Luca Bischoni, 22, studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen - einen besonders schweren Studiengang an einer besonders kompetitiven Hochschule. Genau das, was er wollte. Doch dann kam der Fall. Sein Buch "Als man mir den Stecker zog" erschien im September. Darin schreibt er über Leistungsdruck, Perfektionismus und sein Leben mit Depressionen.
ZEIT Campus: Luca, nimm uns einmal mit in die Zeit, als du angefangen hast. Was warst du für ein Student?
Luca Bischoni: Ich kam 2018 von der Schule, die Welt stand mir offen und ich wusste genau: Ich gehe an die RWTH, zu einer renommierten Uni. Ich möchte allen zeigen, was ich auf dem Kasten habe, schließlich will ich Karriere machen und irgendwann mal einen geilen Job haben - so ungefähr war ich damals unterwegs. Genau das habe ich dann auch beherzigt. Ich habe zu mir gesagt: Die Uni ist jetzt mein Leben. Ich will von Tag eins zeigen, dass ich ein guter Student bin und gute Noten schreibe.
ZEIT Campus: Wie sah ein normaler Unitag so aus?
Luca: Es war wirklich krass. Ich bin oft um sechs Uhr aufgestanden, um sieben habe ich gefrühstückt, um halb acht am Schreibtisch gesessen. Ein paar Stunden später bin ich in die Uni gefahren und abends zurück an den Schreibtisch bis zehn oder elf. Ich habe zeitweise jede wache Minute meines Lebens am Schreibtisch verbracht.
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ZEIT Campus: Als Erstsemester:in in einem Studiengang wie Maschinenbau ist man oft eine:r von mehreren Hundert Studierenden. Hast du dich da verloren gefühlt?
Luca: Ja, sehr. In der ersten Vorlesung saß ich mit 1.000 Kommiliton:innen im Hörsaal und dachte nur: oh Gott. Ich habe mich wie erdrückt gefühlt. Die Professor:innen standen unten und haben ihren Vortrag gehalten, aber sehr distanziert. Das war nichts für mich. Ich glaube, einige fanden das sogar gut, dieses Anonyme und dass jeder sein Ding machen konnte. Erst im Rückblick, im Rahmen meiner Therapie, wurde mir bewusst, dass ich hochsensibel bin und so viele Reize überhaupt nicht verarbeiten kann.
ZEIT Campus: Du berichtest in dieser Zeit auch von Schlafstörungen. Woran hast du gedacht, wenn du nicht schlafen konntest?
Luca: Mir sind die Mathe- und Thermodynamikaufgaben durch den Kopf gerattert. Was steht sonst an? Hast du alles geplant? Später, als meine Depression heftig wurde, geriet ich abends im Bett in Zwangsgedankenkreise. Ich habe mich in irgendwelchen Kleinigkeiten verfangen. Wenn ich zum Beispiel tagsüber im Supermarkt einen Bekannten getroffen habe, habe ich nachts gegrübelt, warum ich diesem Menschen begegnet bin. Ob das ein Zeichen für etwas ist? Ich habe mich total in mir selbst verstrickt und bin dadurch ziemlich lebensunfähig geworden. In dieser Zeit habe ich auch viel Alkohol getrunken, in erster Linie zur Betäubung. Ich war wahnsinnig überfordert und wenn ich Alkohol getrunken hatte, wurde mein Gedankenkreisen weniger und ich konnte abends einschlafen. Ich wusste da noch nicht, dass ich krank war. Aber ich würde im Nachhinein sagen, dass ich es definitiv war.
Luca Bischoni
studiert derzeit Psychologie an der RWTH Aachen. Im September erschien sein Buch Als man mir den Stecker zog im Gallip Verlag.
ZEIT Campus: Was hatte die Uni mit dem Druck und dem Stress, den du empfunden hast, zu tun?
Luca: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin kein Freund davon, Schuld abzuschieben. Im Gegenteil, den Stress habe ich mir selbst gemacht. Allerdings hat die Uni auch eine Verantwortung gegenüber den Studierenden. Sie sollte dort intervenieren, wo es notwendig ist, um Stressfaktoren zu minimieren.
ZEIT Campus: Inwiefern?
Luca: Natürlich habe ich mir selbst diesen Stress und Druck gemacht, weil ich alles perfekt machen wollte. Aber er wurde durch Aussagen von Professor:innen verstärkt. Ich habe Sätze gehört wie: "Schauen Sie nach rechts und links, Ihre Sitznachbarn sind vielleicht im nächsten Jahr nicht mehr da" oder "Hier fallen bestimmt viele von Ihnen durch" oder "Sie dürfen kein Leben neben der Uni mehr haben". Meiner Meinung nach überschreiten Dozierende mit solchen Aussagen Grenzen. Das ist nicht nur frech, es schädigt das Selbstvertrauen von Einzelnen.