Brigitte Ebersbach steht vor der Dorfkirche. Brigitte Ebersbach sitzt engagiert gestikulierend in geselliger Runde (evangelische Friedensarbeit). Und dann plötzlich: vorm heimischen Bücherregal mit Orchidee auf dem Beistelltischchen. Brigitte Ebersbach wendet sich direkt an Angela Merkel: "Ihre christliche Wählerbasis appelliert an Ihr Mitgefühl." Die Kanzlerin soll sich gegen Exporte von Kleinwaffen starkmachen. Brigitte Ebersbach ist - so suggeriert es das Video - Vorsitzende des CDU-Ortsverbands Schwenke in Nordrhein-Westfalen. Schwenke gibt es, den Ortsverband nicht.
Die Aktion CDU. Mit. Gefühl ist vier Jahre her, sie zählt wahrscheinlich nicht zu den aufmerksamkeitsstärksten aus dem Hause Peng! Kollektiv. Das gesagt: Über Brigitte Ebersbach und ihren Appell berichteten damals unter anderem die New York Times, die Washington Post, die Associated Press. "Mit diesem kleinen, extra unprofessionell gedrehten Video wurde deutlich, wie einfach es für ein CDU-Mitglied ist, auf die Weltbühne katapultiert zu werden. Man muss einfach nur zu christlichen Werten stehen", schreibt Jean Peters in seinem soeben erschienenen Sachbuch Wenn die Hoffnung stirbt, geht's trotzdem weiter.
Peters ist eines der Gründungsmitglieder des aktionistischen Kunstkollektivs namens Peng! Zu dessen erstem Verständnis hilft vielleicht, dass es nicht so bierernst und pathetisch operiert wie das noch etwas skandalträchtigere Zentrum für politische Schönheit. Vielleicht braucht es aber auch gar keine Erklärung: Immerhin seit gut acht Jahren hacken Peters und seine Mitstreiterinnen sich immer wieder mit Mitteln, die sich gleichermaßen der Performance wie der investigativen Recherche bedienen, in die Diskurse. Um - na ja, hm, aber doch, schon - die Welt zu verändern. Kunst darf das wieder wollen. Es geht um nichts weniger als den "sozialökologischen Kampf", schreibt Peters nun. Die Performances sollen witzig sein, der Impetus ist hochernst. Das Buch bildet dieses Spannungsfeld ab, nicht nur inhaltlich, auch ästhetisch-formal: Die Sprache des Autors changiert zwischen halbseriösem Punkrock und schwerem Pathos. "Ich musste mit den zwei Torten, eine in jeder Hand, nur noch neun gemütliche Schritte gehen, bis wo die Chefin saß", schreibt er etwa humorig-holpernd über seinen Tortenanschlag auf die AfD-Politikerinnen Beatrix von Storch und Albert Glaser im Jahr 2016. Und etwas später: "Flugsahne schlabbert sich um die Hand, zieht daran vorbei, fliegt noch ein bisschen weiter, wenn man sie hitlergrüßt." Mission erfolgreich.
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An anderer Stelle schreibt er aber auch: "Mich treibt dabei nicht nur eine vage Utopie einer sozialen und ökologischen Gesellschaft an, sondern auch die Negation der jetzigen." Und dann Vollgas: "In dieser Ablehnung steckt die Haltung der Suche, der Leidenschaft und der Liebe zum Menschen."
Nun - und das ist der erklärte Grund dieses Buches - will Jean Peters seine Leserinnen dazu motivieren, sich diesem Kampf anzuschließen. Die Arbeit an der Utopie funktioniert nur so richtig gut, wenn viele mitmachen. Und noch, dieser Eindruck lässt einen nicht los, arbeitet Peters im Halbverborgenen einer internationalen Öffentlichkeit. Da kann er noch so oft klappernd auf die berichtenden Medien verweisen: Man ist doch geneigt, die Vermutung zu äußern, ein hoher Prozentsatz der Ottonormalbürger aus Gütersloh hat niemals von den meisten Stunts gehört. Geschweige denn, man hätte sich von ihnen in irgendeiner Weise aktivieren lassen.
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In den vorderen Kapiteln des Buches postuliert Peters vielleicht auch deshalb neben der Wichtigkeit des eigenen Anliegens seinen motivationistischen Ansatz und schlüpft ein bisschen ins Sakko des freundlichen Berufsberaters. Der weiß etwa den Von-Storch-Stunt als schönes Gruppenerlebnis zu beschreiben, wo gute Vorbereitung zum Erreichen eines Ziels (Torte => Gesicht) führt. Andererseits ist er sich aber offensichtlich auch bewusst, dass in dem Moment der Demütigung von Storchs alle vorangegangenen Überlegungen zu deren schuldhafter Existenz hinter der Sahne verschwinden können. So fragt er die diverse Leserschaft: "Ist es überhaupt richtig, so etwas zu tun? Ist es der richtige Zeitpunkt und der richtige Kontext? Und schließlich: Ist es für Sie, werte_r Leser_in, das Richtige?"
Diesen interaktiven Ansatz lässt er allerdings im Verlauf des Buches zunehmend fallen wie eine Idee, die doch nur halb gut war. Die Beispiele aus dem Peng!-Katalog stehen auch ausreichend für sich. Und Peters passt das Glitzersakko des Magiers, der ein bisschen hinter die Kulissen gucken lässt. Die Lesenden sollen verstehen, dass der Kampf mit den (vielleicht eher: das Anpinkeln der) Windmühlen nicht so sinnlos ist, wie die Windmühlenbetreiber vielleicht glauben machen wollen.
Ein gut gemachtes Fake-Video setzt ein Thema international auf die Agenda. Medien fressen die Geschichte, ohne Zeit in Quellenüberprüfung zu stecken, weil die Schlagzeile einfach zu gut, aber nicht unglaubwürdig ist. Das ist mal das eine. Das Andere ist, dass etwa in einer christlichen Partei ein Stachel platziert wurde, deren Glaubwürdigkeit genau in dem Moment leidet, wo das zunächst plausibel erscheinende Video als Fake entlarvt wird: "Es haben sich", schreibt Peters zu CDU. Mit. Gefühl, "im Laufe der Monate mehrere CDU-Mitglieder bei uns gemeldet, die die Aktion toll fanden und überlegten, aus der Satire eine reale Aktion zu machen."
So sehr der Autor nun Bock hat, sich und die Seinen zu feiern, auch für die Entbehrungen, die Risiken und häufig den schieren Aufwand hinter dem kleinen Triumph: Das Scheitern, auch das inhaltliche, spart er nicht aus. Wie im Fall der gefälschten Reisepässe, die es Menschen erleichtern sollten, illegal nach Europa zu fliehen: Mask.ID. Es gibt zwei Gründe, warum Peters diese Geschichte vorauseilend "Korrekt verkacken" überschreibt. Zum einen frage er sich mittlerweile, ob man gewitzte Aktionskunst hergestellt habe, auf Kosten derjenigen, die auf die Pässe angewiesen gewesen wären: "Ich glaube, wir sind zu leichtfertig damit umgegangen."