Wer einen Job sucht, für den er brennt, hat ein kleineres Gehalt und weniger Erfolg. Ich bin Journalist aus Leidenschaft. Habe ich wirklich alles falsch gemacht?
Wissenschaft, das ist empirisch erwiesen, ist wahnsinnig nützlich. Sie hat uns beim Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit geholfen und uns die kompostierbare Kaffeekapsel beschert. Dass Wissenschaft auch wahnsinnig nerven kann, liegt daran, dass sie uns heute erklärt, was wir gestern falsch gemacht haben. Plötzlich ist es schlecht, sich die Zähne jahrelang nach dem Frühstück geputzt zu haben. Plötzlich ist es schlecht, sich seinen Traumjob gesucht zu haben.
Ich bin aus Leidenschaft Journalist geworden, was bis vor Kurzem noch der beste Grund war, einen Beruf zu ergreifen. Dann kamen Carol Dweck, Paul O'Keefe und Gregory Walton, drei Psychologen aus den USA, die sich mit unseren Vorstellungen von Interesse, Passion und Beruf beschäftigen. Sie fanden heraus, dass Leidenschaft ein schlechter Ratgeber bei der Berufswahl ist, weil daran überzogene Erwartungen gekoppelt sind und also großes Potenzial zur Enttäuschung. Noch schlimmer: Wer Passion suche, gebe sich tendenziell mit weniger Geld zufrieden und schließe Alternativen von vornherein aus. Habe man sein Interesse "gefunden", sehe man nämlich keinen Sinn darin, sich anderweitig zu vertiefen.
Ich könnte glücklicher und reicher seinLetzteres kann ich nicht abstreiten. Seit meinem Praktikum bei einer Tageszeitung hatte ich den dringlichen Wunsch, Journalist zu werden. Einen Plan B gab es nicht, ich achtete sogar darauf, dass sich keiner ergab. Denn ich war, ohne es zu wissen, ein Anhänger der fixed theory. Menschen wie ich glauben, dass Interessen gegeben sind, dass sie, wenn man so will, in unseren Genen stecken und nur entdeckt werden müssen. Wir überschätzen Talent und unterschätzen Handwerk. Wir wollen keinen Beruf, sondern die Berufung. Wer so denkt, ist im Schnitt weniger zufrieden mit seiner Arbeit und auch weniger erfolgreich. Unwissenschaftlich gesprochen: Ich könnte glücklicher und reicher sein.
Laut der Studie von Dweck, O'Keefe und Walton geben Anhänger der fixed theory schneller auf, sobald es kompliziert wird. Statt sich durchzubeißen, nehmen sie einfach an, dass diese oder jene Tätigkeit doch nicht ihrer wahren Leidenschaft entspricht. Wer etwas aus Leidenschaft tue, denken sie, spüre keinen Aufwand, nur endlose Motivation, womit wir bei den überzogenen Erwartungen wären. Anhänger der growth theory sind dagegen der Meinung, dass man Interesse lernen kann, dass es sich lohnt, dranzubleiben. Sie wachsen mit ihren Aufgaben.
Um die Implikationen der zwei diametralen Ideen von Interesse zu zeigen, führten der Studienleiter Paul O'Keefe und seine Kollegen mehrere Experimente durch. Beispielsweise teilten sie Schülerinnen und Schüler in zwei Gruppen ein: Während die eine lernte, dass Interessen dem Menschen inhärent seien, erklärten sie der anderen Gruppe, dass sich Interessen entwickeln können. Mit diesen Vorbedingungen schauten sich die Teilnehmer ein leicht verständliches und spannendes Video über schwarze Löcher an. Als das Video zu Ende war, gaben alle Schüler an, dass das Thema sie fasziniere. Im nächsten Schritt sollten sie einen komplizierten Fachartikel zu schwarzen Löchern lesen. Und plötzlich verloren jene Teilnehmer ihr eben bekundetes Interesse an schwarzen Löchern wieder, denen die fixed theory eingeimpft worden war.
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