Es ist schlicht und würdevoll, angemessen und bewegend: Mit einem Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft und der Steinwache erinnert die Stadt Dortmund an die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Mehmet Kubasik (39) wurde am 4. April 2006 in seinem Kiosk in der Mallinckrodtstraße erschossen. Seit dem vergangenen Jahr erinnert eine Gedenktafel vor seinem ehemaligen Laden an die rassistische Bluttat. Jetzt gibt es ein Mahnmal für alle Opfer: „Wir gedenken heute der zehn Menschen, die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU wurden", betont OB Ullrich Sierau. „Unter diesen Opfern war auch Mehmet Kubasik, ein Dortmunder Bürger - einer von uns."
Erinnerung an ein unfassbares Verbrechen„Es ist ein unfassbares Verbrechen, was über Jahre in Deutschland passiert ist", betont Guntram Schneider. „Eine nationalsozialistische Mörderbande brachte Menschen um, nur weil sie überzeugt war, dass es wertes und unwertes Leben gibt", sagt der Arbeits- und Sozialminister bei der Einweihung des NSU-Mahnmals.
Auf Initiative der Oberbürgermeister der Städte Nürnberg, München, Rostock, Kassel, Heilbronn, Dortmund und des Innensenators der Freien und Hansestadt Hamburg gedenken die betroffenen Städte gemeinsam der Opfer und rufen zum gesellschaftlichen Widerstand auf.
„Wir sind bestürzt und beschämt, dass diese terroristischen Gewalttaten über Jahre nicht als das erkannt wurden, was sie waren: Morde aus Menschenverachtung", so Sierau weiter und zitiert den Schwur von Buchenwald: „Nie wieder Krieg - Nie wieder Faschismus!" Dieses Versprechen sei eine der Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. „Und dieses Versprechen hat dieser Staat und haben die Behörden, die ihn und seine Menschen schützen sollen, in den Jahren des NSU-Terrors nicht gehalten."
NSU-Prozess ist für die Familien Quelle des TrostesIm Gegenteil: Als traurigen Höhepunkt dieses Skandals wurden die Opfer und ihre Familien verdächtigt, kriminalisiert und für mitschuldig gehalten. „Daher ist die Aufklärung der Taten von großer Bedeutung, gerade für die Familien, die verdächtigt wurden", betont die türkische Generalkonsulin Sule Özkaya. „Für sie ist dieser Prozess eine Quelle des Trostes. Dass sich die Familien nicht von Deutschland abgewendet haben, verdient Anerkennung."
Der Prozess könne ein erster Schritt sein, das Vertrauen in die Behörden wiederherzustellen, so die Vertreterin der Türkei. Das Mahnmal mache Mut: „Nicht nur für Dortmund oder Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit ist dieses Mahnmal ein wichtiger Ort des Mahnens und Erinnerns." Um so bedeutender ist auch die Arbeit der „BotschafterInnen der Erinnerung". Die Dortmunder Schülerinnen und Schüler engagieren sich in der Erinnerungsarbeit, beschäftigen sich mit der Nazivergangenheit und engagieren sich gegen Rechtsextremismus sowie für Toleranz und Zivilcourage.
Davon zeigen sich viele Gäste, neben dem Minister sind auch seine Staatssekretärin für Integration, Zülfiye Kaykin, die Bundesbeauftragte für die NSU-Opfer, Barbara John, und die Oberbürgermeisterin von Zwickau, Dr. Pia Findeiß, anwesend, beeindruckt.
Guter Standort für das MahnmalDas Mahnmal soll dazu einen Beitrag leisten: Der Ort - neben der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache und der Auslandsgesellschaft - ist dafür sehr gut geeignet: Das ehemalige Gestapo-Gefängnis Steinwache - die „Hölle von Westfalen" ist auf der einen, die Auslandsgesellschaft als Ausdruck der Multikulturalität und Weltoffenheit auf der anderen Seite.
„Das Mahnmal ist eine Auszeichnung für Dortmund. Die Stadt hat die Initiative übernommen", lobt Schneider. „Das zeigt das Bewusstsein, dass wir hier die nationalsozialistischen Umtriebe bekämpfen wollen." Wie nötig das ist, war zeitgleich in der südlichen Innenstadt zu erleben: Rund 100 Neonazis hatte die Partei „Die Rechte" versammelt, um gegen die Beendigung eines Rechtsrock-Konzertes durch die Polizei zu demonstrieren.
Stadtgesellschaft setzt ein Zeichen gegen Rechtsextremismus„Mit dem Mahnmal wollen wir den Opfern gedenken, aber uns auch daran erinnern, in unserem Einsatz für ein vielfältiges, demokratisches und tolerantes Dortmund nicht nachzulassen", so Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau weiter.
„Als Stadtgesellschaft beziehen wir eindeutig Stellung gegen Rechtsextremismus und rechtsextremistische Gewalttaten." Daran will auch Gamze Kubazik, die Tochter des Dortmunder NSU-Opfers, mitwirken. „Ich habe mich nie für Politik interessiert. Aber das hat sich geändert."
Details des neuen Mahnmals vor der AuslandsgesellschaftAuf die Fläche vor der Auslandsgesellschaft ist diagonal ein zehn Meter langer und 20 Zentimeter breiter, polierter Natursteinstrahl (Basalt) gestellt, der sich dem Geländeprofil folgend in der Höhe von 50 Zentimeter auf 25 Zentimeter verjüngt. Den Übergang zu einer zwei Meter hohen, 120 Zentimeter breiten und 20 Zentimeter starken Gedenkstele bildet ein 1,20 Meter langes, bodenbündig eingebautes Lichtband.
Auf der Oberseite des Basaltstreifens ist einzeilig der Text eingraviert: „Neonazistische Verbrecher haben zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen in sieben deutschen Städten ermordet: Neun Mitbürger, die mit ihren Familien in Deutschland eine neue Heimat fanden, und eine Polizistin. Wir sind bestürzt und beschämt, dass diese terroristischen Gewalttaten über Jahre nicht als das erkannt wurden, was sie waren: Morde aus Menschenverachtung. Wir sagen: Nie wieder!"
Die Stele trägt auf der einen Seite die Namen der Opfer, ihre Wohnorte und die Daten ihrer Ermordung: „Wir trauern um Enver Simsek, 11. September 2000, Nürnberg; Abdurrahim Özüdogru, 12. Juni 2001, Nürnberg; Süleyman Tasköprü, 27. Juni 2001, Hamburg; Habil Kilic, 29. August 2001, München; Mehmet Turgut, 25. Februar 2004, Rostock; Ismail Yasar, 5. Juni 2005, Nürnberg; Theodoros Boulgarides, 15. Juni 2005, München; Mehmet Kubasik, 04. April 2006, Dortmund; Halit Yozgat, 06. April 2006, Kassel; Michèle Kiesewetter, 25. April 2007, Heilbronn. Auf der anderen Seite steht die Inschrift „Gedenkstätte für die Opfer terroristischer Gewalt".
Mehr zum Thema NSU-Gedenken: Nordstadtblogger vom 04.04.2013