2 abonnements et 2 abonnés
Article

Ein fataler Grenzübertritt

Illustration: Till Lauer

In der Ostschweiz markiert der Rhein die Grenze zwischen der Schweiz und Liechtenstein. Wer das nicht weiss, kann kaum erkennen, dass der Fluss eine Trennlinie zwischen zwei Rechts­räumen darstellt. Diverse Fussgänger­brücken führen von einem Land ins andere. Kein Zollhaus, kein Grenz­posten ist dort zu sehen, nichts, was einer Spazier­gängerin anzeigen könnte, dass sie nun Schweizer Staats­gebiet verlässt.

Diese unscheinbare Grenze wurde einem Mann in St. Gallen zum Verhängnis, der nun schon seit sieben Jahren im Gefängnis sitzt.

Eigentlich kennt das Schweizer Strafrecht das Prinzip "Asperation statt Kumulation". Es wird in Artikel 49 des Strafgesetz­buchs festgehalten: "Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraus­setzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen." Es wird also eine Gesamt­strafe gebildet, die dann mit Zusatz­strafen erhöht wird.

Mit anderen Worten: Wer an zehn Tagen hinter­einander einen Diebstahl begeht, der kriegt nicht zehn einzelne Strafen aufgebrummt. Sonst könnte der Dieb schnell vierzig Jahre im Gefängnis sitzen, was nicht im Sinne des Straf­gesetzes wäre.

Doch das Bundes­gericht hat seine langjährige Praxis 2016 geändert und entschieden: Dieses Prinzip gilt künftig nicht für Straftaten im Ausland. Sobald eine Straftäterin eine Landes­grenze übertritt, fängt eine neue Grundlage für die Straf­zumessung an - auch wenn die Taten diesseits und jenseits der Grenze eng zusammen­hängen. Diese höchst­gerichtliche Praxis­änderung kann zu ungewöhnlich harten Urteilen führen, wie ein Fall aus St. Gallen zeigt.


Ganzer Text auf Republik.ch

Rétablir l'original