Aryana Sayeed ist in Kabul geboren und in der Schweiz aufgewachsen. Vor sieben Jahren ging sie zurück nach Afghanistan, um die Gesellschaft mit ihren Liedern über soziale Probleme und Frauenrechte wachzurütteln. Trotz erheblicher Kritik von Konservativen und religiösen Fundamentalisten ist Sayeed heute ein gefeierter Popstar. Als Influencerin in den sozialen Netzwerken erreicht sie ihre Fans innerhalb Afghanistans sowie in der weltweiten afghanischen Diaspora. Im Juni ehrte sie der "Atlantic Council" für ihr Engagement für Frauenrechte mit dem "Freedom Award 2018".
zenith: Ihre Familie ist von Kabul nach Europa geflohen, als Sie acht Jahre alt waren. Wie erinnern sich die verschiedenen Generationen von Frauen in Ihrer Familie an das Afghanistan vor 1979? Damals waren Mini-Röcke in den Straßen Kabuls noch allgegenwärtig.
Sayeed: Das Afghanistan von damals war unglaublich schön. Meine Mutter, meine Tanten und meine Großmutter sprechen oft darüber, wie stark sich das Land verändert hat. Die einstige Kultur und Mentalität wurde vom Krieg und der fehlenden Bildung komplett verdrängt. Meine Generation ist eine, die kaum etwas außer Krieg gesehen hat und vieles entbehren musste.
In der Diaspora verfolgten Sie den US-amerikanischen "Krieg gegen den Terror" aus sicherer Distanz. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Wir haben damals gehofft, dass der Einmarsch der amerikanischen Truppen das Ende des Krieges in Afghanistan bedeuten und sich nun alles ändern würde. Aber ich war zu dieser Zeit nicht besonders eng mit dem Land verbunden. Erst 2011 bin ich das erste Mal nach Afghanistan gereist. Was ich dann sah, hatte mit dem, was ich bis dahin gehört hatte, nichts zu tun. Dort passieren so viele schreckliche Dinge, die hier im Fernsehen gar nicht gezeigt werden.
Acht Monate im Jahr wohnen Sie in Kabul, die Zwischenzeit verbringen Sie in London und Istanbul. Hat man Sie in Afghanistan je beschuldigt, von den Problemen des Landes nichts zu verstehen, weil Sie "nur eine aus der Diaspora" sind?
Einige Leute in Afghanistan meinen immer noch, dass ich meine Wurzeln verloren habe, nur weil ich in Europa aufgewachsen bin. Aber das stimmt nicht. Als ich das erste Mal in Afghanistan war, haben die Menschen gar keine afghanische Kleidung mehr getragen. Die Märkte waren voll mit indischen Mustern. Dann habe ich angefangen, auf meinen Konzerten und in Fernsehsendungen traditionelle afghanische Kleider zu tragen. Ich entwerfe die meisten davon selbst, genäht werden sie von Schneidern in Kabul. Durch mich sind diese Kleider wieder in Mode gekommen. Die Händler verdienen mit den Designs jetzt ein Vermögen. In Kabul findet man sie in jedem Laden.