"An alle Nazilehrer, die meinten 'Du wirst nie etwas erreichen'. Hab 'nen Master of Science, wer will sich jetzt mit mir vergleichen?" - mit dieser Ansage führt die in Wien lebende, deutsch-türkische Rapperin Ebow in ihr neues Album und damit auch in ihre eigene Welt ein, die nach wie vor von Alltagsrassismen und kulturellen Vorurteilen geprägt ist. "Kanak for Life" heißt ihr drittes Studioalbum, das Kritik an einer Gesellschaft übt, in der muslimische Frauen immer noch überwiegend als unterdrückt gelten und weiße, reiche junge Männer die Rap-Szene dominieren.
NEON hat mit der 29-Jährigen über ihren erlebten Rassismus in der Schulzeit, diskriminierende Geschlechterrollen in der Musikbranche und die Relevanz von politischem Engagement gesprochen.
In deinem neuen Album, "Kanak 4 Life", sprichst du von Nazilehrern in der Schule, die nicht an dich geglaubt hätten. Warst du in deiner Schulzeit häufig mit Alltagsrassismus konfrontiert?Ja, absolut! In der Grundschule, aber auch während meiner gesamten Schullaufbahn hatte ich Lehrer, die mich aufgrund meiner Herkunft diskriminiert haben und mir das auch offen gesagt, oder zu spüren gegeben haben. Sie haben auch immer wieder versucht, mich zu demotivieren, indem sie mir die ganze Zeit einreden wollten, dass ich nichts kann. Wenn du Eltern zuhause hast, die sich mit dem deutschen Schulsystem nicht so auskennen, kannst du denen auch leicht etwas Falsches einreden. Ich kenne viele Schüler, die gute Noten hatten, aber weil die Lehrer es für sinnvoll hielten, sie auf eine Hauptschule zu schicken, konnten sie das durchbringen, weil die Eltern nicht wirklich eine Ahnung hatten.
Und ging das auch von deinen Mitschülern aus, oder waren das nur die Lehrer?In der Grundschule war das auf jeden Fall auch mit den Schülern so weil die Gegend, in der ich gewohnt habe, sehr "weiß" war. Da gab's nicht so viele Kids, die den gleichen Background hatten wie ich. Das hat sich von den Kindern bis hin zur Lehrkraft so durchgezogen. Natürlich hatte ich auch tolle Lehrer - aber der Großteil, und leider auch die Klassenleitung, waren echt nicht cool.
Ich hab' das Gefühl, das hat sich erst gebessert, als ich dann auch mal jüngere Lehrer hatte, die gerade frisch von der Uni kamen - die haben mich anders behandelt.
Welche konkreten Vorurteile hatten denn die älteren Lehrer dir gegenüber, was haben sie zu dir gesagt?Ganz konkret: Dass ich den Realschulabschluss sowieso nicht schaffen würde und lieber einen qualifizierten Hauptschulabschluss (Anm. d. Redaktion: So wird in Süddeutschland eine besondere Leistungsfeststellung der Hautpschule bzw. Mittelschule genannt, der man sich freiwillig unterziehen kann, um die Chancen auf eine Lehrstelle zu verbessern.) machen sollte. Es waren aber auch ganz subtile, aggressive Sachen. Wenn ich zum Beispiel vergessen habe, meine Schere mitzubringen, hat meine damalige Lehrerin einem Schüler aus meiner Klasse gesagt, er dürfe meinen Schulranzen vor allen anderen in der Klasse auf dem Boden ausleeren. Ich musste ihn dann wieder aufräumen.
Ein anderes Beispiel: Ich war im Schullandheim und einer aus meiner Klasse hat mich die Treppe runtergeschubst, ich hab' mir den Arm dabei gebrochen und hatte Höllenschmerzen, aber die zuständige Lehrerin hat das überhaupt nicht ernst genommen und ich hab' sogar noch Ärger bekommen, weil ich keine Socken anhatte. So etwas ist vor allem schlimm, weil man gerade als Kind und Jugendlicher so auf die Lehrer angewiesen ist, schließlich verbringt man den ganzen Tag mit ihnen.
Jetzt studierst du ja an der Technischen Universität in Wien - ist es dort besser?Ja, hier sind meine Professoren und Professorinnen super nice - also ja klar, kann ich mir das hier auch teilweise aussuchen und an der Uni ist das generell noch einmal etwas anders. Wenn ich jetzt einen Professor hätte, der in irgendeiner Art und Weise diskriminierende Sachen von sich gibt, oder ich merke, dass eine Lehrkraft rassistisch mir gegenüber ist, dann kann ich direkt auf Konfrontation gehen, weil ich jetzt älter bin. Ich kann mich beim Dekan darüber beschweren, ich kann das artikulieren. Aber als Kind verstehst du eben nicht was das Problem ist, du merkst zwar, dass du ungerecht behandelt wirst, oder anders als die anderen, du glaubst dann aber leider, dass du selbst das Problem bist.
Wie bist du eigentlich zum Hip-Hop gekommen?Ich bin zum Hip-Hop gekommen, weil meine Tanten und Onkeln sehr viel Hip-Hop und R'n'B gehört haben. Als ich ein kleines Kind war, habe ich bei meiner Tante immer sehr viel MTV geschaut. Die ganzen Musikvideos - damals waren die Charts ja auch sehr R'n'B- und Hip-Hop -lastig. Ich habe das ziemlich schnell übernommen, angefangen die Sachen nachzurappen und irgendwann meine eigenen Texte zu schreiben - das war für mich total natürlich und ich hatte super viel Spaß an der Musik.
In deinen Texten sprichst du von Klischees, mit denen man sich als Deutsche mit türkischen Wurzeln leider oft auseinandersetzen muss. Was für Klischees meinst du da konkret?Das passiert ganz häufig in Alltagssituationen. Das sind ganz viele Kleinigkeiten - und da geht es noch nicht mal nur um Klischees, sondern darum, dass Leute einfach einen Hass auf Menschen haben, die so aussehen wie ich. Wenn ich zum Beispiel gerade einkaufen bin und jemand möchte an mir vorbei, ich stehe aber im Weg, schimpfen sie direkt: "Scheiß Ausländerin!" Man kriegt da eben immer wieder so kleine Dinge mit und das prägt sich leider auch ein.
Glaubst du, hat man es dann als Frau noch einmal schwerer, weil man zusätzlich auch mit Sexismus und veralteten Rollenbildern konfrontiert ist?Ja, natürlich! Das ist ja dann quasi eine doppelte Diskriminierung. Zum einen werde ich als Frau diskriminiert und zum andern wegen meines Backgrounds. Das ist für mich schon eine zweifache Belastung. Aber ich meine, Rassismus und Sexismus funktionieren ja im Prinzip gleich: Eine Gruppe, die mehr Macht hat -strukturell gesehen- und das auf die andere Gruppe ausübt. Es ist auch interessant zu beobachten, wenn ich eine Diskussion eingehe: So wie Rassisten oft antworten, so antworten mir Sexisten auch. Von beiden Seiten höre ich dann Sprüche wie: "Das war doch nur ein Witz", oder "Wieso bist du so empfindlich?" Aber ich glaube, es ist wichtig, dass man versteht wie man damit umgeht. Weil ich mittlerweile verstehe, wie die Strukturen funktionieren. Ich kenne die Argumentationsweise dieser Menschen.
Lässt du dich dann trotzdem auf solche Diskussionen ein, oder hast du darauf eh gar keine Lust?Das kommt darauf an, wenn das Freunde sind, Leute, die mir wichtig sind, dann auf jeden Fall. Es ist ja nicht so, dass man nicht unter Freunden auch solche Diskussionen führt. Wir alle haben irgendwo, auch weibliche Freunde von mir, einen Sexismus in uns - oder wollen gewisse Sachen nicht einsehen. Ich sage einfach immer meinen Standpunkt, aber wenn ich merke, dass ich zu einem Punkt komme, ab dem eine Diskussion einfach keinen Sinn mehr macht, dann verschwende ich auch keine unnötige Energie für so etwas.
Du betonst oft, dass die Frauen in deiner Familie eine sehr starke Stimme haben und dir auch ganz viel Halt und Kraft geben. Ist das nach wie vor so?Ja, auf jeden Fall. Darüber bin ich auch echt glücklich. Ich glaube, dass das auch ein Grund war, weshalb ich mich überhaupt erst getraut habe auf eine Bühne zu gehen und vor anderen Leuten zu performen - da gehört ja schon ein gewisses Selbstbewusstsein dazu und wenn man das Zuhause mitbekommt, prägt einen das natürlich. Meine Mama hat zum Beispiel vor viertausend Leuten Reden gehalten und wenn man das als kleines Kind sieht, dann fühlt es sich auch einfach richtig an, wenn man dann selbst als Frau auf einer Bühne steht.
Gerade im Hip-Hop ist es ja so, dass dieses Musikgenre stark von Männern dominiert wird und du sagst ja selbst: "Zu viele weiße, reiche Jungs im Rap", woran liegt das glaubst du?Zum einen daran, weil die Labels nur Jungs reinholen, aber auch, weil einfach nicht daran geglaubt wird, dass es Frauen gibt, die auch ein anderes Frauenbild repräsentieren. Eben nicht immer dieses typische Schönheitsideal, das man überall medial eingetrichtert bekommt, sondern, dass man einfach auch einmal anders aussieht und nicht übersexualisiert dargestellt wird. Dass man diesen Frauen auch einfach einen Raum und eine Stimme gibt. Ich glaube aber, das kommt jetzt. Wir haben schon viel mehr Rapperinnen - ich glaube es ändert sich auf jeden Fall etwas.
Wenn du sagst: "Ihr hasst mich so richtig, denn diese Kanakin hier macht sich zu wichtig, ist zu gebildet, sieht zu gut aus, es sprengt eure Kästen muslimischer Frauen." Was meinst du damit genau und gegen wen richtet sich das?Ich möchte damit einfach nur sagen: "Das Bild, das ihr alle in eurem Kopf habt, also wie eine muslimische Frau sich verhält, aussieht, etc., das sprenge ich - in dem Moment, in dem ihr mich zum ersten Mal seht." Weil ich eben eine muslimische Frau bin, die rappt und selbstbewusst ist und das verbinden die wenigsten heutzutage mit muslimischen Frauen, weil sie ja die ganze Zeit darüber reden, wie unterdrückt Musliminnen sind. Ich zersprenge das. Das ist keine Kampfansage, das ist ein Statement. Ich weiß einfach genau, was in den Köpfen passiert, wenn man mich sieht. Ich hab Spaß daran und ich muss mich dafür auch nicht anstrengen, etwas Provokantes sagen, oder machen. Es reicht, dass ich einfach nur Ich bin.
Du sagst auch, dass du die "Frida Kahlo der Straßen" bist - wieso?Damit meine ich eigentlich: Ich bringe hohe Kunst auf die Straßen. Weil Rap ja doch aus dem Underground kommt. Frida Kahlo ist eine der wichtigsten Künstlerinnen überhaupt für mich, sie war stark und auch, weil sie Verletzbarkeit in ihren Kunstwerken gezeigt hat.
Zeigst du dich auch verletzbar?Ja, in einem Track von mir, "Schmeck mein Blut" - geht's mir genau darum. Verletzbar sein ist nämlich auch nicht immer etwas, was mit Schwäche zu tun hat. Wenn ich sage: "Schmeck mein Blut", dann sage ich damit: "Schmeck meinen Schmerz", weil ich weiß, wie es ist, zu bluten. Meine ganze Familiengeschichte, meine Geschichte als Frau, auch alles was mit meinem Background zu tun hat, es macht mir nichts aus, zu bluten. Deswegen schmeck du mein Blut, damit du meinen Schmerz schmeckst, weil du es nicht ertragen können wirst.
Du wirkst sehr selbstbewusst und selbstsicher. Woher nimmst du das eigentlich?Ich glaube, ich nehme das aus einer tiefen Liebe und Dankbarkeit heraus, für das was ich mache. Für mich ist es wirklich ein Privileg, dass ich überhaupt die Möglichkeit habe, Musik zu machen. Dass sich Leute dafür interessieren, dafür bin ich so dankbar. Da steckt so viel Liebe drin. Ich glaube, daher nehme ich mein Selbstbewusstsein. Die Leute sehen das als starkes Selbstbewusstsein, dabei ist es viel eher eine tiefe Freude.
Du bist Alevitin. Was bedeutet dein Glaube für dich, spiegelt sich der auch in deiner Musik wider?Der Glaube spiegelt sich so wider, dass ich als Kurdin politische Musik mache. Die Musik, die ich mache, ist eine Message. Ich bin es gewohnt, schon von klein auf, als Kind auf Demos zu gehen und politisch aktiv zu sein. Ich glaube daher kommt auch dieses "Widerstands"- Ding. Bei uns in der Religion spielt Musik eine große Rolle. Trotzdem ist unsere Religion eher eine Art Lebensphilosophie, würde ich sagen.
Was möchtest du mit deiner Musik auslösen?Ich wünsche mir, dass Leute, die sich nicht so fühlen, als würde ihre Stimme im Netz vertreten werden, vielleicht durch mich eine Art von Musik hören, mit der sie sich identifizieren können. Abseits von dem ganzen Gangsterrap, Moneyrap, oder was auch immer. Dass sie merken: "Ja ok, meine Stimme wird auch vertreten." Natürlich wünsche ich mir auch, dass es einfach cool und angesagt wird, über wichtige Dinge zu rappen.
Wie stehst du zum Erfolg von Musikern wie Yung Hurn, RIN, oder anderen Cloudrappern - Wieso glaubst du, trifft diese Musik den Nerv der Zeit gerade so?Weil es einfach diese Generation widerspiegelt, der halt alles egal ist, weil sie eh denken, dass sie nichts ändern können. Leute, die Yung Hurn und RIN hören, können sich wahrscheinlich mit dem Lifestyle identifizieren. Was mich daran stört ist, dass es so krass gepusht wird. Irgendwelche White Boys, die dann so apolitische Musik machen und eigentlich nichts zu sagen haben. Medial wird das dann aber immer als supersmart und superkreativ gelobt.
Aber mir geht's auch gar nicht so darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern ich möchte mit meiner Musik einfach meine Realität aufzeigen und vielleicht ist das ja auch die von vielen anderen.