Wie die Hauptstadt eines Landes, das seit Jahren in einer schweren Finanzkrise steckt, wirkt Athen in diesen Momenten nicht. Dabei geben die nackten Zahlen den jungen Leuten keinen Anlass zum Feiern: 2015 war fast die Hälfte aller arbeitssuchenden Griechen zwischen 15 und 24 ohne Job. Seit 2008 hat fast eine halbe Million von ihnen das Land verlassen - bei einer Gesamtbevölkerung von weniger als elf Millionen Menschen. Ist also die Fröhlichkeit nur Fassade?
Das glaubt zumindest Yannis. Zusammen mit seiner Freundin Anastasia sitzt er zwischen Hunderten anderen auf dem Campus der Landwirtschaftlichen Universität, wo an diesem Abend gefeiert wird. Fleischdunst zieht durch die Luft und vor der Rembetiko-Band ist ein ausgelassener Kreistanz im Gange. Am Tisch nebenan hat jemand Geburtstag, eine Flasche Sekt wird unter Jubeln und Pfeifen geköpft. Yannis ist genervt. „Das hier", ruft er durch den Lärm herüber und macht eine ausholende Geste, die Grölende und Tanzende umfasst, „ist nichts anderes als eine kollektive Depression." Das Feiern, der Rausch sei eine Form der Verdrängung. „Was haben wir denn schon zu feiern?" Er klingt wütend.
So emotional sprechen nicht viele junge Griechen über ihre Lage. Viele scheinen nach sechs Jahren Krise, Sparpaketen und erfolglosen Protesten eher einen erschöpften Zynismus entwickelt zu haben. Allgegenwärtig ist das Thema dennoch. Erzählungen werden eingeleitet mit: „Vor der Krise ..." oder „Seit der Krise ...". Viele haben sie als Zäsur in ihren jungen Leben erlebt, so wie Maria (Name v. d. Red. geändert). Auf die über einem Kaffee leichthin gestellte Frage, ob die Krise ihr Leben beeinflusst habe, antwortet sie sofort: „Seit 2009 ist eigentlich alles immer schlechter geworden." Ihr Vater war im Baugewerbe, bekam kaum Aufträge mehr. Während ihre drei Jahre ältere Schwester noch Tanzstunden nehmen und an Schüleraustauschen teilnehmen konnte, hatte Maria all diese Möglichkeiten nicht mehr: Kein Geld. Auch die Stimmung in der Familie wurde angespannter, irgendwann trennten die Eltern sich. Maria kämpfte zwei Jahre lang mit Depressionen.
Nach dem Schulabschluss bewarb sie sich bei der Armee als Pilotin, schlicht deshalb, weil dort regelmäßig ein gutes Gehalt ausgezahlt wird. Stattdessen steht sie jetzt kurz vor ihrem Bachelor. Jeden Tag pendelt sie insgesamt zwei Stunden zur Uni, abends kocht sie für die Familie, ihre Mutter ist dann meist noch bei einem ihrer Putzjobs. Danach setzt sich Maria an den Schreibtisch. Sie braucht Topnoten, um ein Stipendium zu bekommen, das ihr den Weg zum Master an einer guten Uni im Ausland ermöglichen könnte. Maria gehört nicht zu den Privilegierten, die sich einfach aussuchen können, ob sie gehen wollen oder nicht. Mit ihren 21 Jahren hat sie Griechenland noch nie verlassen. Jetzt will sie endlich raus, die Welt sehen. Doch viele junge Griechen fühlen anders als Maria. Die emotionale Verbundenheit zu Land, Leuten und Lebensart ist stark, selbst in der anarchistischen Szene, die mit Staat und Nation nichts am Hut hat. Für Adonis, einen blassen 19-Jährigen, der gerade mit seinem Kunststudium begonnen hat, kommt Auswandern nicht in Frage: „Ich liebe mein Land und will helfen." Um seine eigene Zukunft macht er sich kaum Gedanken, er werde dann schon zurechtkommen: „Wir dürfen nicht die Hoffnung aufgeben." Man könnte sagen, Adonis ist eine Kämpfernatur. Man könnte auch sagen, Adonis hat noch ein paar Jahre Studium vor sich, wohnt bei seinen Eltern und trägt keine Verantwortung außer für sich selbst. Da fällt Optimismus vergleichsweise leicht.
Yannis und Anastasia aus der Landwirtschaftlichen Universität haben dagegen beide ihr Studium abgeschlossen, und können sich keine Illusionen mehr machen. Dabei gehören sie zu den vermeintlich Glücklichen, die nach dem Abschluss nicht sofort arbeitslos geworden sind. Der Soziologe Yannis hat einen Teilzeitjob bei der Post gefunden. In ganz Griechenland sind mittlerweile Supermarktkassen, Callcenter und eben Postschalter bevölkert von jungen Menschen mit Diplomen oder Masterabschlüssen.
Leben kann Yannis von seinem Gehalt nicht, es sind weniger als 200 Euro im Monat. Anastasia verdient bei ihrem Rechtsreferendariat als ausgebildete Juristin in Vollzeit nicht viel mehr. Wie unzählige andere junge Griechen lebt sie auch nach dem Abschluss noch bei ihren Eltern. Und weiß nicht, wann sie jemals auf eigenen Beinen wird stehen können. „Meine ganze Familie lebt von der Rente meines Vaters, weil die anderen auch kaum etwas verdienen", erzählt sie. „Er ist 77. Wie soll das weitergehen?"
Viele setzen ihre letzten Hoffnungen in den nach wie vor funktionierenden Tourismussektor, doch auch der ist unter Druck. Als ausgebildete Physiotherapeutin habe sie jahrelang keine Stelle gefunden, erzählt eine junge Cafébesitzerin auf der Insel Ägina. Nicht einmal in den Spa-Bereichen der großen Hotels. Schließlich entschloss sie sich zusammen mit ihrer Schwester, sich auf ihrer Heimatinsel selbstständig zu machen. „So haben wir immerhin Arbeit und sind unsere eigenen Chefinnen." Wie überall sonst im Saisongeschäft auf den Inseln bedeutet das eigene Café aber auch für sie: Zwölf Stunden Arbeit am Tag, meist sieben Tage die Woche. Am Ende des Monats kommen sie dann gerade so über die Runden.
Eines haben die Erfahrungen der vergangenen Jahre mit den jungen Leuten gemacht: Sie haben ihrem Glauben an Europa einen schweren Dämpfer verpasst: „Seit dem Referendum im letzten Jahr weiß ich, dass Demokratie in der EU unmöglich ist", sagt Dimosthenis, ein junger Wirtschaftswissenschaftler. Und er ist überzeugt, dass viele an Griechenlands Krise verdient haben. Die Vorstellung, dass deutsche Firmen in Zukunft von griechischen Flughäfen profitieren könnten, macht ihn wütend. Abgesehen vom ökonomischen Aspekt fördere aktuell auch die unsolidarische EU-Flüchtlingspolitik nicht gerade ein europäisches Zugehörigkeitsgefühl. „Wenn sie uns so partout loswerden wollen, dann sollten wir vielleicht einfach gehen", sagt Yannis. „Letztendlich war die EU nur ein Traum für uns. Ein schöner zwar, aber eben doch nur ein Traum."