Flutschäden an Baudenkmälern
In Venedig hat das vergangene starke Hochwasser mit einem Pegel von 1,87 Metern verheerende Schäden angerichtet, auch an den Baudenk- mälern in der Lagune. STEIN spricht mit Diplom-Restaurator und Präsident des Verbands der Restauratoren (VDR) Sven Taubert über die Analyse und Sanierung von Flutschäden und die Folgen des Klimawandels für Bauwerke aus Naturstein.
STEIN: In Venedig fließt das Meerwasser ab, zurück bleiben Schlamm, Feuchtigkeit und Salz, die sich in die Böden und Wände des Markusdoms und anderer Bauwerke fressen. Die italienische Stadt ist Aqua Alta zwar gewöhnt, aber nicht die Rekordpegel und immer häufigeren Fluten. Herr Taubert, kann man kurz nachdem das Wasser gesunken ist schon eine Prognose zu den Schäden abgeben, oder werden sie erst in den kommenden Monaten wirklich sichtbar?
Sven Taubert: Das ist eine Frage, die sich nur für jedes Bauwerk individuell beantworten lässt. Nehmen wir als Beispiel den Markusdom, ein komplexes Bauwerk mit unterschiedlichen Gebäudeteilen, die verschieden ausgestattet sind und genutzt werden. In den Bodenmosaiken und Wandverkleidungen ist sehr viel Marmor verarbeitet. Das ist in diesem Fall ein Vorteil im Vergleich zu Bauwerken, deren Kernmauerwerk aus Ziegeln oder Sandstein besteht. Denn bauphysikalisch ist das Material sehr dicht und neigt wenig zu Wasser- aufnahme. Über die Oberfläche wurde das Wasser bei der Flut also sicher nicht so stark aufgenommen. Allerdings sucht Wasser sich erfahrungsgemäß seinen Weg in Unterkonstruktionen und hinter Verkleidungen. Verfahren, wie das Abreichern von Wasser über die Luft, die dann abkondensiert wird, gestalten sich schwierig, wenn das Wasser einmal eingedrungen ist. Das Aus- maß der Schäden zu beobachten und zu analysieren, ist also meist ein langwieriger Prozess.
STEIN: In einem „Spiegel“-Interview äußert Francesco Moraglia, der Bischof des Markusdoms, Bedenken zur denkmalkonformen Sanierung des Bauwerks. Er befürchtet, die ursprünglichen Baustoffe seinen nicht problemlos ersetzbar – etwa, weil manche der Marmorbrüche inzwischen geschlossen sind. Auch der Aufwand, die entsprechend spezialisierten Mosaikleger zu finden, sei enorm.
Sven Taubert: Ich kann für den Markusdom als solchen nicht sprechen, in der Restaurierung hat aber beispielsweise die Neufertigung von Mosaiken oder Mosaikteilen durchaus noch eine gängige Tradition – besonders in Italien gibt es namhafte Ausbildungsstätten. Die Frage ist aber tatsächlich, welche finanziellen Mittel und welchen Zeithorizont man der fachgerechten Restaurierung von Flutschä- den zugesteht. In manchen Fällen ist es beispielsweise nötig, Fresken langsam zu trocknen, zu entsalzen und zu konservieren. Fördermittel-Zeiträume stehen dem aber entgegen.
STEIN: Können Sie einen kurzen Überblick geben, wie sich verschiedene Natursteine, Mörtel und Putz bei Wasserschäden verhalten?
Sven Taubert: Marmor und Kalkstein sind, wie schon erwähnt, relativ dicht und damit nicht sehr wasseraufnahmefähig, Granit ebenso. Ganz im Gegensatz etwa zu Sand- stein und weich gebrannten Ziegeln. Putze und Mörtel unterscheiden sich sehr stark durch ihre jeweiligen Bindemittel und müssen immer individuell betrachtet werden. Wo Naturstein-Mauerwerk Wasser aufnimmt, beginnen Quellungsprozesse und - damit verbunden - eine Salzmobilisierung. Das Salz konzentriert sich beim Trocknen und verursacht so vielfältige Schäden: mögliche Sprengwirkung durch den Volumenzuwachs beim Auskristallisieren, Absandungen, Mürbzonen, Abplatzungen...
Aber das Salz ist nicht die einzige Gefahr – gerade Kalkstein kann durch chemische Reaktionen mit Flutwasser nachhaltig geschädigt werden. Das ist ja kein reines Leitungswasser, sondern gewissermaßen ein Chemikaliencocktail – bei einer Flut laufen häufig Heizöltanks aus, organische Lösemittel laufen ins Wasser, dazu Säuren, Laugen oder – sehr häufig – Fäkalien.
In der Praxis hilft das Wissen über die verschiedenen Reaktionen von Natursteinen aber nur bedingt, denn Bauwerke bestehen aus verschiedenen Steinmaterialien und Mörteln. Deshalb gibt es bei Flutschäden an einem Gebäude häufig Bereiche, die weniger Sorgen bereiten und solche, bei denen die Scha- densbehebung länger dauert. Zum Beispiel, weil Restauratoren gewisse Trocknungsvorgänge bewusst verlangsamen, um die Substanz zu schonen. Bei historischen Fresken arbeiten wir beispielsweise in der Trocknungsphase mit Kompressenauflagen. Die gelösten Salze aus dem Mauerwerk sollen so von der Bildoberfläche ferngehalten werden und erst in der Kompresse auskristal- lisieren. Die Verdunstungsoberfläche wird nach außen verlegt und dadurch die Salzbelastung von Mauerwerksteinen, Mörteln und Farben gesenkt.
STEIN: Wie analysieren Sie als Restaurator die Schäden und mit welchen Verfahren?
Schon während der Aufräumarbeiten, nachdem das Wasser abgeflossen ist, kategorisieren wir die Gebäudeteile eines Bauwerks. Wir ordnen ein, welches besondere Wertigkeit besitzt oder am schwersten gefährdet ist. Danach wird das Gebäude idealerweise komplett beräumt – dafür braucht man jeweils entsprechende Depotmöglichkeiten oder Zwischenlager. Bei der Beräumung des Zisterzienserinnenklosters St. Marienthal/Ostritz war das nach der Neißeflut 2010 beispielsweise ein großes Thema. Manchmal müssen die entsprechenden Depots erst geschaffen werden. Der nächste Schritt ist die Analyse der Gebäudeteile: Wo gibt es welche Schäden, was ging unter, was ist restaurierbar, was nicht? Dafür brauchen wir Spezialisten aus allen Restaurierungsbereichen - in St. Marienthal sogar Experten, die sich mit der Konservierung von Gebeinen auskennen.
Wichtig ist, Datenlocker in allen überfluteten Gebäudeteilen zu platzieren, um die klimatischen Bedingungen zu analysieren. Dann kommen Industrietrockner und Heizer dazu, um die Luft zu entwässern und das Wasser zu binden. Die tägliche Dokumentation der dem Raum entzogenen Wassermengen helfen, zu erkennen, wie die Verlaufskurve der Trocknung aussieht. Die Raumdaten sind für erfolgreiches Entfeuchtungsmanagement elementar. Auch die Salzbelastung muss ggf. regelmäßig gemessen werden, indem Materialproben im Labor untersucht werden.
Ein zentrales Problem bei Hochwasser ist die Schimmelkeimbelastung in der Luft und auf den befallenen Oberflächen. Da geht es neben der historischen Substanz vor allem um die Gesundheit der Menschen. Bevor Schimmelbeläge mit pilzbekämpfenden, wässrigen Lösungen abgereichert und abgewaschen werden, sollte auch genauere Kenntnis zu den vorliegenden Pilzarten bestehen. Mykologen können dabei helfen, durch Proben den Gefährdungsfaktor für Mensch und Gebäude und das geeignete Bekämpfungsmittel zu ermitteln. Der gesamte Prozess der Flutschaden-Behebung dauert oft Jahre. Und erfordert einen genauen Fahrplan, der die Bauphysik und -chemie sowie die bauklimatischen Prozesse berücksichtigt.
STEIN: Welche Faktoren spielen bei der Schwere der Schäden durch Flut neben der Bausubstanz und der „Wasserqualität“ eine Rolle?
Sven Taubert: Je länger Wasser steht und Druck aufbaut und in poröse Materialien eindringt, umso schlimmer. Die Fließgeschwindigkeit spielt dort eine Rolle, wo zur Durchfeuchtung und Quellung noch der mechanische Abtrag durch fließendes Wasser kommt. In Venedig etwa schadet das fließende Wasser des- halb, weil die Bauwerke der Lagune historisch eher für stehendes Wasser ausgelegt sind, nicht dafür, dauerhaft strömend umspült zu werden. In den vergangenen Jahren sind die Mauerwerke deshalb dauerhaft einem zur Erbauungszeit nicht eingeplanten, mechanischen Stressfaktor ausgesetzt, weil durch die Vertiefung der Kanäle die Fließgeschwindigkeit steigt. Weshalb man ernsthaft nachfragen muss, ob die dieser Stadt übergestülpte Nutzung überhaupt noch vertretbar ist.
STEIN: Auf der einen Seite also das Weltkulturerbe, auf der anderen die modernen Nutzungsansprüche. Ist Venedig aus Sicht eines Restaurators nicht für die heutige Nutzung geeignet?
Sven Taubert: Müssten wir nicht eher fragen, ob die Nutzung für Venedig geeignet ist? Als Restaurator bezweifle ich das, denn ich sehe die vielen, destruktiven Faktoren, die auf Venedig einwirken: Da sind die Kreuzfahrtschiffe, für die die ge- samte Lagune tiefer ausgegraben werden musste und die Wellenschlag, Schwall und Strömung verursachen – Stichwort Fließgeschwindigkeit. Auch der kapillare Sog erhöht sich, der Druck von unten steigt, die Feuchtigkeit steigt in Teile der Bauwerke, in die sie nicht gehört. Da ist noch die Industrie, die jahrzehntelang Abwässer in die Lagune geleitet und damit den Schadstoffgehalt des Wassers nach oben getrieben hat. Und Venedig ist kein Einzelfall. Die Verantwortlichen müssen sich ernsthaft fragen, ob sie die historische Substanz dem kurzfristigen, ökonomischen Erfolg opfern wollen.
STEIN: Der Faktor Mensch spielt auch bei einer weiteren Gefährdung eine tragende Rolle: Laut Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erleben wir Extremwetterereignisse wie das in Venedig in Zukunft häufiger. Küstenstädte wie Hamburg und New York müssen sich laut den Forschern darauf auf intensive Hochwasser überflutet werden einstellen. 2014 hat das Institut gemeinsam mit der Universität Innsbruck berechnet , dass jede fünfte Unesco-Stätte gefährdet wäre, wenn die Temperatur global um drei Grad ansteigt. Welches Gefühl haben Sie als Restaurator, wenn Sie in die Zukunft blicken?
Sven Taubert: Ich blicke genauso sorgenvoll in die Zukunft wie jeder verantwortungsbewusste Mensch es heute tut. Diese Entwicklung betrifft ja nicht nur Denkmäler und Stät- ten, die an Gewässern oder Küsten liegen. Wir wissen inzwischen auch, dass zum Beispiel durch Gletscher-Abschmelzungen Gesteinsmassen frei werden, die zu massiven Erdrutschen führen. In Bezug auf das Weltkulturerbe gilt es besonders, Schutz-Konzepte zu finden. Aber gerade Bauwerke lassen sich vor intensiven Fluten kaum schützen, sie können nicht umziehen wie bewegliche Kunstwerke.
STEIN: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Sven Taubert: Dass das System des Katastrophenmanagements alle notwendigen Expertisen einbezieht – vor allem, wenn es um denkmalgeschützte Bauwerke geht. Damit meine ich konkret, Restauratoren aller im Einzelfall relevanten Fachgebiete einzubeziehen. Wir gehören in den Kreis der Katastrophenstäbe und -vorsorge. Eigentlich ist das kein Wunsch, sondern aufgrund der Notwendigkeit eine Forderung.