Was kann die Hotellerie, was die Sharing Economy nicht kann?
In den 1970er-Jahren gab es die Bezeichnung "disruptive Innovation" natürlich noch nicht. Tatsächlich aber war der von Mövenpick erfundene Sonntagsbrunch genau das: eine Neuerung, die binnen kürzester Zeit den gesamten Hotelmarkt revolutionieren sollte. Denn indem die Schweizer das Büfett zur gastronomischen Kunstform erhoben, schlugen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: begeisterte Gäste einerseits, weniger Personal andererseits.
Auch bei anderen Dienstleistern wie etwa Banken oder Airlines hat das Prinzip des "arbeitenden Konsumenten" Schule gemacht. Ob beim Onlinebanking oder Self-Check-in am Airport: Mit dem schlagkräftigen Argument, die jeweils neue Technologie erlöse den Kunden wahlweise von starren Öffnungszeiten oder dem Schlangestehen, lassen Unternehmen gewisse Leistungen einfach nicht mehr von eigenen Mitarbeitern erbringen, sondern vom Kunden selbst.
Doch das Ganze hat einen Haken. Denn je besser ein Kunde das neue Prinzip erlerne, so Werner Reinartz, Professor für Handel und Kundenmanagement an der Universität zu Köln, desto stärker leide darunter die persönliche Beziehung zum jeweiligen Dienstleister. "Er ist ein loyaler Kunde, solange alles funktioniert; aber wenn ihm etwas nicht gefällt, ist er ganz schnell weg."
Ohne Emotionen keine StammgästeAuch die Hotellerie hat das zu spüren bekommen. Denn weder ein Büfett, noch ein funktionierender Getränke-, Snack- oder gar Check-in-Automat können aus einem Gast einen Stammgast machen. Und wo der persönliche Service immer weiter reduziert wird, bleibt irgendwann nur noch die Leistung "Übernachtung". Und weil diese "bei privat" inzwischen genauso gut zu haben ist - angereichert sogar um persönliche Begegnungen mit spannenden Menschen -, verliert die Hotellerie mehr und mehr ihrer Gäste.
Dass es vor allem Emotionen sind, die den entscheidenden Unterschied machen, haben die Best Western Hotels schon vor rund zehn Jahren erkannt. Eigentlich sollte nur die Servicequalität verbessert werden, um sich von der Vielzahl der ähnlich aufgestellten Mitbewerber im Drei- und Vier-Sterne-Segment abzuheben. Schnell sei dann aber klar gewesen, dass aus Zufriedenheit allein noch keine Loyalität erwächst. "Ein Gast, der nach seinem Aufenthalt zufrieden ist, hat genau das bekommen, was er erwartet hat", resümiert Best-Western-Chef Marcus Smola. "In unserem Geschäft heißt das in der Regel ein sauberes Zimmer, ein bequemes Bett und ein gutes Frühstück." Aus dieser Erkenntnis heraus sei dann die Best-Western-Verblüffungsoffensive erwachsen. Motto: "Wir müssen unsere Gäste nicht nur zufriedenstellen, wir müssen sie begeistern, sie verblüffen und überraschen - und zwar immer wieder."
Kreative Ideen statt kostspieliger InvestitionenGloria Bonzelet ist dafür verantwortlich, dass dieses Vorhaben im Alltagsgeschäft nicht untergeht. Als "Verblüffungsmanagerin" bei Best Western schult sie neue Mitgliedshotels, gibt Seminare und organisiert den jährlichen Serviceideen-Wettbewerb. Dabei ist sie davon überzeugt, dass man "an jeder Stelle einen Unterschied machen kann, von der Küche bis zur Haustechnik". Ob es nun das lustig gemalte Gesicht auf einem Kinderteller ist, die von Schmutz oder Schnee befreite Windschutzscheibe des Gäste-Pkw oder der Kellner, der im Anschluss an ein Dinner mit seinen Gästen noch um einen Kaffee würfelt.
"Jeder von uns weiß, dass nicht alles das absolute Servicehighlight sein kann", sagt Bonzelet. "Aber jeder von uns hat Beispiele oder eine Geschichte aus dem eigenen Alltag, wo es einen emotional gepackt hat, sodass man es noch Jahre später erzählt." Daher sind die Verblüffungsmanagerin und ihr Team davon überzeugt: "Unsere Gäste auf der zwischenmenschlichen Ebene anzusprechen ist das Beste, was wir tun können, denn der Service und die Menschen machen am Ende aus, wie wohl ich mich als Gast fühle." Oder wie der Kölner Professor Reinartz es formuliert: "Der Hotelier muss sich fragen: Wo kann ich für meinen Kunden einen Mehrwert generieren?"
Dass eine weltweit steigende Zahl von Gästen diesen Mehrwert bisweilen nicht mehr erkennen kann, ist sicher einer der Gründe für den Siegeszug der Sharing Economy. Befördert wurde er laut Professor Reinartz von drei parallel laufenden Trends: der digitalen Transformation, dem demografischen Wandel der Konsumenten sowie dem fortschreitenden Wertewandel wie etwa der zunehmenden Individualisierung durch die Möglichkeiten von Informationsbeschaffung, Preisvergleich und so weiter.
Soll heißen: Menschen, die ihren Urlaubsort wie Einheimische erleben wollen - durch den Austausch mit interessanten Menschen in deren privater Wohnung -, gab es schon immer. Ebenso solche, die ihre eigenen vier Wände teilen wollten. Doch erst die Sharing Economy bietet beiden Parteien eine Plattform, die über die Reichweite von Kleinanzeigen in einem Lokalblatt weit hinausgeht.
Dass sich daraus plötzlich eine echte Alternative zum standardisierten, oft anonymen Hotelaufenthalt entwickelte, ist nicht zuletzt auch dem hohen Lebensstandard der heutigen Gesellschaft geschuldet. Denn zumindest in puncto Hardware stehen die meisten Privatwohnungen einem Hotelzimmer in nichts mehr nach: Kostenloses WLAN ist ebenso selbstverständlich wie etwa ein hochwertiges TV-Gerät; und der Kühlschrank ist so groß, dass darin sogar eine amtliche Wasserflasche Platz hat (siehe dazu auch die ITB-Podiumsdiskussion am 9. März 2016 ab 11 Uhr: "Airfolg des Sofatourismus - Wird jetzt jeder Hotelier? Der Wettbewerb wohnt nebenan").
Schuld sind immer die anderen!Über die "Software" lässt sich hingegen streiten. Nicht nur, weil bei einem privaten Vermieter nicht 24 Stunden am Tag eingecheckt werden kann und Dinge wie etwa die Sauberkeit nicht immer den eigenen Vorstellungen entsprechen mögen. Viele der anfänglich begeisterten Bei-privat-wohnen-Fans wenden sich zudem ab, weil aus der ursprünglichen Idee des Teilens - zumindest in Metropolen - längst eine rein am Profit orientierte Industrie geworden ist. Statt auf Gleichgesinnte treffen Abenteuerhungrige heute auf die in Masse angemietete Kleinwohnung mit Ikea-Ausstattung und Spitzenpreisen.
Jeder von uns weiß, dass nicht alles das absolute Servicehighlight sein kann.
Doch was macht die Hotellerie? Statt sich den vielfältigen Gründen dieses Phänomens zu stellen, wärmt sie sich an ihrer "Bei uns steht der Gast im Mittelpunkt"-Selbstgewissheit - und klagt. Ob beim HSMA-Hotelcamp Ende Oktober, wo die Frage nach möglichen Serviceideen als Waffe gegen die Sharing Economy mit Achselzucken quittiert wurde, oder beim Europatreffen nationaler Hotelverbände Mitte November, das mit einem Appell an Europas Regierungen und EU-Institutionen endete, "sich der Auswirkungen der unkontrollierten Industrialisierung der Kurzzeitvermietung anzunehmen". Ist doch ganz natürlich, sagt dazu Professor Reinartz: "Wenn die IHA klagt, ist das Hotel selbst erst einmal nicht schuld."
"Der Bessere ist des Guten Feind"Doch selbst wenn IHA-Chef Markus Luthe und seine europäischen Kollegen viele Punkte zu Recht kritisieren, mangelnden Feuerschutz etwa, um nur einen zu nennen, verschwinden wird die Sharing Economy nicht mehr. Warum das so ist, erklärt Professor Reinartz am Beispiel des Fahrdienstleisters Uber. "Es wurde allerhöchste Zeit, dass Taxis mal der Spiegel vorgehalten wurde", sagt der Handelsforscher. "Leistung und Gegenleistung passten nicht mehr; weil nicht mehr auf die Kundenbedürfnisse eingegangen wurde. Das war ein Problem, das nur auf seine Lösung wartete." Sein Fazit: "Je schlechter eine Dienstleistung, desto schneller befördere ich Neues. Der Bessere ist des Guten Feind."
Ist ein Service relevant - für den Gast?Nun lässt sich einwenden, dass diese Erkenntnis schon immer galt: Wenn ein früh anreisender Gast in einem Hotel nicht vor Punkt 15 Uhr einchecken kann, sucht er sich eben eines, in dem die Mitarbeiter zumindest versuchen, dies zu ermöglichen. Und wenn ihm auf die Frage nach einem Raucherzimmer ein indigniertes "Selbstverständlich nicht!" entgegenschlägt, hält er Ausschau nach einem Haus, in dem die Mitarbeiter ihm einen Balkon samt Aschenbecher anbieten. Die Weiterempfehlung des positiv überraschten Gastes ist so einem Haus sicher.
Angesichts der zahllosen technischen Möglichkeiten sei es heute freilich eine Herausforderung, "eine starke Kundenbeziehung aufzubauen", weiß Professor Werner Reinartz. Um dort hinzukommen, müsse daher jeder Anbieter, also auch ein Hotel, "dicke Bretter bohren" und schauen: "Wie kann ich die neuen Technologien nutzen, um über meine Kunden etwas zu lernen und die Beziehung zu ihnen zu pflegen?" Lernen könne man dabei von Vorreitern wie Starbucks. "Da geht es nicht mehr nur um Kaffee, Starbucks ist heute ›the third place‹ nach dem Büro und vor dem Gang nach Hause. Da kann der Kunde heute über Spotify mitbestimmen, welche Musik gespielt werden soll."
Die Hotellerie hat beim Blick in den Spiegel bislang eher mit den Achseln gezuckt. "Wir leben in einer Ökonomie der Unaufmerksamkeit", konstatiert Frank Marrenbach, Chef in Brenners Park-Hotel & Spa, und mahnt zur regelmäßigen Prüfung des eigenen Angebots: "Es geht immer um Relevanz, und die verändert sich", weiß der 49-Jährige. "WLAN war vor 15 Jahren noch echt exotisch. Heute muss es umsonst sein und schnell. Es geht also nicht darum, was man für sich persönlich behalten möchte. Es geht darum: Was will der Gast? Das muss der Maßstab unseres Denkens bleiben! Und zwei Kellner, die am Tisch flambieren, sind heute nicht mehr relevant für den Gast."
"Service und Aufmerksamkeit" dagegen schon, wie der vom Schlummer Atlas zum "Concierge des Jahres 2016" gekürte Marcus Schindler betont. Er versuche daher immer, einen Aufenthalt im Brenners "zum Erlebnis" werden zu lassen. Anders als ein Drei-Sterne-Best-Western hat der Chefconcierge dafür zwar ein ganzes Team. Nichts allerdings spreche dagegen, auch die Servicekraft im Restaurant oder den Kollegen am Frontoffice zu einer Art Concierge zu machen, mit Tipps und Empfehlungen für den besten Italiener oder den coolsten Cocktail-Hotspot. Selbst Schindler verlässt sich nicht allein auf sein Team: "Wir trainieren auch alle anderen Mitarbeiter, die Pagen zum Beispiel, damit sie unseren Gästen die gleichen Infos geben können wie wir auch. Der Service ist das A und O."