Seit vier Jahren versinkt der Jemen im Krieg. Künstlerin Haifa Subay macht mit Street-Art auf das Leid der Frauen und Kinder aufmerksam.
Mit dreierlei Farbtöpfen und Pinseln im Schlepptau macht sich Haifa Subay an einem Tag im August 2017 das erste Mal auf den Weg zu ihrer Leinwand - die vom Krieg gezeichneten Straßen der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Ein paar Stunden später ist Haifas dunkle Abayya mit weißen Farbklecksen übersäht und die Künstlerin zufrieden: Eine Frau mit rotem Gesicht, die sich hinter einer Wand versteckt, schaut ihr ängstlich entgegen. Haifa wird das Bild „Hinter der Zerstörung" nennen. Das Erste ihrer Reihe „#Silent_Victims", stumme Opfer.
Mehr als zwei Jahre ist es zu diesem Zeitpunkt her, dass die Huthi-Rebellen Haifas Heimatstadt unter ihre Kontrolle gebracht und Präsident Abd-Rabbu Mansur Hadi zum Rücktritt gezwungen haben. Während sich Hadi in Aden und später im saudischen Exil in Sicherheit bringt, regnet es Bomben der von Saudi-Arabien geführten Militärallianz auf Haifa und die Bewohner Sanaas.
Mehr als 16.000 Luftangriffe in ganz Jemen fliegt die Allianz, die aus Ländern wie den Vereinten Arabischen Emiraten, Ägypten und Jordanien besteht, allein von März 2015 bis März 2017. Nachts, erklärt die heute 28-Jährige im Skype-Gespräch, hat sie vor den Einschlägen besonders Angst: „Ich habe viel geweint und musste Schlaftabletten nehmen", sagt sie. Bis heute sind etwa 4600 Zivilisten der insgesamt auf rund 60 000 geschätzten Kriegstoten durch Luftangriffe getötet worden. Viele von ihnen sind Frauen und Kinder: „Für mich sind sie die wahren Opfer des Krieges," sagt Haifa. Seit ihrem ersten Bild im August 2017 hat sie diesen Kriegsopfern die Mehrzahl der Bilder ihrer „#Silent_Victim"-Reihe gewidmet. Da ist etwa das Porträt eines einbeinigen Jungen mit starrem Blick, der ein mit roter Schleife verziertes Geschenk vor sich herträgt. Darin: sein Bein. „Er ist auf eine Landmine getreten", sagt Haifa, „nun überreicht er es der Welt." Mindestens 920 Menschen sollen durch von den Houthis verstreuten Landminen gestorben sein. Tausende wurden durch sie verletzt. Auch wenn der Krieg irgendwann vorbei sein sollte, werden regelmäßige Minenexplosionen die Jemeniten noch für Jahre an den Krieg erinnern.
Ihre Kunst ist für Haifa auch ein Mittel, die eigene Ohnmacht zu überwinden. 2016 verlor sie ihren Job in einer Import-Export Firma. Auch wenn die Weltbank für den Jemen aktuell eine Jugendarbeitslosigkeit von 26 Prozent angibt, dürfte der Wert deutlich höher sein. Im Gegensatz zu vielen anderen jungen Menschen, geht es Haifa finanziell trotzdem gut. Die Familie ist vergleichsweise wohlhabend und unterstützt sie bei der Finanzierung ihrer Straßenkunst. Außerdem sind einige ihrer Geschwister selbst kunstbegeistert und wie Haifa seit ihrer Kindheit gestalterisch tätig.
So auch ihr älterer Bruder Murad Subay. „Er war 2012 einer der Ersten, der Streetart im Jemen groß gemacht hat", sagt Haifa stolz. Tatsächlich gehörten Stencils, Tags und Murals - also Wandbilder wie Haifa sie malt - bis zur Revolution 2011 nicht zum Standardrepertoire der jemenitischen Kunst. Inspiriert durch Länder wie Ägypten und den britischen Banksy, begann Murad, Gleichgesinnte für erste Kampagnen zu gewinnen. Sie bemalten zu Beginn von Einschusslöchern verunstaltete Gebäude. Seit 2015 ist Murad Hauptorganisator des jährlichen „Offenen Tages der Kunst", an dem die Zivilbevölkerung in verschiedenen Teilen des Landes zur gemeinsamen Verschönerung ihrer Städte angehalten wird. Ein Hype um Einzelpersonen ist der Szene fremd.
Auch Haifa zieht zum Malen oft nicht allein los und wird von Freunden begleitet. Geschlechterrollen stellen dabei nur eine Herausforderung unter vielen dar. Passanten wundern sich, woher das Geld für ihre kritische Kunst stammt. Auch die Huthis, die in Sanaa und weiten Teilen Nordjemens nach wie vor das Sagen haben, stehen ihr skeptisch gegenüber und bedrohen sie regelmäßig: „Neulich hat mich jemand kontaktiert und mir vorgeworfen, von Saudi-Arabien unterstützt zu werden."
Sich auf eine Seite zu stellen, kommt für Haifa nicht in Frage. Für sie verüben alle am Krieg beteiligten Parteien Verbrechen. „Die Welt schaut auf Syrien, Palästina, den Irak," sagt Haifa: „Der Jemen wird ignoriert. Und die USA und Großbritannien beteiligen sich am Krieg." Auch aus Deutschland kommen Fahrzeuge und Waffenteile im Jemenkrieg zum Einsatz , wie das Rechercheprojekt #Germanarms vor Kurzem detailliert aufgedeckt hat. Haifas jüngstes Wandgemälde, das den Titel „Knochenkind" trägt und auf die aktuelle Hungersnot aufmerksam macht, an der bisher 85 000 Kinder gestorben sein sollen, ist somit als eine internationale Anklage zu verstehen.
Doch mit einem Portrait von Aseela Alnehmi, „Kindheit des Schmerzes" genannt, äußert sich Haifa auch zu aktuellen innerjemenitischen Debatten. Der Fall des achtjährigen Mädchens aus der Nähe von Sanaa, das von seinem Vater zu Tode geprügelt wurde, erschütterte im August 2018 die jemenitische Gesellschaft. „Auch wenn der Vater mittlerweile in Haft ist, leben Aseelas Geschwister weiterhin im Hause des Täters." Und nicht bei der von ihm geschiedenen Mutter der Kinder. Dieser Zustand ist für Haifa unerträglich.
Gefragt nach ihren Wünschen für die Zukunft, gibt die Künstlerin drei Antworten: „Ich möchte, dass Frauen und Kinder im Jemen nicht mehr für Brot, Wasser und Gas anstehen müssen." Die Huthis hätten seit zwei Jahren keine Gehälter mehr gezahlt. Bettelnde Menschen seien im Stadtbild Sanaas allgegenwärtig. An die Welt gerichtet sagt sie: „Sie muss verstehen, dass wir es mit zwei Feinden zu tun haben: Die saudische Militärallianz und die Huthis." Für sich selbst wünscht sie sich „ein normales Leben zu führen. So wie jede Frau."