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Polen | solidarisch gespalten

Die neue polnische Opposition beruft sich auf die legendäre Solidarnosc-Bewegung. Dabei sieht sich die polnische Regierungspartei PiS selbst in der Tradition der Gewerkschaft, die einst Polens Freiheit erkämpfte. Ein Blick auf deren Geschichte zeigt, wie gespalten das 


Polen lieben große historische Bezüge. Egal, ob vor Spielen der Nationalmannschaft, in Familiendiskussionen oder politischen Debatten.  Lustvoll schlagen sie den ganz großen historischen Bogen in die in ihren Augen ruhmreiche Geschichte der polnischen Nation. Und der patriotischen Geschichtsverweise verfangen meist, quer durch alle politischen Lager.

 

Und so war es kein Wunder, dass ein kleiner Text des bekannten polnischen Autors Krzysztof Łoziński im November 2015 riesige Wellen schlug. Łoziński war einer der Vordenker der polnischen antikommunistischen Bewegungen zu Zeiten der Volksrepublik Polen in. „Wir müssen ein KOD gründen“, lautete der knackige Titel seines Kommentars und drehte damit schon am ganz großen historischen Rad. Denn die Abkürzung KOD steht für „komitet obrony demokracji“, auf Deutsch: Komitee zur Verteidigung der Demokratie.

 

In dem kurzen Text umriß Łoziński eine neue außerparlamentarische Opposition gegen die gerade gewählte PiS-Regierung. Doch die Kernaussage steckte bereits in den drei Buchstaben des Titels: KOD. Denn jeder Pole dachte hier unwillkürlich an das KOR, das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter. Die Oppositionsbewegung wurde 1976 unter Anderem von Łoziński gegründet. Sie war die Keimzelle der späteren „Solidarność“-Bewegung. Die wiederum mündete 1989 in den ersten freien Wahlen und der Unabhängigkeit Polens, dem Fall der Mauer und dem Sturz des Kommunismus samt Sowjetunion. Große historische Bögen eben.

 

Aktivisten gründeten daraufhin in der Tat eine Facebook-Seite unter dem Namen KOD, das innerhalb weniger Tage 30.000 Unterstützer hatte. Am 02. Dezember wurde das Komitee zur Verteidigung der Demokratie als offizielle Bürgerbewegung gegründet. Am 12. Dezember veranstaltete die KOD in vielen mehreren Städten Demonstrationen gegen den geplanten umbau des Verfassungsgerichts und der staatlichen Medien. An der größten Veranstaltung in Warschau nahmen nach Angaben der Stadtverwaltung 50.000 Menschen teil. Tags darauf demonstrierten Regierungsunterstützer für die Politik der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)

 

Deren Vorsitzender Jarosław Kaczyński sieht sich seit jeher in einem Kampf gegen Kommunisten und einen angeblichen Pakt aus Politik, Wirtschaft, Geheimdiensten und Kriminellen, den er immer wieder heraufbeschwört.: „Unser Ziel ist die Zerschlagung des Paktes, der das politische, wirtschaftliche und in gewissem Sinne auch gesellschaftliche Leben steuert“, sagte er 2006 in einem Interview. Entlang dieser Linie identifiziert auch die neue Regierung Politik als Abgrenzung  zu ihren vermeintlichen Feinden: liberalen und kommunistischen Politikern, den kapitalistischen Wirtschaftseliten und gesellschaftlicher Gruppen, die nicht den „polnischen Werten“ entsprächen.

 

Der 2015 ins Amt gekommen) Außenminister Witold Waszczykowski bezeichnete diese Anfang Dezember 2015 in einem Gespräch mit der BILD-Zeitung als „Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen." Für Jarosław Kaczyński ist es schlicht die „schlimmste Sorte Polen“. Gemeint hatte er mit der Aussage die Teilnehmer der KOD-Demonstrationen, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gehen. So wie Kaczyński damals, 1976, als Mitarbeiter des KOR, der Keimzelle der Solidarność. Was für ein historischer Bogen.

 

Spätsommer 1980: Die Mitarbeiter in der Leninwerft in Danzig streiken aufgrund der Entlassung einer Kranführerin. In der angespannten politischen Lage in der Volksrepublik entwickelt sich der Arbeitsausstand bald zum landesweiten Flächenbrand. Die Streikenden unter Führung des Schiffselektrikers Lech Wałęsa fordern weitgehende Zugeständnisse der kommunistischen Führung: etwa Lohnerhöhungen, die Abschaffung der Zensur und die Bildung von unabhängigen Gewerkschaften. Unter dem Druck von Millionen streikender Polen kommt es schließlich zu einer Einigung und der Gründung der Unabhängige Selbstverwalteten Gewerkschaft „Solidarität“ – der „NSZZ Solidarność“, Lech Wałęsa wird ihr Vorsitzender.

 

Die erste freie Gewerkschaft Polens hat bald zehn Millionen Mitglieder und immensen politischen Einfluss. Und so lässt die kommunistische Führung sie bereits 1981 wieder verbieten und am 13. Dezember den Kriegszustand über die Volksrepublik verhängen, der zwei Jahre andauern soll. Daneben kommt es zu Massenverhaftungen der führenden Köpfe. Darunter der Gewerkschaftsvorsitzende Wałęsa, aber auch damals unbekannte Funktionäre wie Lech Kaczyński, der mittlerweile verstorbene Bruder des PiS-Vorsitzenden. Beide waren in der Solidarność engagiert.

 

Ende 1988, Anfang 1989 kommt es nach erneuten landesweiten Streiks zu Geheimverhandlungen zwischen den mittlerweile wieder frei gelassenen Führern der verbotenen Solidarność und der angeschlagenen kommunistischen Führung. Im Frühjahr 1989 treffen sich beide Seiten und andere Oppositionsgruppen nahe Warschau zu Gesprächen an einem „runden Tisch“, der zum Vorbild für die DDR werden sollte. Am Ende der Verhandlungen steht die erste freie Wahl in Polen. Diese gewinnt die wieder zugelassene Solidarność mit überwältigender Mehrheit und stellt mit Tadeusz Mazowiecki den ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Polens seit Ende des zweiten Weltkriegs.

 

Ende 1989 wird Polen durch eine Verfassungsänderung wieder Republik und unabhängig von der Sowjetunion. Der Solidarność-Vorsitzende Lech Wałęsa wird 1990 zum Staatspräsidenten gewählt, Jarosław Kaczyński sein Kanzleichef.

 

Doch mit dem größten Erfolg beginnen auch der Machtverfall und die Spaltung der Bewegung. Denn während die neue Regierung den radikal liberalen Umbau der polnischen Wirtschaft vorantreibt, bleiben viele der alten kommunistischen Kader der Verwaltung des neuen Staates erhalten.

Radikalen Antikommunisten wie den Brüdern Kaczyński ist dies ein Dorn im Auge, hatten sie doch jahrzehntelang gegen genau diese kommunistischen Seilschaften gekämpft. „Die alte und die neue Zeit, die Volksrepublik und das unabhängige Polen wurden nicht voneinander getrennt. Man weiß nicht, wo die Volksrepublik endet und wo das freie Polen beginnt.“, fasst Kaczynski in einem Interviewbuch 1993 sein Kritik zusammen, die er bis heute mantrahaft wiederholt.

 

In gleichen Jahr verliert die Solidarność, bedingt durch die sozialen Verwerfungen durch den radikalen Umbau der Wirtschaft, ihre Regierungsbeteiligung. 1995 wird auch Präsident Wałęnsa abgewählt. Als „Wahlaktion Solidarität“ (AWS) besteht der parteipolitische Arm der Solidarność noch einige Jahre weiter, bis sich auch die AWS 2001 auflöst. 

 

Aus der politischen Insolvenzmasse der Solidarność-Partei entstehen wiederum zwei neue Parteien, die die Politik Polens bis heute prägen: die liberal-konservative Bürgerplattform (PO) und die Nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS). Und auch personell tragen die beiden Parteien das Solidarność-Erbe weiter. Auf PO-Seite stehen der spätere Premierminister Donald Tusk, heute Präsident des Europäischen Rates und der 2015 abgewählte Staatspräsident Bronisław Komorowski. Beide gehörten Anfang der 1980er Jahre zu den inhaftierten Solidarność-Mitgliedern. Genau wie die Kaczyńskis, die ihren Feldzug gegen den Kommunismus und andere Seilschaften zwischen 2005 und 2007 als Präsident und Premierminister Polens weiterführen.

 

Die Solidarność besteht als Gewerkschaft bis heute weiter und ihre Vertreter äußern sich immer wieder zu politischen Entwicklungen in Polen. Dabei ließ sie in den vergangenen Jahren recht offen Sympathien für die PiS und ihre Wohlfahrtsversprechen durchblicken und unterstützte sie während der beiden Wahlen im vergangen Jahr. Vor allem, weil die PiS und ihr Vorsitzender gegen die neoliberale Politik ihrer der Vorgänger wettert. „Dafür“, sagt Kaczyński, „haben wir bei der Solidarność nicht gekämpft.“ Das kommt an.

 

Lech Wałęsa wiederum verließ die Gewerkschaft bereits erklärte 2005 seinen Austritt, da er die Zusammenarbeit mit der PiS ablehnte. „Das ist nicht mehr meine Gewerkschaft“, sagte er damals. Wałęsa kommentiert aber weiterhin das politische Geschehen. Bereits im Dezember 2015 warnte er mit Blick auf die geplanten Gesetzesänderungen der PiS: „Diese Regierung handelt gegen Polen, gegen das, was wir erreicht haben, Freiheit, Demokratie, ganz zu schweigen davon, dass sie uns in der ganzen Welt lächerlich macht".

 

 Zum Autor

Alexander Hertel wurde 1988 als Sohn einer Deutschen und eines Polen in Bernau geboren. Er studierte in Leipzig Politikwissenschaft, Slawistik und Hörfunkjournalismus. Seit 2015 lebt und arbeitet er als freier Korrespondent in Warschau.

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