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Zygmunt Bauman: Von der festen Moderne über die Postmoderne zur flüchtigen Moderne

Zygmunt Bauman - Bildquelle: Social Europe

Zygmunt Bauman (geboren am 19. November 1925 in Posen, gestorben am 9. Januar 2017 in Leeds), der 1939 vor den Nazis in die Sowjetunion flüchtete, hatte als polnisch-britischer Soziologe von 1971-1990 den Lehrstuhl für Soziologie an der University of Leeds inne. Er wurde mit dem Amalfi-Preis und dem Theodor-W.-Adorno-Preis ausgezeichnet und erhielt 2014 den Preis für sein Lebenswerk von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

In unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren große Umbrüche vollzogen, mit spürbaren Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche. Ob es sich um politische Veränderungen und Krisen, Folgen der Globalisierung oder umfängliche Prozesse in Bezug auf die Digitalisierung handelt, immer hat dies auch Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben, unsere Arbeitswelt, soziale Beziehungen und auf die einzelnen Individuen.

In der Gegenwartsgesellschaft herrscht immer mehr das Gefühl, dass sich so einiges verändert hat, und dass diese Veränderungen nicht unbedingt positiv für den Einzelnen sind. Es entstehen Unsicherheit und auch Ängste, denn die Veränderungen erscheinen oftmals so diffus, dass man sie nur schwer greifen oder gar belegen kann.

Der Soziologe Zygmunt Bauman, einer der bedeutendsten modernen Denker, hat sich in seinen Theorien der „flüchtigen Moderne" genau damit beschäftigt. Heute ist er im Alter von 91 Jahren in Leeds gestorben. Bis zuletzt hat er sich in alle wichtigen Themen unserer Gegenwartsgesellschaft eingemischt. Auf der vorletzten re:publica hielt er beispielsweise einen fulminanten Vortrag „From Privacy to Publicity: the changing mode of being-in-the-world" und referierte darüber, wie im digitalen Zeitalter die Menschen ihre Privatheit aufgeben, um irgendwie dazu zu gehören. Der Auftritt lohnt sich anzuschauen: re:publica2015 meets Zygmunt Bauman.

Und in seinem gerade erst erschienen neuen Buch „Die Angst vor den anderen - Ein Essay über Migration und Panikmache" beschäftigte er sich brandaktuell mit den Flüchtlingsströmen und den gewaltigen Herausforderungen für die einzelnen Nationen und der zunehmenden Xenophobie.

In seiner Liquid Modernity setzt er bei der Auflösung der festen Ordnung an. Die Gegenwartsgesellschaft ist durch Deregulierung und löchrige Sicherheitsnetze gekennzeichnet, wo Menschen, die der Gesellschaft keinen Nutzen mehr bringen, wie beispielsweise Kranke und Arbeitslose, aus der gesellschaftlichen Ordnung herausfallen und soziale Beziehungen nur noch oberflächlichen Charakter haben. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit" aus dem Jahre 2005 beschreibt Bauman unsere heutige Gesellschaft folgendermaßen:

„Wir leben heute in der flüchtigen oder flüssigen Moderne, wie ich sie nenne, in Konsumgesellschaften, in denen menschliche Beziehungen auf flüchtigen Genuss beschränkt sind. Menschen sind nur so lange wertvoll, wie sie Befriedigung verschaffen. (...) Die Überflüssigen fallen aus dem Klassensystem, aus jeder gesellschaftlichen Kommunikation heraus und finden nicht wieder hinein" (Interview: Wenn Menschen zu Abfall werden 2005, S.2-3).

Der Einzelne wird immer mehr dem freien Markt ausgeliefert, der Staat zieht sich als ordnende Instanz zurück und Organisationen sowie Institutionen verlieren an Bedeutung. Die Bewältigung von Ambivalenzen wird privatisiert und den Individuen überlassen, die gezwungen sind Entscheidungen zu treffen, obwohl Ihnen die Grundlage für ihre Entscheidungswahl fehlt (vgl. Bonacker 2014, S.174-175).

Zygmunt Bauman hat sich in seinen Werken mit einem breiten Themenspektrum beschäftigt, so beispielsweise mit dem Holocaust, der Arbeiterbewegung, der Globalisierung und der Zukunft Europas. Während seines Schaffens entwickelte er die Begriffe der Gegenwartsbeschreibung von dem der „festen Moderne", über die „Postmoderne" hin zur aktuellen „flüchtigen Moderne". Sein Ziel ist die Ausarbeitung und Entfaltung einer Soziologie gesellschaftlicher Ordnungsformen (vgl. Junge 2006, S.14-15).

Theoretische Beeinflussungen lassen sich bei Bauman in der Kapitalismus-Kritik von Karl Marx finden, die er zur Kritik an der Idee des Nationalstaates und Konsequenzen der Globalisierung weiterführt. Verbindungen mit den Arbeiten von Georg Simmel lassen sich in der Aneignung des „phänomenologischen Blicks" finden und in der Annahme, dass soziale Phänomene auf der Makroebene immer auch in sozialen Prozessen auf der Mikroebene zum Ausdruck kommen (vgl. Junge/Kron 2014, S.6).

Mit seinem im Jahre 2000 erschienenem Werk „Liquid Modernity" löst er sich vom Begriff der Postmoderne als Beschreibung der Gegenwart und wendet sich dem Begriff der „flüchtigen Moderne" als Gesellschafsbeschreibung zu. Mit diesem Begriff beschreibt er die Auflösung der festen Ordnung, die zu Deregulierung, geringerer Sicherheit und Ängsten, aber auf der anderen Seite scheinbar auch zu mehr Freiheit und Individualität in einer kontingenten Welt der grenzenlosen Möglichkeiten führt, in der sich für das Individuum der soziale Bezugsrahmen immer mehr auflöst. Der Staat liefert den Einzelnen dem freien Markt aus, das staatliche Sicherheitssystem wird abgebaut und Flexibilität gefordert.

So schreibt Bauman:

„Mit der Abdankung der zentralen Organisationskomitees, die sich um Ordnung und Regelmäßigkeiten, um die Differenz zwischen richtig und falsch kümmerten, erscheint die Welt heute als grenzenlose Ansammlung von Möglichkeiten: ein Container, randvoll mit zu ergreifenden oder verpaßten [sic!] Gelegenheiten" (Bauman 2003, S.76).

Auch ist der Einzelne gefordert, die für sich besten Entscheidungen zu treffen.

„Alles ist auf die Ebene des Individuums heruntergebrochen. Die einzelnen müssen entscheiden, was sie wollen, was sie können und für welches Ziel sie ihr Können einsetzen wollen - zur größtmöglichen Befriedigung natürlich" (Bauman 2003, S.77).

Bauman definiert fünf Aspekte der „flüchtigen Moderne", die für die Lebenswelt der Individuen neue Herausforderungen darstellen und die die Auswirkungen der neuen Flüchtigkeit auf den Einzelnen verdeutlichen.

Erstens sind Strukturen, die die Entscheidungsspielräume des Einzelnen begrenzen und somit Orientierung für menschliches Handeln und langfristige Lebensstrategien bieten nur noch von kurzem Bestand. Zweitens verlagert sich die Möglichkeit des modernen Staates, effektiv zu handeln in den politisch unkontrollierten globalen Raum und lässt die Macht der politischen Institutionen schwinden, sich um die Probleme ihrer Bürger kümmern zu können. Diese Funktionen übernehmen unkontrollierte Kräfte des freien Marktes oder werden der Eigeninitiative des Einzelnen überlassen. Drittens löst sich das gemeinschaftliche Sicherheitsnetz immer weiter auf, da zum einen die staatliche Absicherung gegen Schicksalsschläge und individuelles Scheitern abgebaut wird, und zum anderen werden die Individuen dem Konsum- und Arbeitsmarkt ausgeliefert, was die Spaltung der Gesellschaft zur Folge hat. Die Gesellschaft definiert sich nur noch über zufällige Verbindungen. Viertens stellt sich das leben des Einzelnen nur noch als eine Aneinanderreihung kurzfristiger Projekte dar, zurückliegende Erfolge geben keine Garantie oder Sicherheit für die Zukunft. Dieses immer wieder aufs Neue kurzfristige Planen und Handeln führt zur Schwächung sozialer Strukturen. Fünftens trägt das Individuum sämtliche Risiken und Konsequenzen für seine Wahlen und Entscheidungen, obwohl es diese aufgrund flüchtiger Strukturen und mangels Wissen gar nicht einschätzen oder begreifen kann. Aus der Tugend der Konformität in Bezug auf Regeln wird die Tugend der Flexibilität in Bezug auf Chancenergreifung und Veränderung (vgl. Bauman 2008, S.7-11) .

Diese kompakte Darstellung Baumans verdeutlicht, wie sich die „flüchtige Moderne" auf die Individuen auswirkt. Um die Tragweite dieses gesellschaftlichen Wandels verstehen zu können ist ein Blick auf die Merkmale der „festen Moderne", wie sie Bauman beschreibt, unumgänglich.

Ordnung und Ambivalenz

Bauman charakterisiert die „feste Moderne" anhand der Schlüsselbegriffe Ordnung und Ambivalenz. Hauptmerkmal und Daueraufgabe der Moderne war es, Strukturen und soziale Ordnung herzustellen. Bauman beschreibt dies als permanenten Kampf gegen das Chaos. Dieses Chaos wird durch die Ambivalenz verursacht, die Bauman als „die Möglichkeit, einen Gegenstand oder ein Ereignis mehr als nur einer Kategorie zuzuordnen" definiert (Bauman 2005, S.13).

Er sieht Ambivalenz als Hauptmerkmal von Vergesellschaftungsprozessen, die die Herstellung von Ordnung verhindert. In der „flüchtigen Moderne" fällt die Regulation von Ambivalenz zurück an die Individuen, also auch die Verantwortung für die Herstellung von Ordnung (vgl. Junge 2014, S.69-70).

Um den Staat der Moderne zu beschreiben, der für die nötige Ordnung sorgte, die der Gemeinschaft Sicherheit und Planbarkeit brachte, nutzt Bauman die Garten-Metapher. Ohne den Gärtner gäbe es keine Ordnung in der Welt - zumindest in dem Teil, der ihm anvertraut ist - denn er entscheidet, welche Pflanzen am besten an einer bestimmten Stelle wachsen können und vor allem auch, was nicht gedeiht und als Unkraut aussortiert werden muss. Der professionelle und fachmännische Gärtner überlegt sich eine sinnvolle Ordnung für seine Pflanzenwelt und erfüllt dann alle Maßnahmen, um diese von ihm erdachte Ordnung umzusetzen. Dieser Gärtner als Ordnungshüter der modernen Gesellschaft wurde in der „flüchtigen Moderne" allerdings vom Jäger abgelöst, der - in der verwendeten Vorstellung von Bauman - kein Interesse an einer Ordnung hat, sondern nur schnelle Beute machen möchte. So haben die beschriebenen Jäger der „flüchtigen Moderne" keine Ziele mehr und verfolgen kurzfristige Eigeninteressen. Dies führt dazu, dass jeder gegen jeden agiert (vgl. Bauman 2008, S. 144-148).

Ein Grund, weshalb der Staat die Gärtner-Funktion verloren hat, beschreibt Bauman in Anlehnung an Michel Foucault mit der Metapher des Panoptikums. Laut dieser Metapher konnte der Staat schon dadurch für Ordnung sorgen, weil die Bewohner sich jederzeit überwacht fühlten, da sie das Wachpersonal aufgrund der Form nicht sehen konnten, mussten sie jederzeit davon ausgehen, dass die Bewacher anwesend waren (vgl. Bauman 2003, S.17-18). Die Insassen des Panoptikums ließen sich kontrollieren und überwachen, um als Gegenleistung Sicherheit und Ordnung zu erhalten (vgl. Bauman 2007, S.174-175).

Nachdem der Nationalstaat sich aber immer mehr zurückgezogen hat, seine regulierenden Machtfunktionen eingeschränkt hat und auch immer weniger als Wächter und Gärtner fungierte, sind seine Bürger mit dem Kampf gegen die Ambivalenz und dem Versuch der Herstellung von Ordnung und Sicherheit auf sich alleine gestellt.

„Ambivalenz ist aus der öffentlichen Sphäre in die private übergegangen, seit keine weltliche Macht mehr Neigung zeigt, sie auszulöschen. Sie ist jetzt im großen und ganzen eine persönliche Angelegenheit. Wie so viele andere global-gesellschaftliche Probleme muß [sic!] dieses jetzt individuell angepackt und, wenn überhaupt, mit individuellen Mitteln gelöst werden. Die Erlangung von Klarheit der Absicht und Bedeutung ist zu einer individuellen Aufgabe und persönlichen Verantwortung geworden. Die Anstrengung ist etwas persönliches. Und ebenso das Scheitern der Anstrengung. Und der Vorwurf für das Scheitern. Und das Schuldgefühl, das der Vorwurf mit sich bringt" (Bauman 2005, S.239).

„Flüchtige Gesellschaft" als Konsumgesellschaft

Zygmunt Bauman beschreibt die Gesellschaft der „flüchtigen Moderne" als Konsumgesellschaft, in der die Teilhabe davon abhängt, ob der Mensch ökonomische Möglichkeiten hat zu konsumieren. Da die Armen nur mangelhafte Konsumenten sind, ist ihnen der Zutritt in die Gesellschaft verwehrt (vgl. Bauman 2007, S.187-188).

Der Konsum hat zum Wandel der Gesellschaft beigetragen, ihre Mitglieder haben sich gewandelt vom Produzenten zum Konsumenten. Das Leben des Produzenten war gekennzeichnet durch das Einhalten von Konformität und begrenzt durch normative Regeln. Das Leben des Konsumenten dagegen ist weitgehend normfrei, der Himmel scheint die einzige verbleibende Grenze (vgl. Bauman 2003, S.93).

Eine Befriedigung der Wünsche ist nicht vorgesehen, auf jeden erfüllten Wunsch muss sogleich wieder ein neuer Wunsch folgen. Den fortwährenden Zwang zum Konsum beschreibt Bauman in einem Interview mit der „Konsum macht einsam" Süddeutschen Zeitung folgendermaßen:

„Der Markt ist ein unerbittlicher Richter, der Entscheidungen zwischen dem Drinnen- und Draußensein fällt und keine Berufungsverfahren zulässt. Unwillige Konsumenten oder aber schwache Anbieter ihrer selbst sind wie ausgestoßen. In der liquiden Gesellschaft der Konsumenten ersetzen Schwärme zunehmend hierarchisch geprägte Gruppen. Schwärme sind keine Teams, sondern existieren lediglich durch eine mechanische Solidarität" (von der Hagen 2011, S.3).

Zygmunt Bauman zeichnet kein sorgenfreies Bild für das Individuum in der „flüchtigen Moderne", die ebenfalls Menschen zu Abfall werden lässt, wenn sie für die Konsumgesellschaft keinen Nutzen mehr bringen. Dies betrifft beispielsweise Flüchtlinge, Staatenlose, Entwurzelte und auch Arbeitslose (vgl. Interview: Wenn Menschen zu Abfall werden 2005, S.3). Und da sich vor Arbeitslosigkeit kein Mensch komplett schützen kann, ist der Befund, zum Abfall der Gesellschaft zu werden, für jeden eine sehr reale Drohkulisse, die es gilt mit aller Kraft zu verhindern.

Seine starke kluge Stimme wird der Welt fehlen. Für mich persönlich war er ein Vorbild, ein Mensch der mit der Zeit geht, der sein Denken mit der Zeit weiterentwickelt, wie er mit seinen Theorien deutlich zeigte. Zygmunt Bauman wird fehlen.

Bauman, Zygmunt (2003): Flüchtige Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2447).

Bauman, Zygmunt (2005): Interview: Wenn Menschen zu Abfall werden. Online verfügbar unter http://www.zeit.de/2005/47/st-bauman_alt, zuletzt geprüft am 24.03.2016.

Bauman, Zygmunt (2005): Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Neuausg. Hamburg: Hamburger Ed.

Bauman, Zygmunt (2007): Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen. Hamburg: Hamburger Ed.

Bauman, Zygmunt (2008): Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. Hamburg: Hamburger Ed.

Bonacker, Thorsten (2014): Moderne und postmoderne Gemeinschaften. Baumans Beitrag zu einer Theorie symbolischer Integration. In: Matthias Junge und Thomas Kron (Hg.): Zygmunt Bauman. Soziologie zwischen Postmoderne, Ethik und Gegenwartsdiagnose. 3., erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 153-186.

Hagen, Hans von der (2011): Konsum macht einsam. Interview mit Zygmunt Bauman. Online verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/2.220/interview-mit-zygmunt-bauman-konsum-macht-einsam-1.1049496, zuletzt geprüft am 23.03.2016.

Junge, Matthias (2006): Zygmunt Bauman: Soziologie zwischen Moderne und Flüchtiger Moderne. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (Lehrbuch).

Junge, Matthias (2014): Ambivalenz: eine Schlüsselkategorieder Soziologie von Zygmunt Bauman. In: Matthias Junge und Thomas Kron (Hg.): Zygmunt Bauman. Soziologie zwischen Postmoderne, Ethik und Gegenwartsdiagnose. 3., erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 69-86.

Junge, Matthias; Kron, Thomas (Hg.) (2014): Zygmunt Bauman. Soziologie zwischen Postmoderne, Ethik und Gegenwartsdiagnose. 3., erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

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