand ich jedoch alleine da. Zwar hatte ich einige nett inszenierte Persönlichkeite, die mir auf dem Weg meines Rachefeldzugs bei Seite standen, doch im Endeffekt gestalteten sich diese ähnlich wie Celebrimbor, mit dem ich mir meinen Körper teilte: wie ein Geist.
Dass Monolith dieses Problem erkannte und dem Gefühl der Einsamkeit entgegenwirken möchte, können wir schon in den ersten Spielstunden erkennen, denn mit der Fortsetzung bekommen wir eine ganze Wagenladung voller Charakter geliefert. Die neuen Figuren wirken lebendig und erhalten eine eigene Persönlichkeit. Besonders erfrischend ist hierbei die humorvolle Art des Spiels, die genau den richtigen Ton trifft. Auch sonst wirkt die Charakterpalette weitaus bunter und gibt uns mit Hilfe des Balrogs, den Nazgûl oder auch Gollum die filmische Atmosphäre, die ich zuvor so sehr vermisst habe.
Der Kampf bietet viel Tiefe und wird hochgradig vom Parieren, Kontern und dem Ausweichen bestimmt.Die Struktur des Spiels ist etwas hart zu erfassen, denn wir werden zwischen verschiedenen Queststrängen hin- und herspringen. Einige davon sind ganz offensichtlich als Nebeninhalte zu verstehen, während die Hauptquest eine ganze Weile braucht, bevor sie richtig losgeht. Die Missionen gehören entweder der Hauptgeschichte oder einem seiner Zweige an (Gondor, Brûz, Carnán) und alle sind durchaus variantenreich, obwohl wir den Eindruck nicht abschütteln konnten, dass Monolith viel zu viel Spaß an "Folge mir"-Missionen hat. Wie das oftmals der Fall in dieser Natur von Spielen ist, ist es nicht die Hauptgeschichte, die uns am meisten begeistert. Tatsächlich waren meine Lieblingsmissionen diejenigen, die Bruz und den zurückkehrenden Ratbag thematisierten und mir damit eine angenehme Abwechslung von der oftmals uninteressanten und sehr ernsten Thematik Talions sonstiger Aufträge boten. Wir möchten an dieser Stelle jedoch betonen, dass die Geschichte, obwohl sie es nicht schaffen konnte uns zu fesseln, ein interessantes und sehr zufriedenstellendes Ende mit einigen netten Twists bekommen hat.
Mittelerde: Schatten des Krieges ist ein sehr viel größeres Spiel als sein Vorgänger. Statt zwei großer Karten hat uns Monolith nun fünf kleinere Spielwelten gegeben, was ich persönlich als sehr passend für das Nemesis-System empfand. Wäre Mordor eine konsistente Welt geworden, dann wären die zufälligen Begegnungen mit den Erzfeinden geringer ausgefallen und das Spieltempo wäre ein anderes gewesen. Wäre sie kleiner geraten hätten wir mit weniger eigenen Ork-Kapitänen arbeiten müssen, die uns in den vielen Auseinandersetzungen zur Hilfe eilen. Monolith hat eine schöne Balance gefunden, die für einige tolle Begegnungen mit vertrauten Gesichtern sorgen wird, doch ehrlicherweise fühlen sich die wenigsten davon, trotz ihres interessanten Charakterdesigns und den qualitativ hochwertigen Synchronstimmen, besonders an.
Vor allem das Dominieren von Orks bot eine in Mittelerde: Mordors Schatten eine Menge Potential und ließ uns Intrigen schmieden, Lager überfallen und Gegner aufeinander hetzen. In Mittelerde: Schatten des Krieges wird das einerseits durch weitere Nemesis-Missionen verstärkt und andererseits durch zwei neue Möglichkeiten der Übernahme erweitert. Neuerdings dürfen wir Orks zum Beispiel mit Schande besudeln, was zu einigen großartigen Begegnungen führt. Wir haben wunderbar komplexe Geschichten mit den Orks erlebt, die uns mehr als einmal gegenüberstanden. In einer Situation haben wir uns mit einem hohen Ork-Champion angelegt, der einen Verräter unter seinen eigenen Reihen hatte und als sich die Klingen der beiden Orks kreuzten, tauchte plötzlich der Blutsbruder des Verräters auf, den wir zuvor besudelt hatten. In der anschließenden Pattsituation wandte sich der unfreiwillige Verräter erneut gegen Talion, als wir seinen Verwandten angriffen, was zu einer sehr schwierigen und unerwarteten Begegnung führte. Kleine Spielgeschichten wie diese sind der Beweis dafür, dass das Konzept des Nemesis-System perfekt funktioniert. Neben den vom Spiel vorgegebenen Geschichten entwickeln wir mit damit unsere eigenen kleinen Mikronarrativen, die nun dank der neuen Inhalte des Systems spannender sind als je zuvor.