Die New Yorkerin hat, wie viele andere Comic-Zeichner, ihre künstlerische Heimat und Einnahmequelle im Internet gefunden. Sie lebt von den Gebühren, die ihre Leser beispielsweise für 'The New Adventures of Death' bezahlen müssen, und dem Verkauf von Merchandise-Artikeln auf ihrer Homepage.
Der regelmäßige Austausch ihrer Inhalte ist also wichtig, und deshalb tüftelt die 24-Jährige täglich an ihren Online-Episoden - in ihrer Mini-Wohnung, in der das Schlafzimmer gleichzeitig das Arbeitszimmer ist, ein Schlagzeug und ein Keyboard das Wohnzimmer beherrschen und die Katze, die "Katze" heißt, den Überblick vom Küchenschrank aus sucht.
In New York entwickelt sich ein neuer Trend, der den vielversprechenden und höchst kreativen Online-Comics mit ungewöhnlichen Mitteln zu einem neuen, 'realen' Publikum verhilft: Brooklyner Cartoonisten ziehen ihre virtuellen Bildergeschichten von der Festplatte und präsentieren ihre neusten Werke per Powerpoint oder Overhead Projektor.
"In Brooklyn wohnen die meisten Comiczeichner," glaubt Dorothy Gambrell. In der Galapagos Bar, einer umgebauten Mayonnaisefabrik in Brooklyns angesagtem Künstlerviertel Williamsburg, demonstrierte sie Episoden ihres Online-Comics 'Cat and Girl'. Vor rund 200 Zuschauern klickte die 24-Jährige "ganz langsam" durch die Powerpoint - Seiten, während ein Freund auf einer Orgel elektronische Minimal-Music spielte.
Powerpoint Slam - "Diashow" als In-Event
Die Idee, Online-Comics vor einem Publikum an die Wand zu projizieren, hatte John Hodgman. Der ehemalige Literaturagent veranstaltet einmal im Monat die so genannten 'Little Gray Book Lectures'. Der 32-Jährige hatte die üblichen Buchvorstellungen satt, die immer mehr einer "belanglosen PR-Veranstaltung" glichen.
An der "Vortragsreihe", wie er sein Event akademisch nennt,
nehmen insgesamt vier bis fünf Autoren und Zeichner teil. Seine Lesungen haben das Ziel, "inspirierend und lehrreich" zu sein. Bildergeschichten räumt der New Yorker dabei ebenso viel Bedeutung ein wie dem geschriebenen Wort. Und dass es ausgerechnet Online-Comics sind, liegt an seiner besonderen Vorliebe für das Medium: "Wirklich gute Comics findet man derzeit nur im Internet."
Gambrells Comics gibt es ausschließlich online: Die spitzfindigen Unterhaltungen zwischen Cat und Girl, die seltsamen Abenteuer von Death und die erfolglosen Versuche der Popband The Four Fours. Obwohl von renommierten Publikationen wie "Wired" als Phänomen besprochen, hat es von den dreien bis jetzt noch keiner aufs Papier geschafft. "Das ist auch gut so", meint die 24-Jährige, die mit dem akkurat geschnittenen Pony ihrer Heldin 'Girl' ähnelt, "Ich genieße den Frieden, keinen Redakteur vor mir sitzen zu haben. Ich kann so obskur sein, wie ich will."
Auch David Rees genießt die Freiheit und Unmittelbarkeit, die ihm das Online Medium bietet. Im Rahmen von Hodgman Veranstaltungsreihe präsentierte der 31-Jährige einen Teil seiner erfolgreichen Serie 'Get Your War On' vor Publikum. Der "dilettantische Zeichenstil" seines Martial Arts Comics 'My New Fighting Technique Is Unstoppable' brachte dem diplomierten Philosophen in der Szene viel Lob ein.
Das Web als Weg zum Print
Der Durchbruch gelang ihm mit seinem engagierten Anti-Kriegs-Cartoon 'Get Your War On', in dem er den Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan kommentiert. Rund 1,5 Mio. Besucher hatte Rees, als er seinen Comic das erste Mal im Oktober 2001 online publizierte.
Mittlerweile ist der gefeierte Underground Star in die Welt des Mainstreams eingekehrt und hat es in die Buchläden geschafft: 'Get Your War On' ist in gedruckter Form in den USA erschienen und seit April auch in Frankreich erhältlich, neue Episoden bringt jeden Monat das amerikanische Musikmagazin "Rolling Stone" heraus, der Musiksender MTV hat Interesse an den Filmrechten geäußert und die New York Times widmete ihm jüngst ein Portrait.
Trotz des Erfolges jenseits des Internets lässt sich Rees nicht von den Gesetzen der freien Marktwirtschaft vereinnahmen. Den Gesamterlös von 17.000 Dollar für die Erstauflage von 'Get Your War On' spendete er Adopt-A-Minefield, eine gemeinnützige Organisation, die sich um sichere Aufräumarbeiten von Landminen in Afghanistan kümmert.
Auch Dorothy Gambrell hat vor kurzem einen Auftrag aus der 'realen' Welt erhalten und kreiert Serien für die monatlich erscheinende Stadtillustrierte 'The L Magazine'. Für die 24-Jährige ein perfektes Ablenkungsmanöver: "Der zusätzliche Job hält mich davon ab, zu viel über den Rest meines Lebens nachzudenken."
Der Rest ihres Lebens sind für Gambrell die Standardkrisen des Erwachsenwerdens in Zeiten des Kapitalismus. "Wenn man Erfolg im Beruf, Geld und Ruhm in Frage stellt, dann bleibt man ohne ein allgemein gültiges Wertekorsett zurück", erklärt sie "Dieser Standpunkt ist ein bisschen beängstigend und Grund genug, geschnitten zu werden."
Das Internet bleibt der Comic-Zeichnerin deshalb auch in Zukunft vertrauter als der Druck. "Es ist perfekt, weil man exzentrischer bleiben und sich den kapitalistischen Strukturen entziehen kann". Und wenn das Ungewöhnliche mit den 'Little Gray Book Lectures' auch noch einen ungewöhnlichen Rahmen der Präsentation findet, dann macht sie das zufrieden.