Das Unterhaus als Schlachtfeld: Nicht nur die Opposition hielt am Mittwoch im britischen Parlament ein Scherbengericht über Boris Johnson ab, sondern auch dessen eigene Leute. Hohn, Sarkasmus – und ein Premier, der nicht aufgeben will.
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Boris Johnson am Mittwoch im britischen Unterhaus: Als sich der britische Premierminister den Fragen der Abgeordneten stellt, steht er unter großem politischem Druck – wieder einmal. Johnson hat viele Skandale politisch überlebt – doch diesmal könnte es anders kommen. Denn die Kritik aus seinem eigenen politischen Lager wird lauter. Sajid Javid, bis zu seinem Rücktritt am Dienstag Gesundheitsminister:
Sajid Javid, Ex-Gesundheitsminister
»Irgendwann muss man sagen: Es reicht. Dieser Zeitpunkt ist jetzt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Problem ganz oben beginnt und sich nicht ändern wird. Das bedeutet für diejenigen von uns, die Verantwortung tragen, dass sie etwas ändern müssen. Ich wünsche meinen Kabinettskollegen alles Gute. Ich sehe, dass sie im Kabinett bleiben wollen. Sie werden ihre Gründe haben. Aber es ist eine bewusste Entscheidung. Ich weiß, wie schwierig diese Entscheidung ist.«
Aktueller Auslöser der Regierungskrise: Boris Johnson hatte einen Tory-Politiker im Februar zum Vize-Fraktionschef ernannt, obwohl er wusste, dass diesem sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Oppositionsführer Starmer nimmt dafür Johnsons gesamte Regierung in die Verantwortung.
Keir Starmer, Labour-Party, Oppositionsführer
»Seit einer Woche ließ er sie seine Entscheidung verteidigen, einen Triebtäter zu befördern. Die täglichen Erklärungen, die er sie vorbringen ließ, waren jedes Mal unwahr. Erstens: Er habe von den Anschuldigungen nichts gewusst – unwahr. Dann: Er habe nichts von konkreten Vorwürfen gewusst – unwahr. Dann: Er habe nichts von konkreten schwerwiegenden Vorwürfen gewusst. Und jetzt möchte er, dass sie sagen, er habe es schlicht vergessen, dass sein Fraktionskollege ein Triebtäter war. Jeder mit etwas Anstand hätte sich längst aus der ersten Reihe verabschiedet. Hat das Land in dieser Krise denn nichts Besseres verdient als eine Hinterbänklertruppe aus nickenden Hunden?«
Am Dienstag waren sowohl Johnsons Gesundheitsminister als auch sein Finanzminister zurückgetreten. Am Mittwoch traten mindestens fünf Staatssekretäre und weitere Regierungsmitglieder zurück und forderten Johnson zum Amtsverzicht auf. Seine Verteidigungsstrategie: Ich werde gebraucht und werde mich nicht wegducken.
Boris Johnson, Britischer Premierminister
»Wenn die Zeiten hart sind, wenn die Wirtschaft und der Haushalt unter Druck stehen, wenn wir den größten Krieg in Europa seit 80 Jahren haben, genau dann erwartet man von einer Regierung, dass sie ihre Arbeit fortsetzt - nicht abhaut, sondern weitermacht und sich auf das konzentriert, was die Leute in diesem Land betrifft. Der Unterschied zwischen … Der Unterschied zwischen dieser Regierung und der Opposition ist: Wir haben einen Plan und sie nicht. Und wir machen weiter. Sie wollen sich auf diese Art von Problemen konzentrieren, wir machen weiter mit unserer Arbeit.«
Anfang Juni musste sich Johnson einem parteiinternen Misstrauensvotum stellen. Er gewann, jedoch stimmten bereits damals 148 Abgeordnete gegen ihn. Die Zahl der Abtrünnigen dürfte heute noch höher sein.
Gary Sambrook, Conservative Party
»Zeigt das nicht, dass der Premierminister immer ablenken möchte, dass er immer versucht, andere für Fehler verantwortlich zu machen? Er sollte die Verantwortung übernehmen und zurückzutreten.«
Boris Johnson, Premierminister Großbritannien
»Es gibt eine sehr einfache Antwort auf die Frage, warum sie mich loswerden wollen: Sie wissen, dass wir ansonsten weitermachen und abliefern und damit eine weitere Wahl gewinnen werden. Das ist die Realität.«
Ian Blackford von der schottischen Nationalpartei witzelte in der Debatte, Johnson habe kürzlich noch über eine weitere Amtszeit nachgedacht.
Ian Blackford, Scottish National Party
»Der Premierminister klammert sich verzweifelt an seine Fantasie, aber die Bevölkerung kann es sich nicht leisten, diese Farce von einer Regierung auch nur eine Minute länger auszuhalten. Wir sollten heute eigentlich über die von den Tories verursachten hohen Lebenshaltungskosten sprechen, über die steigende Inflation und die wachsenden Kosten des Brexits. Stattdessen geht es wieder nur um ihn. Wie viele Minister müssen noch zurücktreten, bevor er endlich auf sein Amt verzichtet?«
Liz Saville Roberts, Plaid Cymru (Partei von Wales)
»Ein weiteres Mal nimmt der Premierminister sein politisches Überleben wichtiger als seine öffentlichen Pflichten. Aber die Menschen merken: Selbst wenn er zurücktritt – dabei geht es nicht um das Ob, sondern um das Wann: Dieselbe Westminster-Arroganz wird auch künftig unsere Zukunft in Wales beeinflussen. Will er eine Auszeichnung dafür, die beste Werbung für eine Unabhängigkeit [von Wales] zu machen?«
Boris Johnson, Premierminister Großbritannien
»Wenn es hart auf hart kommt, steht der Regierungschef natürlich unter Beschuss. Aber es ist mein Job, weiterzumachen und unser Regierungsprogramm umzusetzen. Und das machen wir, dafür wurden wir gewählt. Das Land durch harte Zeiten bringen, wie wir es bei Covid auch geschafft haben, das werde ich tun.«
(07.07.2022)
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