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Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: "Wahrscheinlich denken einige, dass ich gescheitert bin"

Vierzehn Jahre lang lebte ich fast nur für die Wissenschaft. Oft saß ich abends noch am Schreibtisch oder stellte mir den Wecker auf morgens um 4.30 Uhr und schrieb Förderanträge. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter war es üblich, Überstunden zu machen, auch befristete Verträge waren normal. Mich störte das anfangs nicht, immerhin liebte ich es, zu forschen. Irgendwann begann ich zu zweifeln. Doch ich fühlte mich mit meinen Problemen allein, meine Kollegen und Kolleginnen schienen die Arbeitsbedingungen nicht zu stören. Bis ich anfing, mich über Twitter zu vernetzen. Doch den Ausstieg schaffte ich erst viel später.

Meine Karriere in der Wissenschaft hatte durchaus ermutigend begonnen. Ich studierte Geschichte in Hamburg, nebenbei arbeitete ich als Hilfskraft an der Universität. Noch bevor ich meine Abschlussarbeit beendete, hatte ich ein Angebot für eine Promotionsstelle in mittelalterlicher Geschichte in der Tasche. Ich liebe es, in alten Quellen zu versinken und sie neu zu entdecken. Und natürlich war es auch eine Ehre, eine der wenigen Stellen in der Forschung zu ergattern.

Als junger Wissenschaftler sah ich, wie ältere Kolleginnen und Kollegen mit den Bedingungen haderten. Doch ich überhörte die Warnungen. Besonders da ich am Anfang noch Verträge für zwei oder gar drei Jahre bekam. Später wurden sie immer kürzer. Es kam vor, dass ich an einem Freitag den Vertrag unterschrieb und in der nächsten Woche mit meiner Arbeit wieder loslegte. In der Wissenschaft ist das normal - ein befristeter Vertrag folgt dem anderen. In der Wirtschaft würde das nie passieren, dort will man sein gutes Personal halten. Alles andere wäre geschäftsschädigend.

Ich habe ursprünglich Lehramt bis zum ersten Staatsexamen studiert, habe das dann aber nicht weiterverfolgt. Wenn ich mal wieder in der Universitätsverwaltung stand und einen Vertrag für die nächsten drei Monate unterschrieb, dann dachte ich an meine ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Sie waren längst verbeamtet, manchmal beneidete ich sie. Doch immerhin lief der Vertrag über drei Monate. Über so etwas war ich fast glücklich. Einmal unterschrieb ich für nur einen Monat.

Oft machte ich bis zu 13 Überstunden pro Woche. Das gehört zum Erfolgsrezept von Wissenschaft: unbezahlt zu arbeiten, um mehr vorzuweisen. Ich publizierte, stellte Anträge, forschte, wenn ich Zeit neben den ganzen Bewerbungen für neue Projekte oder Gelder fand. Doch sosehr ich mich auch anstrengte, war das keine Garantie für eine Karriere. Dabei musste es gar keine Führungsposition sein, eine feste Stelle hätte mir gereicht.

Ich erinnere mich noch an meinen ersten Post auf Twitter zu den Bedingungen in der Wissenschaft. Es war der letzte Tag im Oktober vor zwei Jahren: Halloween. Eine Kollegin aus der Wissenschaft scherzte in einem Tweet, sich als "Wissenschaftszeitvertragsgesetz" zu verkleiden. "Das ist mir zu gruselig", schrieb ich und schlug passend zum Reformationstag vor, wie Martin Luther einst 95 Thesen anzuschlagen und so gegen die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu protestieren. Das "Wissenschaftszeitvertragsgesetz" ist tatsächlich gruselig für Wissenschaftler: Es ermöglicht die vielen befristeten Verträge und ein Berufsverbot, wenn man nach zwölf Jahren keine feste Stelle, die es kaum gibt, ergattert hat. Ein Graus, besonders, wenn man Kinder hat.

2016 wurde meine Tochter geboren, 2019 mein Sohn. Meine Frau hat einen Job mit festem Vertrag, deshalb kümmerte ich mich um den Nachwuchs. Es ist unmöglich, mit kleinen Kindern nebenbei stundenlang zu arbeiten. Mir blieben oft nur die Morgen- und Abendstunden. Wenn es notwendig war, stellte ich mir einen Wecker um 4.30 Uhr, um weiterzuschreiben.

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Als ich beim zweiten Kind Elternzeit - wieder für sechs Monate - einreichte, protestierte die Fachbereichsverwaltung der Universität. Ich könne nicht einfach Elternzeit fordern, was ich mir eigentlich dabei dächte. Dabei ist Elternzeit keine Gnadenleistung, sie steht mir zu. Dann kam Corona. Die Kitas schlossen, fast zeitgleich bekam meine Frau einen besseren Job. Also verlängerte ich die Elternzeit und betreute unseren 14 Monate alten Sohn und die vier Jahre alte Tochter. Ich sah, wie meine schon geschriebenen Aufsätze veröffentlicht wurden, doch ich konnte nichts nachliefern.

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