In der letzten Woche habe ich mir vermehrt mit den Controller gegen den Kopf geschlagen. Nicht, weil ich das besonders lustig finde oder einen Fetisch dafür habe, sondern vielmehr weil mich die Jumpscares von Until Dawn immer wieder aufschrecken lassen haben.
Im neusten Spiel von Supermassive Games schlüpfst du nicht nur in eine Rolle, sondern in insgesamt acht. Das Spiel bringt alles mit sich, um es als interaktiver Teenie-Horrorstreifen zu verkaufen. Aber hinter all den Klischees, den typischen Rollenverteilungen und Vorurteilen steckt noch viel mehr. Das merkte ich spätestens nach der Hälfte des Spiels.
Zur Geschichte: Nach einem traumatischen Vorfall im vergangenen Jahr trifft sich die buntgemischte Truppe in der verschneiten Skihütte wieder, um trotz der vergangenen Ereignisse ein spaßiges Wochenende zu haben. Schon der Prolog, sozusagen das spielbare Tutorial, das die tragische Vorgeschichte erzählt, sagt mir jedoch etwas ganz anderes: Ihr werdet alle sterben. Das Schlimme daran ist, wenn ich mich besonders blöd anstelle, stimmt das sogar. So kannst du den Tag samt allen acht Charakteren heil überleben, oder du stehst am Ende vor einem Haufen Leichen. Du und niemand anderes bestimmst den Verlauf der Geschichte im Spiel. Mit verschwitzten Fingern und rasendem Herzen schaffte ich es schlussendlich, zwei der Charaktere heil über die Nacht zu bringen. Immerhin.
Sich mit den Spielfiguren eines Spiels identifizieren zu können ist extrem wichtig, um eine immersive Stimmung aufzubauen. Aber wie identifiziere ich mich mit jemandem, der nur aus Vorurteilen und Klischees besteht? Die acht Charaktere bringen alles mit, wovon ein trashiger Horrorfilm nur träumen kann. Das schüchterne Mauerblümchen, der prollige Sportler, der nerdige Witzbold, die Oberbitch. Jede der Figuren trägt einen Teil der Horrorfilmgeschichte in sich. Je nachdem, wo du in der Geschichte stehst, wirst du in die Rolle eines anderen Charakters geworfen.
Du triffst Entscheidungen, die die Beziehung zwischen dir und deinen Freunden verändern kann. Lässt du dich auf ein bisschen Spaß in der Hütte ein, so steigt der „Romantisch"-Balken des Charakters. Bist du lieber ehrlich und zeigst deinen Freunden die verstörenden Hinweise die du gefunden hast, so steigt demzufolge deine Glaubwürdigkeit. Um das Ganze noch weiterzuspinnen und komplizierter zu machen, kann auch die kleinste Veränderung der Geschichte eine wahre Lawine an falschen Entscheidungen auslösen. Denn der sogenannte Butterfly Effect spielt eine große Rolle bei Until Dawn.
Anders als in Spielen wie z.B. Life is Strange kannst du hier nicht einfach die Zeit zurückdrehen und deine Entscheidung rückgängig machen. Auch eine Art „Game Over" Screen gibt es nicht. Stellst du dich blöd an, trägst du die Konsequenzen. Stellst du dich (wie ich) besonders blöd an, stirbt der Charakter. Das kann davon abhängen, wie du dich deinen Mitmenschen gegenüber verhältst oder auch am falschen Knopfdruck bei einem der vielen, sehr gut eingebauten Quicktime-Events liegen. Generell ein großes Lob an die Entwickler, was die Einbindung des PS4-Controllers angeht. Seit dem Release der PlayStation 4 bin ich entsetzt darüber, wie selten der Controller samt Touchpad in die Spiele eingebaut wird. In Until Dawn brichst du mit einem simplen Schwung nach vorne Türen auf, mit einem Streichen über das Touchpad zündest du Streichhölzer an. Auch wenn meine Konsole manchmal Probleme hatte, die direkten Bewegungen genau umzusetzen, funktioniert das Konzept sehr gut.
Du lebst also in der ständigen Angst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Was wäre, wenn ich die Waffe selbst behalten hätte, statt sie meinem Freund zu geben? Wäre ich doch lieber links rumgelaufen? Rennen oder verstecken? Im Laufe des Spiels triffst du so unwahrscheinlich viele Entscheidungen, dass die Grenzen zwischen „richtig" und „falsch" stark verschwimmen.
Und wo wir grade beim Thema Angst sind. Als Kind hatte ich besonders Angst vor Clowns, Vogelscheuchen und dunklen Räumen. Heutzutage, mit 20 Jahren, hat sich das alles natürlich ein wenig verändert. Ich habe nicht nur noch immer Angst vor Clowns, Vogelscheuchen und dunklen Räumen, sondern auch vor Paranormalem. Umso beruhigender, dass Until Dawn an all das gedacht hat. Das Spiel ist in insgesamt elf Kapitel aufgeteilt, die jeweils für „One Hour Until Dawn" stehen. Zwischen diesen Kapiteln wirst du nach deinen tiefsten Ängsten gefragt, was übrigens nie ein gutes Zeichen ist, weder im Film noch im Videospiel. Je nachdem was du als deine schlimmsten Ängste auswählst, werden diese in das Spiel eingebaut. Im Spielverlauf selbst ist das Ganze jedoch leider ein wenig untergegangen. Aber wer weiß? Vielleicht sieht das Spiel für Personen mit dem Schwerpunkt auf andere Ängste auch ganz anders aus. Da diese Sequenzen zwischen den Kapiteln jedoch zu meinen Lieblingsszenen im Spiel zählten, hätte ich mich hier über mehr psychologischen Tiefgang bezogen auf die eigenen Ängste gefreut.
Wie man merkt, weichen wir immer mehr von dem Pfad des „klassischen Teeniehorrorfilms" ab. Ab Mitte des Spiels bilden sich die neu geformten Charaktere immer mehr aus, die Story wird immer klarer und tiefgründiger. Auch wenn man sich nach einer Weile an die Jumpscares gewöhnt, ist es immer wieder die Atmosphäre, die mich hinter dem Controller verschwinden und verängstigt zusammenzucken lässt. Until Dawn lebt also nicht ausschließlich von billigen Schockern mit lauten Soundeffekten.
Während Until Dawn definitiv nicht für jeden Horrorfan geeignet ist, passt es hervorragend in das umstrittene Genre „Cinematic Game". Der Fokus liegt definitiv auf dem Treffen von Entscheidungen, der Atmosphäre und dem Storytelling. Du kannst hier nicht frei in einer Welt rumlaufen und sämtliche Häuser looten.
Stattdessen bietet dir Supermassive Games ein Spiel, in dem du selbst Regisseur deines eigenen kleinen Films werden kannst. Lass die Freunde aufeinander losgehen und sitz im Morgengrauen alleine auf der blutigen Treppe oder stellt dich der Herausforderung, alle acht Figuren zu retten. Deine Wahl. In dieser Zeit überlege ich, was es wohl für Konsequenzen hätte, wenn ich jetzt auf die Toilette gehen würde.
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