In diesem Wochenendjournal reist Reporterin Anh Tran zurück in ihre Heimatstadt, die sie vor ein paar Jahren verlassen hat. Die gebürtige Dresdnerin mit vietnamesischen Wurzeln nimmt uns mit an die Elbe, zur Frauenkirche und zur Kneipe ihrer Eltern, um mit Weggefährten darüber zu reden: Wie geht es Dresden? Und lohnt es sich zurückzukommen?
Das ist zuhause: Meine Mutter und ich.
Das ist zuhause: Meine Mutter und ich.
ATMO: „Raus, raus, Ausländer raus…“
Das auch: 3. Oktober 2016, Tag der Deutschen Einheit in Dresden. Und das ist mein Problem. Ich bin Anh Tran, gebürtige nicht-weiße Dresdnerin.
Meine Mutter kam Ende der 80er aus Vietnam in die DDR als Gastarbeiterin. Mitte der 90er kam ich auf die Welt. 18 Jahre lang bin ich in Dresden aufgewachsen: Kindergarten, Grundschule, Abi.
ARCHIV-TON
2014: Pegida geht auf die Straße. Dresden rückt in den Fokus mit Galgen für Politiker und Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund – gegen Menschen wie mich.
ARCHIV-TON
2017: Björn Höcke, Chef der Thüringer AfD, empört mit seiner Dresdner Rede im Ballhaus Watzke. Genau da habe ich meinen Abiball gefeiert mit Freunden und Familie.
Was bleibt ist ein riesiger Zwiespalt und die Frage: Was passiert hier
eigentlich in meinem Dresden? In diesem Wochenendjournal kehre ich zurück in meine Heimat, treffe alte Weggefährten und spreche zum ersten Mal mit meinen Eltern über Rassismus.
MUSIK
Angekommen. Ich habe ein komisches Gefühl. Mit meinen Freunden und meiner Familie spreche ich fast nie über Politik. Zu hoch ist das Risiko etwas zu erfahren, was man nie wollte. Mit diesen Gedanken steige ich in die Straßenbahn. Da spricht mich ein Herr auf mein Aufnahmegerät an.
ATMO
Ich erkläre, dass ich für einen Radio-Beitrag aufnehme. Dann sagt er plötzlich: „Für eine Asiatin sprechen Sie aber gut deutsch.“
Wieder mal so ein nett gemeinter Satz. Ich versuche, souverän zu antworten: Ich komme ja von hier, wär komisch, wenn ich kein Deutsch sprechen würde.
Danach erklärt er mir, dass er das Wort Ausländer ganz schlimm finde. Das klinge wie Aussätziger. Aber es gebe eben auch Wörter, die sage man halt so –zum Beispiel Fidschi. Das kann ich nicht so stehen lassen:
OTON
„Damals war es auch noch gängig ‚Fidschis klatschen gehen‘“
„Ja, ich will damit keinen beleidigen…in Sachsen einfach
Umgangssprache“
„Das ist tatsächlich so, aber wenn man so bezeichnet wird…“
„Wir wollen jetzt auch zum Asiaten gehen.“
Wow. Ich sitze keine 5 Minuten in der Straßenbahn in Dresden und dann so ein Gespräch. Es gibt immer noch Leute, die nicht wissen, wie verletzend das Wort Fidschi ist. Ich denke an die unzähligen Male, in denen ich so genannt wurde. Beispiel: dritte Klasse Sportunterricht. Erst beschimpfen mich drei Jungs mit diesem Wort. Danach warten sie, um mich am Ausgang mit Steinen zu bewerfen und zu bespucken.
Trotzdem bleibt kein bitterer Nachgeschmack von dem Gespräch mit dem Mann in der Straßenbahn. Ich glaube, er überdenkt seine Wortwahl nochmal.
Mit dieser Hoffnung besuche ich meine beste Freundin. Besser gesagt sie, ihre Schwester und ihre Mutter:
BEGRÜSSUNG
Alle wollen anonym bleiben. Denn wir werden über ihre politischen Einstellungen sprechen. Ein heikles Thema.
Für mich sind die drei Frauen wie eine zweite Familie. Ich kenne sie seit dem Kindergarten. Ich war bei jedem Geburtstag eingeladen und andersrum. Einmal habe ich etwas ganz Besonderes von ihr bekommen. Das Geschenk habe ich heute dabei.
OTON
Freundin: Oh mein Gott, ein Freundebuch. Da müssen wir doch gleich mal reingucken. Ah, ich bin sogar die Erste.
Autorin: Du hast es mir ja auch geschenkt! Mein allergrößter Wunsch – Dass wir Freunde bleiben.
Schwester: Mit Kleeblatt!
Freundin: Mein Leibgericht – Spinat? Bitte was? Naja, Apothekerin bin ich leider nicht geworden
Viele Wünsche von damals sind nicht in Erfüllung gegangen. Die Schwester meiner Freundin hat damals auch ins Freundebuch ihren allergrößten Wunsch geschrieben: Viel Geld verdienen. Daraus ist nichts geworden.
OTON
Schwester: Ich hab zwei Jobs, damit ich meine Kosten decken kann, damit ich mir auch mal was leisten kann. Mal in den Urlaub oder so…
Autorin: Du hast aber drei Jahre Ausbildung
Schwester: Ich hab drei Jahre Ausbildung gemacht, habe insgesamt 13 Jahre in dem Betrieb gearbeitet und da der Job aber nicht gereicht hat, musste ich mir nebenbei noch eine Zweitstelle suchen.
Autorin: Geht es vielen so wie dir?
Schwester: Ja, ich arbeite im Supermarkt und da hat wirklich jeder Zweite einen Zweitjob. Weil es heutzutage ja nicht so ist, dass man Vollzeit eingestellt wird, sondern mittlerweile ist das ja so, dass man wirklich bloß noch auf 20, 25,30 Stunden-Basis eingestellt wird, aber
da das Geld von vorne bis hinten nicht reicht.
Autorin: Bist du abgesichert fürs Alter?
Schwester: Nee!
Autorin: Also du kannst es dir nicht leisten, für später schonmal vorzusorgen.
Schwester: Richtig. Man spart zwar trotzdem irgendwo, aber dann kommt, dann ist das Auto kaputt. Musst du ein neues Auto kaufen. Dann geht die Waschmaschine kaputt. Dann kaufst du wieder eine neue Waschmaschine. Das ist ja so ein ständiger Kreislauf, wo du sagst, du hast was angespart, dann geht was kaputt und zack ist es wieder weg.
Autorin: Habt ihr mal geliebäugelt mit der AfD?
Schwester: Ja.
Autorin: Warum?
Schwester: Einfach, dass sich was ändert. Nicht, weil ich unbedingt alles unterstütze. Aber für mich wäre es auch wie ein Hilfeschrei, dass sich endlich was ändert. Ich hab nicht gewählt davon mal abgesehen, also ich habe nicht gewählt, weil ich ehrlich gesagt, nicht hätte gewusst, was ich wählen sollte.
Autorin: Aber so kann sich doch gar nichts ändern. Oder ist irgendwas in meinem Kopf was verkehrt?
Schwester: Wenn man aber jetzt die AfD wählt und sagen wir mal, die kommen wirklich an die Macht und ziehen alles durch, was sie wollen, sitzen wir am Ende vielleicht dennoch in der Scheiße. Ist ja so!
Man weiß ja am Ende nicht, was die vielleicht noch so durchziehen, was wir vielleicht gar nicht wissen.
Freundin: Und Wahlprogramm und das, was sie durchsetzen…
Mutter: Das haben wir schon bei jeder Partei gehabt…
Schwester: Deswegen hat mein Verstand dann gesagt: Du wählst gar keinen…
Freundin: Weil du dich nicht entscheiden kannst.
Schwester: Weil ich mich nicht entscheiden kann und hätte ich jetzt wirklich die Wahl getroffen und hätte die AfD gewählt, hätte ich es am Ende bereut.
Freundin: Aber sagen wir mal so, du hättest gedacht, dass du mehr Übereinstimmung mit der AfD hättest und durch den Wahlomat kam eigentlich raus, dass auch bei dir die AfD an letzter Stelle war von den prozentualen Übereinstimmungen her.
Mutter: Und das ist, glaub ich, das Hauptproblem. Die wissen wirklich nicht, was die AfD in ihren Zielen alles formuliert hat. Ich glaube, es haben sich zu wenig Leute damit beschäftigt. Die haben einfach gesagt: Ich wähl jetzt die AfD – fertig aus.
Freundin: Weil du durch den Wahlomaten ja auch irgendwie mitbegekriegt hast, dass es gar nicht so übereinstimmt mit deiner Meinung…
Schwester: Zumindest das, was sie haben vorgegeben, was sie ändern wollen.
Autorin: Warst du da überrascht?
Alle: Ja, waren wir alle überrascht?
Autorin: Ja? Warum? Habt ihr alle gedacht, ihr habt mehr Übereinstimmung mit der AfD?
Alle: Ja, haben wir gedacht.
Freundin: Erschreckender Weise hat man das einfach gedacht.
Der Wahlomat ist ein Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung im Internet. Man beantwortet politische Fragen und kann das Ergebnis mit den Wahlprogrammen der Parteien abgleichen. Dadurch haben die drei festgestellt, wie wenig sie mit den Rechtspopulisten gemein haben.
OTON
Schwester: Die AfD wollte die Grenzen wieder einführen.
Mutter: Das hatten wir ja schon mal. Dass man dann wieder Ausweis zeigt, stundenlang an der Grenze steht. Überhaupt, das Thema ist undiskutabel.
Freundin: Euro, dass der Euro wegfällt. Das macht schon einen Unterschied, ob man halt in Europa reist oder auch noch Kanarischen Inseln oder sonstige ehemalige Kolonien, die ja trotzdem auch Euro haben, weil die eben auch zur EU gehören. Das macht beim Reisen einfach so viel leichter.
Autorin: Also wir sind schon Profiteure von der Wende…
alle: Auf alle Fälle.
Freundin: Auch von der EU. Ich meine, ich denke so an die DDR. Ich will gar nicht wissen, wie das war nur in gefühlt in drei Länder reisen zu können und nicht die Freiheit zu haben: Ich reise jetzt in die USA oder nach Timbuktu oder wo auch immer hin.
Mutter: Ja, aber das hat uns aber nicht gestört, weil wir es nicht anders kannten. Das waren nicht wenige Länder, in die wir reisen konnten und du hast ganz viele Ziele. Aber du wusstest von vornherein: Dort wirst du nicht hinkommen und dort wirst du nicht hinkommen.
Freundin: Aber du wusstest im Gegenzug auch, dass andere Länder die Möglichkeit haben, überall hinzureisen.
Mutter: Genau.
Freundin: Und das hätte ich wahrscheinlich – ich bin anders aufgewachsen – das hätte ich, wenn ich jetzt so rückblickend denke – ne. Ich will ja nicht nur meinen Kontinent sehen. Ich will ja noch mehr sehen von der Welt als nur das Stück.
Mutter: Das war ja unser Traum und das können wir jetzt erleben und das nutzen wir auch reichlich, deswegen gibt es ja diesen Begriff: Der Sachse liebt das reisen sehr.
Freundin: Wir lieben auch die Ostsee sehr!
Mit dem Wahlomat endet das politische Engagement der drei. Pegida finden sie zwar blöd. Dagegen zu protestieren, kommt ihnen aber auch nicht in den Sinn.
OTON
Freundin: Es war nie so, dass wir irgendwie dagegen gegangen sind.
Autorin: Und warum nicht?
Mutter: Das machen wir einfach nicht.
Autorin: Das ist ja keine. Also, ich weiß nicht, wenn du so einem Kind sagst: „Mach ich einfach nicht so“, das ist ja dann auch keine befriedigende Begründung.
Mutter: Ja, aber ist einfach so. Ich würde niemals zu PEGIDA als Gegendemonstrant gehen. Würde ich niemals machen.
Autorin: Auch, wenn du damit nicht übereinstimmt und auch, wenn du nicht willst, dass in der Berichterstattung PEGIDA für Dresden steht? Aber wie soll sich so was ändern?
Schwester: Es ändert sich sowieso nichts. Das wird immer so weiterlaufen, wie es ist.
Autorin: Aber man kann sagen über PEGIDA, was man will, aber es hat schon auch was geändert.
Schwester: Ja, aber so an sich wird sich nichts ändern. Es wird trotzdem immer so bleiben, wie es ist. Es kann bestimmt noch schlimmer werden.
Autorin: Aber nicht mehr besser?
Schwester: Nö. Besser wird’s nicht.
MUSIK
OTON
Autorin: Boah ist halt wirklich schön hier, ne?
Doreen Reinhard: Absolut.
Autorin: Jedes Mal, wenn ich durch diesen Zwinger gehe, denke ich, wie schön
es hier ist.
Reinhard: Absolut. Ich mag das auch hier, Anh.
Autorin: Und heute ist auch das Wetter noch so toll.
Reinhard: Es ist halt wirklich eine relativ lebenswerte Stadt. Ich bin echt kein Berlin-Fan. Mir ist das alles zu viel und zu groß und immer wenn ich mal da bin denke ich: Oh, wann kann ich wieder nach Hause? Abgesehen davon, dass ich mir die Stadt wahrscheinlich nicht mehr
leisten könnte.
Doreen Reinhard. Ich treffe die Dresdnerin und Journalistin mitten in der Altstadt zwischen Zwinger und Semperoper. Als Freie schreibt sie für verschiedene Zeitungen. Wir kennen uns noch von der Jugendredaktion, die sie geleitet hat und für die ich geschrieben habe. Über acht Jahre ist das jetzt her. Ich will von ihr wissen, was sich in Dresden verändert hat.
OTON
Doreen: Was jetzt anders geworden ist, im Sommer 2019, so kurz vor der Wahl, vor der Landtagswahl in Sachsen, kann man schon festhalten, dass sich – das merkt ich auch gerade in der Berichterstattung – dass vieles extremer geworden ist und doch irgendwie normaler. Was erschütternd ist. Ich les immer mal Sätze und Worte auch gerade von rechten Politiker, von AfD-Leuten und denke: Mein Gott, das ist so eingesickert. Der Regler wird immer noch lauter aufgedreht und wir haben uns schon fast dran gewöhnt. Da fragt man sich: Wo soll das denn noch hingehen? Und es ist noch viel komplizierter geworden. Also wir gucken natürlich darauf – Wie wird die Wahl ausgehen? Es ist eine unglaublich schwierige Konstellation. Was wird danach passieren? Wie wird man sich aufstellen. Es ist alles schwer und kompliziert.
Deswegen ist es ihr als Journalistin besonders wichtig bei all den Artikeln über Dresden, über den Rechtsruck, über Pegida auch Alltag der Stadt zu erzählen. Ich beobachte Doreen während sie von unserer Heimatstadt erzählt und frage mich, ob sie auch Angst hat.
OTON
Doreen: Naja, ich will ja jetzt als Journalistin nicht in Panik-Modus verfallen. Ich find schon, dass man für die Arbeit ein wenig mit ruhigen Blick auf Dinge und Entwicklungen schauen könnte. Insofern hab ich – muss ich jetzt ehrlich sagen – ich hab jetzt vor nichts Angst. Natürlich bin ich in einer anderen Situation als du. Ich bin weiß. Es ist recht schnell erkennbar, dass ich von hier stamme. Ich habe jetzt keine Probleme oder einfach so Dinge.
Angst…Ich mach mir schon Sorgen, dass die Gesellschaft hier verroht und hier mehr als anderswo. Das sehe ich schon sehr und ich sehe auch, dass es nicht ins Gegenteil, dass es schwächer geworden ist, seit uns das bewusst seit 4-5 Jahren geworden ist, sondern, dass es eher noch intensiver wird. Oder dass Diskussionsfronten sich verhärten, dass man eigentlich nicht richtig Frieden oder eine neue Ebene gefunden hat. Sondern, dass eigentlich, Vieles einfach nicht besser geworden ist. Das macht mir schon echt Sorgen, wo Dinge einfach hingehen. Ich habe auch in meinem eigenen Familien- und Bekanntenkreis gibt’s totale Sprachlosigkeiten, die damit zu tun haben und das sind auch keine schönen Situationen.
Autorin: Was meinst du damit mit Sprachlosigkeiten?
Doreen: in meiner eigenen Familie gibt’s AfD-Wähler, AfD-Gedanken. Das gab in den ersten Jahren Diskussionen: Was denkst du? Was denk ich? Aber viel hat sich da auch nicht wirklich bewegt. Eigentlich ist dann jeder so ein bisschen in sein eigenen Löchlein gekrochen und hat dann gesagt: Na gut, dann denkst du so, aber eigentlich will ich das jetzt auch nicht noch bei jedem Familientreffen hören, was du vom Staatsfunk denkst. Das trifft ja auch teilweise meinen eigenen Beruf, wie Medien wahrgenommen werden und da kann man jetzt erklären, wie die Arbeit funktioniert und dass sicher nicht alles toll ist und auch nicht jeder tolle Arbeit macht, aber dann immer wieder so, gerade auch mit diesem Vokabular, das zuhören. Da merke ich selber auch an mir, wie man so ein bisschen resigniert.
Autorin: Musstest du irgendwie mit Anfeindungen klar kommen als
Journalistin?
Doree: Ja, na klar hab ich sowas jetzt gehört. Also sei es jetzt bei Demonstrationen oder dass man jetzt in direkten Gesprächen mitgeteilt bekommt, dass man jetzt nicht so beliebt ist als Journalist. Aber mir ist jetzt nichts Massives passiert. Gott sei Dank. Ja, Normalmaß. Ich hab jetzt nie ein eklatantes Erlebnis gehabt bisher.
Autorin: Was ist denn Normalmaß?
Doreen: Dass man da als Journalist sei es jetzt einzeln oder wenn man im Team gegenübersteht, dass man dann natürlich Lügenpresse und die hässlichsten Begriffe für Journalisten mit denen so voll gebrüllt zu werden. Das habe ich schon so erlebt.
Autorin: Ja, ich hab halt Angst, nur noch Feindbild zu sein, wenn ich
nach Haus komme, ne?
Doreen: Ja, aber kommt es nicht einfach auf einen Versuch an – Anh? Das verstehe ich schon und niemand muss hier irgendwie Kämpfe – wie gesagt – du musst ja nicht die persönliche Landeszentrale für politische Bildung hier werden und das so als Aufgabe, aber anders geht es halt einfach trotzdem nicht. Es geht ja vor allem durch Menschen, durch Gesellschaft und miteinander reden.
MUSIK
Zurück in Dresden
OTON
Autorin: Standortbeschreibung: Wir stehen hier auf dem Neumarkt und wir schauen auf die Luther-Statue, in unserem Rücken ist die Frauenkirche, links von uns würde es weiter gehen zur Elbe und hier sind überall Schirmchen aufgebaut unter denen die Leute sitzen und essen oder einfach Fotos von hier machen, weil es so schön ist und tatsächlich ist hier alles aufgebaut worden, wie es mal war.
Werner Rellecke: Der Platz ist jetzt relativ voll, früher war das natürlich eine leere Fläche, ohne groß Gastronomie...
Ich stehe hier mit Werner Rellecke von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Der gebürtige Sauerländer wohnt seit 1992 in Dresden. Anfang der 90er war es für den Politikwissenschaftler besonders spannend den Wiedervereinigungsprozess zu verfolgen. Die DDR-Zeit ist seiner Ansicht nach bis heute nicht umfassend aufgearbeitet.
OTON
Rellecke: Während es am Anfang in den 90ern darum ging, wie ist konkretes Unrecht aus der DDR-Zeit auszugleichen. Wie kann man damit umgehen - juristisch? – wer hat sich was zu Schulden kommen lassen? Also das wird von den meisten nicht in Abrede gestellt, was zu DDR-Zeiten schief gelaufen ist und dass die DDR am Ende doch viele Ruinen und ein relativ kaputtes Land hinterlassen hat.
Aber: Es werden jetzt auch Dinge in den Vordergrund gestellt: Wie ist der Aufbau oder die Arbeit in den 90er Jahren erfolgt Stichwort: Treuhand. Welche Fehler sind da gemacht worden? Wie sah es mit der wirtschaftlichen Umwandlung aus? Wie ist das Verhältnis
zwischen Mitteln, die die Infrastruktur wieder in Gang gebracht haben, wo der Staat gefragt war. Inwieweit ist da die Gesellschaft und die Wirtschaft dort mit einbezogen worden: Was ist gelungen und was nicht und da muss man schon sagen, da ist Dresden natürlich ein sehr positives Beispiel, weil hier alles gut läuft sowohl von der Bevölkerungsentwicklung wie auch von der wirtschaftlichen Entwicklung und Arbeitslosigkeit her, aber die Unterschiede zwischen Stadt und Land, die sind in den letzten Jahren schon stark angewachsen.
Damit die Lücke nicht größer wird, bemüht sich die Landeszentrale um eine anständige Streitkultur. Dazu hat sie beispielsweise in jedem Wahlkreis Wahlforen veranstaltet. Diese sollen den Dialog zwischen Politik und Bürgern anregen. Trotzdem gerät Relleckes Arbeit oft an ihre Grenzen.
OTON
Rellecke: Bildungsarbeit kann man natürlich nur mit denen machen, die eine gewissen Offenheit für die Bildungsarbeit haben. Es gibt eben Kreise, die verschließen sich der politischen Bildung und an die kommen wir zumindest mit unseren Ressourcen nicht ran.
Autorin: Sind die dann verloren?
Rellecke: Ich hoffe nicht, aber wir können sie nicht zurückholen.
Autorin: Aber potenziert sich dann nicht das Problem, wenn man es nie erreicht?
Rellecke: Ich hoffe nicht. Ich glaube schon, unsere Erfahrung in den Wahlforen ist, dass es dort schon im Großen und Ganzen sehr zivilisiert zugeht. Dass man die Meinungen austauscht. Dass es schon mal Leute gibt, die ihre eigene Meinung in den Raum schreien, aber im Großen und Ganzen hatten wir vorher doch Befürchtungen, dass es extremer sein könnte, dass man vielfach auch vom Hausrecht Gebrauch machen muss. Also Leute dann auch des Saales verweisen muss. Das ist bisher nicht passiert. Das wäre wahrscheinlich vor 2 Jahren häufiger vorgekommen. Weil da unsere Erfahrungen waren: Pro-Contra-PEGIDA-Veranstaltungen, die wir da durchgeführt haben, dass die Stimmung so aufgeheizt war, dass die Emotionen so aufgeheizt waren, dass man die kaum kanalisieren konnte. Das ging dann über mehrere Veranstaltungen hat sich das dann damals heraus gestellt – das geht dann doch! Bei einmaligen Veranstaltungen ist das immer ganz schwierig, aber wenn die 2-3 mal kommen...Und da habe ich schon den Eindruck, dass da in den letzten 2-3 Jahren die gesamte Diskussionskultur schon wieder auf dem Weg der Besserung ist.
Werner Rellecke ist Optimist. Er diagnostiziert der Stadt Dresden
und ganz Sachsen ein Rechtsextremismus-Problem, sagt aber auch:
OTON
Rellecke: Man spricht oft von schweigender Mehrheit oder von Mehrheiten, die man nicht sieht. Die müssen sichtbarer werden. Das muss sehr viel stärker wachsen. Hier muss es eine sehr viel selbstbewusstere und einigere Zivilgesellschaft geben. Also, dass sich auch die gesellschaftlichen Gruppen – bist du demokratisch oder anständig oder vernünftig oder wie auch immer nenne – dass die sich stärker zusammenschließen und stärker selbstbewusst Flagge zeigen gegen solche Erscheinungen.
Autorin: Ich habe eingangs gefragt: Wie steht es um die politische Bildung in Dresden, in Sachsen? Und es erscheint mir jetzt klüger zu fragen: Wie steht es um die demokratische Haltung in Dresden?
Rellecke: Ich denke, die demokratische Grundhaltung ist bei einem sehr großen Teil der Bevölkerung durchaus vorhanden und solide, aber die Bereitschaft oder die Einsicht in die Notwendigkeit, dass man sehr viel mehr tun muss, um guten demokratischen Umgang miteinander zu pflegen, dass man Flagge zeigen muss, dass man Engagement zeigen muss, die Einsicht darein ist noch nicht breit genug verankert. Das heißt, die große Mehrheit denkt demokratisch, besteht aus Demokraten, aber man muss mehr tun, um die Gesellschaft wirklich als demokratische Gesellschaft leben und positiv entwickeln zu können.
Autorin: Was wünschen Sie Dresden?
Rellecke: Ich wünsche, dass die innere Verfasstheit der Stadt sich perspektivisch der Schönheit der Stadt in architektonischer und anderer Hinsicht anpasst.
OTON=5‘16
MUSIK
26. Mai, Europawahlen in Sachsen. Die AfD wird in Dresden stärkste Kraft. Als die Wahlergebnisse im Fernsehen kommen, schreibt mir eine Freundin über WhatsApp: Ich könnte heulen.
Zwei Monate später. Wir treffen uns bei Selma, die eigentlich anders heißt und lieber anonym bleiben möchte. Ich spiele ihr nochmal die Sprachnachricht vor, die sie mir direkt am Wahltag
geschickt hat:
OTON SPRACHNACHRICHT
Sprachnachricht: Man wusste schon, dass es nicht mega cool wird, aber es hat uns doch wieder sehr überrascht, dass selbst die niedrigen Erwartungen, die man hatte, doch noch untertroffen werden können. Ich finde es wirklich krass.
Autorin: Was denkst du denn, wenn du das hörst?
Selma: Ich denke vor allem, dass ich zu dem Zeitpunkt als ich das gesagt habe, deutlich emotional aufgewühlter war. Ich war wirklich, wirklich frustriert. Wenn ich das jetzt so höre, hat sich eigentlich nichts geändert. Ich denke das Gleiche, aber ich kann meine emotionale Stimmung von da nicht mehr ganz nachvollziehen. Jetzt betrachte ich das viel nüchterner mit so einem gewissen Abstand zur Wahl. Was irgendwie auch blöd ist.
Autorin: Was bedeutet dir Dresden denn?
Selma: Früher war Dresden für mich ein Zwischenstopp. Man studiert hier und dann weiter, aber gerade stelle ich fest, dass ich mich doch hier doch so eingebunden und wohl fühle, dass ich mir doch vorstellen könnte, hier noch eine Weile zu bleiben. Ich glaube nicht,
dass die Konsequenz aus dieser Nachricht, dass man hier wegziehen sollte. Sondern ich denke eher, es ist total blöd, wenn du, wo viele andere Meinungen vorherrschen, einfach wegziehst, um die Leute in ihrem Meinungssumpf zu lassen und es kommt natürlich auch noch hinzu, dass man nicht im Alltag nicht ständig mit konfrontiert wird. Also man kriegt es ab und zu mal mit, aber ich red ja nicht mit der Bäckersfrau übers AfD wählen.
Autorin: Warum eigentlich nicht?
Selma: Tja, nicht der konventionelle Smalltalk. Wahrscheinlich weil ich nicht wüsste, wie man solche Gespräche führt, ohne die Moralkeule rauszuhauen. Das weiß ich nicht so richtig.
Autorin: Was ist denn verkehrt an der Moralkeule? Ist das nicht nur Anstand?
Selma: Das Verkehrte an der Moralkeule ist, dass man damit niemanden erreicht, sondern meistens nur eine Gegenreaktion hervor holt – also dieses sture: ich bleib bei meiner Meinung. Und das ist ja nicht, wie man mit Menschen reden möchte. Also Moralkeulen sind einfach nicht produktiv, habe ich das Gefühl.
Autorin: Gibt's was, was dir Angst macht oder Sorgen bereitet?
Selma: Dass Dresden einfach hinterher hinkt hinter anderen Städten. Dass einfach Sachen wie Wohnungsbau und Verkehrsplanung, etc. einfach zu langsam passieren, aber ich würde nicht sagen, dass ich eine sehr präsente Angst habe.
Autorin: Merkst du irgendwas von einem Rechtsruck in Dresden?
Selma: Also ich kann nicht behaupten, ich würde was von einem Rechtsruck in Dresden merken, weil ich halt einfach nur mit Studenten und meinen Nachbarn und Leuten in Kontakt stehe und im Alltag gibt’s ja gar nicht so viele Stellen, wo man Reibung hätte, oder?
Seit sechs Jahren wohnt und studiert Selma in Dresden. Geboren ist sie in Chemnitz. Sowohl Dresden als auch Chemnitz haben nicht den besten Ruf:
OTON
Selma: Wobei Chemnitz sich Mühe gibt
Autorin: Gibt sich Dresden keine Mühe?
Selma: Anders. Also ich würde sagen, beide Städte haben definitiv ein Problem mit Rechtsextremismus, aber ich habe das Gefühl, dass Chemnitz sich nicht zu schade ist, das Problem anzusprechen. Einfach weil es keinen Ruf zu verlieren hat. Chemnitz hatte halt nie einen besonders guten Ruf, während Dresden einfach das Problem schon länger tot geschwiegen hat. Als kulturelles Zentrum in Sachsen hat sich das eben so ein bisschen auf seinem Ruf ausgeruht und hat sich nicht so viel Mühe gemacht, die Probleme anzusprechen und zu thematisieren.
Autorin: Und jetzt haben wir den Salat?
Selma: Weiß ich nicht, ob das wirklich die Lösung oder die Antwort auf die Frage ist.
Autorin: Gibt's denn was, wo du dich einsetzt, dass was anders wird?
Selma: Nö.
Autorin: Warum das denn nicht? Das wäre doch die logische Konsequenz.
Selma: Ich weiß. Das ist eben das Ding, dass dir das Problem im Alltag nicht so präsent ist, ne? Man vergisst es einfach ein bisschen auch.
Autorin: Also wenn Wahltag ist, dann regt man sich auf, ist traurig, aber es ist auch schnell wieder vergessen..
Selma: Genau, es ist zu schnell vergessen.
Autorin: Hast du mal überlegt, als PEGIDA war, da hast du ja schon hier gewohnt – hast du dir da mal überlegt, dagegen auf die Straße zu gehen?
Selma: Am Anfang war man eben auf den Gegendemos, aber irgendwann hatte man auch nicht unbedingt Lust von Leuten, die jeden Montag dahin gehen, sich seinen Montagabend vorgeben zu lassen. Das war, glaub ich, Bequemlichkeit primär.
Autorin: Wann wäre denn der Punkt gekommen, an dem du sagst: Ok, jetzt halte ich es nicht mehr aus. Jetzt gehe ich.
Selma: Wenn es zu jedem Zeitpunkt meines Lebens präsent wäre, fände ich es sehr, sehr anstrengend und würde mir überlegen, woanders hinzugehen.
Ich merke, wie Selma in Verlegenheit gerät. In ihren Denkpausen kommen mir Werner Relleckes Worte wieder in den Sinn – über die schweigende Mehrheit, die sich mehr einsetzen muss.
MUSIK
ATMO
Vor sieben Jahren habe ich Dresden verlassen. Ich bin da immer gerne ins Theater gegangen. Eins der bekanntesten Gesichter des Staatsschauspiels war Christian Friedel. Vielen dürfte er bekannt sein aus dem oscarnominierten Film „Das weiße Band“ und die
Fernsehproduktion „Babylon Berlin“. Er ist viel unterwegs, seine Lebensmittelpunkt ist allerdings immer noch Dresden. Was verbindet er mit dieser Stadt?
OTON
Friedel: Na erst mal, wenn ich die ganze Politik weglasse, ist es eine wunderschöne Stadt. Mit einem Schritt bist du in der Natur. Eine sehr lebenswerte Stadt. Erstmal ist mein Herz warm und dann fängt der Puls höher an zu schlagen, wenn man an die politische Strömung
denkt, die gerade dann, wenn du den Schritt in die Natur machst, also sprich an den Rand der Stadt, dann wird’s langsam problematisch.
Autorin: Trotzdem bleibst du?
Friedel: Trotzdem bleib ich erstmal. Wenn wir z.B. unterwegs sind als Band, dann versuche ich immer wieder den Leuten zu sagen: es gibt auch ein anderes Dresden, es gibt auch andere Dresdner. Es gibt eine große, leider schweigende, Mehrheit, die eigentlich viel mehr aktiver werden müsste und ein Gegengewicht liefern müsste, die aber wahrscheinlich müde geworden sind. Aber es gibt ein anderes Dresden, ein buntes, ein tolerantes, ein weltoffenes Dresden und genauso ein Sachsen.
Autorin: Also du bist 10 Jahre noch in der DDR aufgewachsen. Und ich bin 4 Jahre nach der Wiedervereinigung geboren. Was weißt du vielleicht mehr als ich?
Friedel: Ich, als 10-Jähriger, konnte natürlich nicht das politische System in dieser Komplexität – für mich war das Kind total schön, in der DDR aufzuwachsen. Ich hatte eine absolut schöne Kindheit. Ich glaube, wenn ich älter geworden wäre und es wäre immer noch die DDR, dann hätte ich mich sehr eingeengt gefühlt und hätte glaube auch Fluchtgedanken bekommen. Aber als Kind war das ein sehr gemeinschaftliches Prinzip. Wir hatten Mittwoch einen Pioniernachmittag. Da habe ich meisten mein Pionierhalstuch
vergessen und habe dafür in Ordnung eine 4 bekommen, aber dieses Gemeinschaftliche oder dass man in verschiedenen Wettbewerben – ja, da wurden Talente gesucht. Jedes Kind hatte einen Kindergartenplatz, jedes Kind hatte einen gesicherten Schulplatz. Also das war ein System – natürlich – wenn man das jetzt nochmal komplexer sieht – wir wurden auch immer auf Leichtathletik getestet.
Das wurde natürlich dann für den Staat auch gefördert und genutzt werden. Und die Leute wurden ja dann auch benutzt, um über die sportlichen Erfolge ein stärkeres Bild vom Staat in die Welt zu bringen. Das ist natürlich auch ein Nachteil. Aber allein das Schauen nach den Talenten der Kinder – jetzt mal unabhängig, dass die vom System auch gesteuert waren - war das aber etwas, was ich sehr genossen habe. Ich konnte da schon sehr früh herausfinden, was ich möchte, was ich machen möchte und konnte das dann nach der Wende so wunderbar freiheitlich und auch nicht nur im Osten, sondern auch im Westen ausleben. Für mich kam die Wende genau zur richtigen Zeit.
Christian Friedel sieht aber auch die andere Seite der
Wiedervereinigung: Viele Menschen fühlen sich bis heute ihrer
Identität beraubt:
OTON
„Ich hab das ja in meiner eigenen Familie erlebt, dass die Wende und die Wiedervereiningung das ging ja auch ratzfatz. Das ging so schnell. Und da wurde einfach bei den Menschen, gerade in Ostdeutschland, da wurde einfach ihre Identität teilweise drüber gebügelt. Und man hat manchmal das Gefühl bekommen – auch mein Vater, der war Arzt, angesehener Arzt in Magdeburg – hat manchmal das Gefühl bekommen, dass seine Reputation, seine Ausbildung als Arzt scheinbar nicht den gleichen Stellenwert hat wie ein Arzt in Westdeutschland. Und dieser Frust ist in den Menschen in einer gewissen Generation von Leute sicherlich so verankert, dass der jetzt wie so explodiert. Wie so ein Wasserglas, was man immer so schön sagt, was zu beben anfängt und jetzt überkippt. Und ich habe das
Gefühl: Deswegen brauchte es immer mal Auslöser. Also diese rechten Tendenzen sind ja immer schon zu spüren und heute kriegt man sie wahrscheinlich noch deutlicher mit und heute werden wieder Dinge ausgesprochen, die vor langer Zeit nicht möglich waren – zum
Glück – und wo man merkt, jetzt haben die Leute das Gefühl, sie können ihrem Frust Ausdruck geben. Jetzt haben sie das Gefühl: Jetzt versteht uns jemand. Irgendwie 30 Jahre zu spät und auch der falsche Weg, wie das passiert.
Autorin: Kannst du das durch diese Ost-Erfahrung besser verstehen?
Friedel: Langsam komme auch ich an das Ende meines Verständnisses, weil ich finde, dass es mal kurz so einen Schwung gab, da habe ich noch großes Verständnis versucht aufzubringen. Weil, wenn ich jetzt als Künstler oder als Politiker oder als Westdeutscher
einfach nur sage: Das sind Nazis. Das ist so wie wenn man den Leuten eigentlich sagt: Du bist doof und du machst einen absolut dummen Fehler und das möchte erstens niemand hören und zweitens ist das nicht gerade der richtige Beginn für einen Dialog.
MUSIK
Ich komme zur letzten Station. Besuch zuhause: Die Kneipe von
Mami und Papi.
ATMO BEGRÜSSUNG
Das Mittagsgeschäft ist gerade vorbei. In der Küche riecht es noch nach Schnitzel, Eiern und Knoblauch.
Ich habe wirklich Muffensausen. Denn zum ersten Mal spreche ich mit Papa über Rassismus. Papa ist übrigens genau genommen mein Stiefpapa. Das ist aber unwichtig, denn er hat schon meine Windeln gewechselt und mir Fahrrad fahren beigebracht. Aber im Gegensatz zu mir hat Papa blonde Locken und weiße Haut.
Früher dachte ich, wenn ich meiner Familie von den Jungs in der Turnhalle, von den Beleidigungen, von meiner Angst vor Rassismus erzähle, dann macht sie das traurig. Und es reicht doch, wenn ich traurig bin.
Doch bei meinen wenigen Besuchen in letzter Zeit haben mir andere Dinge Angst gemacht:
OTON
Autorin: Als ich das letzte Mal hier war, zuhause und bei euch im Viertel gelaufen bin. Da bin ich nur an einer Kleiderspende vorbei und da stand: „Bundesrepublik = Volkstod“ und „Frei, sozial, national“, also offensichtlich rechtes Gedankengut.
Autorin: Als ich das letzte Mal hier war, zuhause und bei euch im Viertel gelaufen bin. Da bin ich nur an einer Kleiderspende vorbei und da stand: „Bundesrepublik = Volkstod“ und „Frei, sozial, national“, also offensichtlich rechtes Gedankengut.
Papa: Richtig.
Autorin: Macht dir das keine Angst?
Papa: Nein.
Autorin: Warum nicht?
Papa: Was soll ich dazu sagen, Anni? Sowas interessiert mich nicht.
Autorin: Aber das muss dich doch zwangsläufig interessieren.
Papa: Ich hab mit den Rechten noch nichts zu tun gehabt. Die sind mich noch nicht angegangen…
Autorin: Aber du weißt schon, dass jedes Mal, wenn es um Ausländer geht, dass potentiell auch der Mutti und mir an den Kragen gehen kann.
Papa: Weniger. Weniger, denk ich mal.
Autorin: Warum denkst du das?
Papa: Weil du hier geboren bist, die Mutter ist schon über 20 Jahre hier. Ihr wisst, wie es lang läuft.
Autorin: Ja, wir wissen wie, es hier langläuft. Aber deswegen sind wir doch nicht geschützt vor solchen Anfeindungen.
Papa: Ich doch auch nicht.
Ich kann und will das in diesem Moment nicht verstehen. Warum verschließt Papa die Augen, vor Dingen direkt in seiner Umgebung, die mich bedrohen?
OTON
Papa: Doch, macht mir das Angst und ich mache mir meine Gedanken.
Autorin: Oder als Pegida war. Da hattest du doch auch Angst um mich.
Papa: Ich hab mit der Pegida nichts am Hut, ich hab mit den Rechtsradikalen nichts am Hut.
Autorin: Ja, du hast mit denen nichts am Hut, aber ich habe doch Angst nach Hause zu kommen. Ich hab Angst, wenn ich nach Dresden komme, solchen Leuten zu begegnen.
Papa: Ja und was willst du da jetzt von mir hören? Ich kann dir doch nicht helfen. Soll ich dich abholen oder hinkommen? Oder hinkommen…
Autorin: Macht dir das nicht Sorgen, dass du da nichts machen kannst?
Papa: Kann ich was ändern?
Autorin: Ich glaube, man könnte schon was ändern, wenn man laut, aktiv was sagt.
Papa: Was soll ich denn da sagen? Soll ich da hingehen und sagen: „Lasst meine Tochter in Ruhe!?“ Was soll ich denn machen? Gegen Pegida oder gegen solche Glatzköpfe? Soll ich rausgehen und sagen: „Wenn du meine Tochter anfasst, dann hau ich dir aufs Maul!?“ Ich kann doch…Also sag mal…Bitte…
Autorin: Aber es gab ja schon Möglichkeiten demonstrieren zu gehen oder gegen rechts zu wählen zum Beispiel…
Papa: Anh, entweder ich geh den ganzen Tag demonstrieren oder ich arbeite hier. Also. Nee, jetzt versteh mich mal, Anh.
Autorin: Wünschst du dir, dass ich zurückkomme?
Papa: Nee, geh doch deinen Weg. Geh. Du wolltest das, was du jetzt erreicht hast. Das ist dein Weg, den wolltest du einschlagen. Das gefällt dir und mach weiter. Du verstehst mich ja.
Versteh ich. Und stimmt. Papa und Mama arbeiten jeden Tag. Montag bis Sonntag. Nur an Weihnachten nicht, damit wir einmal im Jahr zusammen feiern können, gemeinsam essen. Kein Familienurlaub oder überhaupt Urlaub.
Langsam fange ich an zu begreifen, warum Papa nicht wählt. Jetzt, nach dem ich zum ersten Mal in meinem Leben so ein Gespräch mit ihm führe: Vor mir sitzt Papa, der arbeitet viel, zu viel, damit er irgendwann keine Rente bekommt.
OTON
Papa: Die Politik ist machtlos. Was soll ich denn da machen? Was soll ich denn als kleiner Furz machen? Da ist doch der Staat gefragt und die Politiker sind gefragt. Die machen die Hände hoch und…wir können da nix machen.
Autorin: Aber wenn du nicht wählst, dann gibst du doch deine Stimme weg…
Papa: Wen soll ich den wählen? Wen denn? Jede Partei schwindelt. Kannste gucken wen. Wen soll ich denn wählen? Hätte irgendeine Partei was drauf, würden gar keine Rechten rumhuppen und keine Pegida. Hätte irgendeine Partei was drauf, aber die können doch machen, was sie wollen hier, ne? Ich bitte dich…
Autorin: Wie willst du, dass meine Zukunft aussieht, Papa?
Papa: Bunt. (lacht) Na rosig – wie denn sonst?
Was ich auf meiner Reise gelernt habe: Miteinander sprechen hilft.
Schweigen schadet. Dresden ist nicht verloren. Die Probleme sind
groß, aber der Dialog ist möglich. Deswegen komm ich wieder. Sie
hörten das Wochenendjournal „Mein Dresden – Heimat tut weh“.
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