Mentholrasiercreme, blauer Nadelstreifanzug, Kaffee aus der Bialetti und Fiat 500: Toto Cutugno besingt in seinem Lied „L'Italiano", das vielen unter „Lasciatemi Cantare" ein Begriff ist, alle denkbaren italienischen Stereotype. Schamlos - aber die Melodie stimmt. Cutugnos Song wurde 1983 zum internationalen Hit und genießt heute noch große Bekanntheit.
Ähnlich funktionieren die Lieder von Al Bano und Romina Power. Das Duo scheut sich nicht vor einfachen Reimen wie „amore" auf „dolore" und sorgt vor allem im deutschsprachigen Raum für Begeisterung. Cutugno und das Poppaar gehören zu jenen Interpreten und Interpretinnen, die Dolce Vita musikalisch und vor allem lukrativ exportieren.
Tiefgang mit LeichtigkeitDoch es gibt auch ein musikalisches Italien abseits des Klischees. Künstlerinnen und Künstler, die italienische Musik zwar nicht immer erfolgreich im Ausland repräsentieren, aber mit ihren sozialkritischen Songs die musikalische DNA Italiens prägen. Das weiß Eric Pfeil, er hat einen musikalischen Reiseführer geschrieben. In „Azzurro" reist er in „100 Songs durch Italien". Es fange bei der Genrebezeichnung an, sagt der Musikjournalist im Gespräch mit ORF.at. Den Begriff Italopop nutze man in Italien nicht, vielmehr musica leggera, auf Deutsch: leichte Musik. „Düsteres und Komplexes wird nicht ausgeklammert, aber man verpackt das in leichte Gesten", so Pfeil. Soll heißen: Tiefgehende Texte treffen auf eingängige Melodien.
Diesem Credo der musica leggera haben sich eine Reihe von italienischen Interpreten und Interpretinnen verschrieben, die mit ihren Songs auf die Missstände in ihrem Heimatland aufmerksam machten und machen. Und davon gibt es in Italien genug. Es sind der politische Katholizismus, die Mafia, der Neofaschismus und die Korruption, die sie besungen und damit den jeweiligen Nerv ihrer Zeit getroffen haben. Genannt werden sie Cantautori. Sie waren ab den frühen 60er Jahren die Singer-Songwriter Italiens, wie die Wortkreuzung cantante (dt. „Sänger") und autore (dt. „Autor") erahnen lässt.
Mit seinem selbst geschriebenen Welthit „Nel blu dipinto di blu", auch bekannt als „Volare", galt Domenico Modguno 1958 als Pionier der Cantautori, war es bis dahin doch Usus, dass Sänger keine Songschreiber waren. Als Erster seiner Zunft wird ebenso Luigi Tenco gehandelt, der sich 1967 beim berühmten Sanremo-Festival, dem Vorbild des Eurovision Song Contest, das Leben nahm, weil er mit „Ciao amore, ciao" nicht in das Finale eingezogen ist. Tenco wurde zur dunklen Ikone der Cantautori - wegen seines antimilitaristischen Songs über das Abschiednehmen, und auch, weil sein Freitod den Stellenwert der Musik im Leben vieler Italiener und Italienerinnen deutlich macht.
Tenco gehörte der Genueser Schule an, einer Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen, die das italienische Autorenlied erfunden haben - ebenso Fabrizio de Andre. Er gilt heute noch, 23 Jahre nach seinem Tod, als einer der größten Cantautori. Und: Als jemand, der in seinen Songtexten Partei für Diskriminierte ergriff - von bedrohten sardischen Hirten bis zu Homosexuellen. Ein Thema, das auch für Lucio Dalla von Bedeutung war. Als Katholik und jemand, dessen Sexualität heftig diskutiert wurde, vereinte der Cantautore die Widersprüche Italiens in sich - auch weil der Norden und Süden Italiens seit jeher im Clinch liegen, jede Region ihre eigenen Stimmen hat und Dalla - aus dem Norden, der Emilia-Romagna kommend - sich der Liedkultur Neapels bediente, wie etwa in seinem Welthit „Caruso", den er stellenweise neapolitanisch singt.
Die Liste an Cantautori ist lang. Was sie eint, ist, dass sie mit ihren sozialkritischen Songs in den 70er Jahren ihre Hochzeit hatten: Es waren die anni di piombo, die bleiernen Jahre. Italien war geprägt von neofaschistischer und linksradikaler Gewalt. Viele der italienischen Singer-Songwriter verarbeiteten das nationale Trauma Italiens in ihren Songs und werden dafür heute noch als Helden verehrt.
Um ein italienisches Trauma, wenngleich von keiner solchen Schwere, handelt übrigens auch „Azzurro". Adriano Celentano, der Popstar und Entertainer Italiens schlechthin, singt mit Reibeisenstimme über die Geliebte, die am Strand weilt, während der Protagonist in der Gluthitze der Stadt gefangen ist und nicht einmal einen „Priester für ein Schwätzchen" findet („neanche un prete per chiacchierar"). Der Welthit stammt aus der Feder des auch hierzulande berühmten, jazzgeprägten Cantautore Paolo Conte. „Azzurro" kann man neben mehr als 200.000 weiteren italienischen Songs, die in den Jahren 1900 bis 2000 erschienen sind, kostenlos auf „Canzone Italiana", einer Website des italienischen Kulturministeriums, anhören.
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