Paula Beer fällt nicht weiter auf, als sie am frühen Samstagabend über den roten Teppich vor dem Berlinale-Palast läuft. Im vergangenen Jahr hätte man etwas daraus machen können, dass sie, der große Nachwuchsstar des deutschen Films, im marineblauen Hosenanzug zur Premiere dieses Films kommt. Es ist Christian Petzolds „Transit", einer der Favoriten im Wettbewerb, sie spielt die weibliche Hauptrolle. Ihr Anzug ist hochgeschlossen, lange Ärmel, weite Hosenbeine. Vor einem Jahr wäre sie noch aufgefallen in diesem Outfit, das ihren Körper so wenig zur Schau stellt. Elegant ist es, das ja, aber von einer zurückgenommenen Sexiness, die normalerweise nicht auf den roten Teppich passt, wo alles nach Aufmerksamkeit schreit.
In diesem Jahr aber sehen sie alle so aus. Die Schauspielerinnen, die zu den Premieren der Berlinale auflaufen, tragen Kleider, die Ausschnitt und Beine bedecken, oder gleich Hosen und Blusen. Die wenigen, die nicht mitmachen, sind Models, Drag Queens oder Sophia Thomalla, die in einer Art Badeanzug kommt.
Der Regisseur Dietrich Brüggemann trägt am Eröffnungsabend ein Shirt, auf dem ein nackter Männeroberkörper aufgedruckt ist, neben ihm steht seine Schwester Anna. Sie hat die Initiative #nobodysdoll gestartet, mit einem offenen Brief, in dem sie dazu aufrief, dass sich Frauen auf den roten Teppichen der Berlinale dem Druck, sexy, jung und makellos sein zu müssen, entziehen sollen. 70 Unterzeichnerinnen hatte der Brief schließlich. Anna Brüggemann ist in Turnschuhen gekommen.
Sie ist gerade mal 22 Jahre altHat Paula Beer auch schon gemacht. Vor zwei Jahren, bei der Premiere von Maria Schraders „Vor der Morgenröte". Dort war sie allerdings auch nicht als Darstellerin. Wenn ihre eigenen Filme Premiere haben, ist es ihr wichtig, sich angemessen zu kleiden. „Wenn sich alle um mich herum so viel Mühe geben, kann ich mir auch die Mühe machen, mich hübsch anzuziehen", sagt sie. Das habe für sie mit Wertschätzung zu tun. „Ich würde nicht in Jeans auf eine Premiere gehen." Und eben auch nicht halbnackt.
Zwei Wochen, bevor der ganze Berlinale-Trubel losgeht, #nobodysdoll ist gerade erst in der Welt; der Branchenverband „Pro Quote Regie" hat sich am Tag vorher in „Pro Quote Film" umbenannt. Jasmin Tabatabai hat auf der Pressekonferenz dazu erklärt, dass es nicht sein könne, dass im deutschen Film nur junge und hübsche Frauen zu sehen seien.
Nun, Paula Beer ist genau das: gerade mal 22 Jahre alt und auf eine Art und Weise schön, wie Frauen es eben nur in dieser Zeit sind, in der das Leben noch kaum Spuren auf Gesicht und Körper hinterlassen hat, so frisch und klar und kaum geschminkt. Paula Beer sitzt vor einer Tasse Cappuccino im Büro der PR-Agentur, die eines ihrer beiden Projekte betreut, die auf der Berlinale zu sehen sein werden - neben „Transit" ist das die ZDF-Serie „Bad Banks", ein sechsteiliger Thriller über die halsbrecherischen Machenschaften einer Gruppe Hedgefonds-Manager.
Sie ist weder bei Facebook noch bei InstagramDa sitzt sie nun also und weiß wenig anzufangen mit diesen Kämpfen der Frauen, die gerade in ihrer Branche ausgetragen werden. Und das nicht, weil es sie nicht interessiert. Sie sagt, sie finde es gut, dass Kolleginnen ihre Stimme für etwas einsetzen, das ihnen wichtig ist. „Das muss jeder für sich selbst entscheiden." Sie überlegt kurz, dann fügt sie hinzu: „Es wäre schön, wenn man nicht jedes Mal sagen muss, wie toll es ist, dass es so viele Regisseurinnen gibt oder dass ein Film so viele Frauenfiguren hat. Allein, dass das so thematisiert werden muss, finde ich traurig."
Viel mehr als all das Ringen um Gleichberechtigung interessiert sie etwas anderes, und zwar so sehr, dass da eben nicht mehr viel Raum ist für all dieses Drumherum - und das ist ihre Arbeit selbst. Paula Beer ist ein Schauspiel-Nerd. Sie ist eine, die sich so reinhängt, dass sie danach für sich bleiben muss. „Ich gebe so viel von mir preis als Schauspielerin, ich habe ja nur mich und meinen Körper und meine Stimme, um eine Figur zu spielen", sagt sie.
Deshalb ist nicht so viel zu erfahren über diese Paula Beer jenseits der Schauspielerei. Sie tritt nicht als Schirmherrin oder Botschafterin von irgendwas auf; sie ist nicht bei Facebook und auch nicht bei Instagram wie so viele ihrer jungen Kolleginnen und Kollegen, immer perfekt in Szene gesetzt, immer gekonnt gekleidet, immer auf Sendung.
#MeToo rauscht eher vorbei als dass es Beer beschäftigt„Mich interessiert das nicht so, dieses Geposte", sagt Paula Beer, neben ihr auf dem Tisch liegt ein altes Blackberry, das aussieht, als ob es bald den Geist aufgibt. „Es ist mir zu mühsam, immer präsent zu sein. Ich bin froh, dass ich mal Zeit habe, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen, nur für mich."
Der rote Teppich ist für sie in erster Linie Teil ihrer Arbeit. Debatten wie #MeToo rauschen auch deshalb an ihr vorbei, weil sie nicht ständig in den sozialen Netzwerken mit der kleinsten Wendung der Diskussion konfrontiert ist.
Die Kämpfe derzeit werden von älteren Kolleginnen geführt, die sich noch behaupten mussten in einer Welt, in der die Wedels und Weinsteins ein zeitgemäßes Männerbild verkörperten.
„Ich kenne diese Geschichten von niemandem direkt", sagt Paula Beer, „vielleicht hatte ich selbst einfach großes Glück mit den Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe."
Vielleicht war ihr Glück auch, dass sie sich nicht hocharbeiten musste, sondern gleich weit oben angefangen hat. Wäre ihre Geschichte der Plot in einem Film, würde man sie für völlig unglaubwürdig halten.
Aus über 2000 Bewerberinnen für die Rolle der Oda ausgewähltPaula Beer ist dreizehn Jahre alt, es ist ein Tag im Januar, sie hatte gehofft, dass sie den Tag zu Hause verbringen darf, weil sie Bauchschmerzen hat, aber ihre Mutter, eine Malerin, schickt sie in die Schule. In der Pause kommen ihr auf dem Gang ein Mann und eine Frau entgegen, die Frau dreht sich um, und sagt zu ihrem Begleiter: „Was meinst du?" Sie bleiben stehen, Paula denkt, die suchen bestimmt das Lehrerzimmer. Was sie aber tatsächlich suchen ist: ein Mädchen wie Paula. Ob sie schon mal von Chris Kraus gehört habe? „Vier Minuten", sein letzter Film? Hat sie nicht. Aber sie geht dann zum Casting. Ihre größte Sorge ist ihre Zahnspange.
Sie wird aus über 2000 Bewerberinnen ausgewählt, die Rolle der Oda in „Poll" zu spielen. Sie hat zu diesem Zeitpunkt schon im Jugendensemble des Friedrichstadt-Palasts auf der Bühne gestanden. Der nächste Schritt ist trotzdem riesig. Mehrere Wochen dreht sie in Estland, in den Pausen kümmert sich eine Kinderbetreuerin um sie, Eltern will Chris Kraus nicht am Set haben.
Seit „Poll" hat Paula Beer nicht mal ein Dutzend Filme gedreht, dafür sind die alle hochkarätig besetzt. In „Ludwig II."spielt sie an der Seite von Sabin Tambrea und Hannah Herzsprung Prinzessin Sophie in Bayern, in „Der Geschmack von Apfelkernen" von Vivian Naefe ist sie als grausamer Teenager zu sehen, wieder mit Hannah Herzsprung, außerdem mit Meret Becker und Marie Bäumer. In „Das finstere Tal", ein Austro-Western, ist sie eine junge Bauernbraut im 19. Jahrhundert, die von Sam Riley vor einem grausamen Schicksal bewahrt wird.
"Ich bin manchmal schlecht darin zu erkennen, dass ich eine Hauptrolle spiele"„Das finstere Tal" war 2014 auf der Berlinale zu sehen. Genau wie Volker Schlöndorffs „Diplomatie", ein Film, für den Paula Beer nach Paris geht, gleich nach dem Abitur, sie spielt die Erzählerin der Rahmenhandlung - und wird am Ende rausgeschnitten.
Es ist wieder so ein Wendepunkt. Denn trotz der Absurdität einer solchen Erfahrung: Sie hätte ohne diesen Dreh nicht Französisch gelernt, und ohne diese Sprache hätte sie nicht die Hauptrolle in François Ozons „Frantz" bekommen. Sechs Wochen hat sie Zeit, ihre Rolle auf Deutsch und Französisch einzustudieren. Der Film wird ihr zweiter, ihr internationaler Durchbruch. Sie wird danach für die Nachwuchspreise der Filmfestspiele von Venedig, den Prix Lumières und den Cèsar nominiert, außerdem für den Europäischen Filmpreis als beste Darstellerin. „Paula Beer dans les pas de Romy Schneider", titelt Le Figaro - Paula Beer in den Fußstapfen von Romy Schneider. Als müsse man sie noch größer machen, indem man sie mit einer ganz Großen vergleicht.
Als Paula Beer „Frantz" das erste Mal sieht, sitzt sie in einer Pressevorführung in Paris und ist überfordert, weil ihr vorher nicht klar war, dass sie die ganze Zeit zu sehen sein würde. Das hatte sie auch schon bei „Das finstere Tal" gedacht. „Ich bin manchmal schlecht darin zu erkennen, dass ich eine Hauptrolle spiele", sagt sie.
Ihre Rollen machen mehr aus als Schönheit und JugendMan könnte ihr das als Koketterie auslegen, wenn diese Bescheidenheit nicht so authentisch wirken würde, so nachdenklich und bedächtig, wie sie ihre Sätze wählt. Manchmal rutscht ihr auch solch ein Satz dazwischen: „Das war mega!"
Wer mit 16 in Schauspielkursen sitzt, in denen die anderen 25 und älter sind, stellt sich andere Fragen als andere Teenager. Ernsthaftere. Sinnfragen, sagt Paula Beer. Sie ist eine zarte Person, die Taille, die Schultern unglaublich schmal. Nur ihre Hände sind groß und kräftig, verraten, dass Paula Beer von einer Zähe ist, die es braucht in diesem Beruf.
Auch deshalb taugt sie nicht als Beispiel für die Jugend und Schönheit, die in ihrer Branche als Währung gelten, weil ihre Rollen immer viel mehr ausmachen als das. Besonders jetzt, wo sie Frauen spielt. Wie in Petzolds „Transit". Da huscht Paula Beer die erste Hälfte des Films zwar nur durchs Bild. Doch sie tut das so rätselhaft, verzweifelt, anrührend, dass, als es Franz Rogowski endlich gelingt, sie festzuhalten, von ihr eine Anziehungskraft ausgeht, die den Zuschauer fesselt.
Bald ist Paula Beer in "Bad Banks" zu sehenSie kann so eine Petzold-Frau spielen - eine neue Nina Hoss? Nein, eine ganz andere, aber mit derselben Schwerelosigkeit. Das ist der eine Pol der Schauspielkunst der Paula Beer. Der andere ist an diesem Mittwoch im Zoo Palast zu sehen. 2015 hat die Berlinale Serien ins Programm genommen, hat „Better Call Saul" und „4 Blocks" gezeigt.
Jetzt also „Bad Banks". Paula Beer spielt darin eine Bankerin, die für ihre Karriere bereit ist, ihre Grenzen immer wieder zu verschieben. Und in dieser Rolle hat sie nichts von der Petzold'schen Brüchigkeit. Sie spielt hier eine Frau, die unter Spannung steht, hellwach, mit scharfem Verstand und immer am Rande des Nervenzusammenbruchs - der dann tatsächlich kommt. Paula Beer zeigt, dass sie auch das kann: hässlich sein vor der Kamera, wie ein Mensch, dem alles entgleitet.
„Denke, Paula, du musst denken, während du spielst", hat Chris Kraus ihr damals mit auf den Weg gegeben. Und so erarbeitet sie sich die Emotionalität ihrer Figuren mit dem Verstand. „Ich mag es nicht, mir Sachen aus meinem Privatleben zu bauen, gerade bei einem Seriendreh ist das viel zu belastend. Das hat da auch nichts zu suchen. Es geht ja um meine Figur, nicht um mich." Zusammen mit Christian Schwochow, der bei „Bad Banks" Regie führt, hat sie junge Banker interviewt, hat Vorlesungen an einer Elite-Universität besucht, hat diesen Typus des hochintelligenten Machtmenschen studiert. In „Bad Banks" kann Paula Beer zeigen, dass sie eine moderne Frauenfigur spielen kann, mancher hatte sie schon auf diese historischen Rollen festgelegt.
"Sie ist ein Engel"Einer, der ins Schwärmen gerät, wenn er von Paula Beer spricht, ist Christian Schwochow. Vor drei Jahren hatte er sie bei einem Casting für einen „Tatort" noch weggeschickt. Jetzt war sie die Letzte, die zum Vorsprechen kam. Es habe sofort Klick gemacht, sagt Schwochow. „Paula ist eine junge Schauspielerin, die alles mitbringt. Sie hat eine Schärfe im Denken, im Spiel, in der Sprache. Sie besitzt ein einzigartiges Talent."
„Bad Banks" ist mit einem straffen Zeitplan gedreht worden. Paula, sagt Schwochow, habe fast jeden Tag vor der Kamera stehen müssen. Immer sei sie geduldig gewesen. „Auch nach der zehnten Stunde ist sie noch durchlässig und in der Lage, den anderen in die Augen zu schauen." Ja, und in den Drehpausen lerne sie Spanisch oder lasse sich von der Garderobiere das Stricken beibringen. „Sie ist ein Engel."
Schwochow erzählt dann noch, dass Paula Beer sich genauso lange damit beschäftigen könne, dass im Baumarkt gerade die Wischmopps reduziert sind, wie mit dem Kleid, das sie auf der nächsten Gala tragen wird. Zur Eröffnung der Berlinale war es übrigens ein zitronengelbes Kleidchen. An ihr wirkte es nicht aufreizend, sondern elfenhaft. Und überhaupt nicht verkleidet.
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