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"Die Beerdigung meines Bruders verfolgte ich über FaceTime" (16.3.22)

Ab Mitte März dürfen Neuseeländer aus allen Teilen der Welt endlich wieder ohne größere Hürden in ihre Heimat reisen (Touristen dann ab 12. April). In den vergangenen zwei Jahren hatte sich das Land wegen der Corona-Pandemie abgeschottet wie kaum ein anderes. Selbst für Menschen mit neuseeländischem Pass war die Einreise nur nach einer Quarantäne in einer staatlichen Einrichtung möglich. Dort waren die Plätze allerdings so stark begrenzt, dass viele der rund 750.000 im Ausland lebenden Neuseeländerinnen faktisch ausgesperrt waren. Vier von ihnen erzählen, wie sie diese Zeit erlebt haben und worauf sie sich nun freuen.

"Es schmerzt mich sehr, dass ich den 50. Geburtstag meines Vaters verpasst habe"

Georgia Farry, 24, Bookerin und DJane, lebt in Australien

"Während der Pandemie konnte ich nur eine Woche in Neuseeland verbringen. Letztes Jahr, als für kurze Zeit Reisen zwischen Neuseeland und Australien ohne Quarantäne möglich waren. Ich besuchte meine Großeltern und meine kleine Schwester, die in Neuseeland studiert. Es war eigenartig, aber auch schön, plötzlich von lauter Menschen ohne Maske umgeben zu sein. Und ich konnte es kaum fassen, dass einen alle unbekümmert umarmten! Ganz schön frustrierend war es allerdings, mir anhören zu müssen, wie die Neuseeländer sich über ihre Mini-Lockdowns beschwerten. Nach dem Motto: 'Unser Leben war vorbei!' Darüber konnte ich nur lachen - schließlich hatten wir in Melbourne den längsten Lockdown der Welt. 260 Tage! Mittlerweile sind auch meine Eltern zurück nach Neuseeland gezogen und wir werden uns Ostern endlich alle wiedersehen. Trotzdem schmerzt es mich sehr, dass ich den 50. Geburtstag meines Vaters und den 18. Geburtstag meiner Schwester verpasst habe. Und es macht mich traurig, nicht für meine Schwester da sein zu können, die gerade vom Mädchen zur Frau wird. Immerhin zieht meine Karriere in Australien wieder an. Ich bin DJane und Bookerin bei einer Agentur für Elektro-Acts aus Australien, Neuseeland und Europa. Die letzten zwei Jahre waren wirklich hart. Immer wieder musste ich Musikern sagen, dass ihre Tour abgesagt wurde und sie nun kein Geld verdienen würden. Nur die Gruppen aus Neuseeland hatten das Glück, zu Hause weiter auftreten zu können."

"Die Beerdigung meines Bruders verfolgte ich live über FaceTime"

Craig Moffat, 50, Tischler, lebt in Dänemark

"Ich lebe mit meinen zwei Söhnen in der dänischen Kleinstadt Præstø. Vor vier Jahren bereisten wir Neuseeland mit Freunden aus Dänemark und feierten den 50. Geburtstag meines älteren Bruders Mark. Danach wollte ich unbedingt bald wiederkommen, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Dann kam Corona. Niemals hätte ich gedacht, meinen Bruder nie wieder zu sehen. Er starb 2021 überraschend. Zur Beerdigung konnte ich nicht anreisen, weil ich nach meiner Einreise zehn Tage in einem Isolationshotel in Neuseeland hätte verbringen müssen. Zur Trauerfeier hätte ich es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Ich verfolgte die Beerdigung stattdessen live über FaceTime - ein Service, den mittlerweile viele Bestatter in Neuseeland anbieten. Meine Trauerrede für meinen Bruder hielt mein alter Schulfreund Dean, ich hatte ihm den Text vorab geschickt. Der Bestatter hatte mir zwar angeboten, mich per Liveschalte auf eine Leinwand in der Kirche zu projizieren, aber das war mir zu riskant. Was, wenn plötzlich die Übertragung abgebrochen wäre? Trotz der Entfernung half mir die Zeremonie, mich von meinem Bruder zu verabschieden. Wenn ich im September endlich wieder nach Neuseeland reise, werde ich die Urne mit seiner Asche beim Bestatter abholen. Unsere Eltern leben nicht mehr, aber ich werde meine vielen Cousinen und Cousins und meine Tante besuchen. Am meisten freue ich mich auf das Gefühl, wieder zu Hause sein."

"Es war schrecklich, in solchen Momenten nicht einfach einen Flug buchen zu können"

Leah Howard, 50, Chefin der Marketingabteilung einer Bank, lebt in Hongkong

"Weihnachten 2019 habe ich meine Mutter das letzte Mal gesehen. Sie hat mich allein großgezogen und wir sind uns sehr nah. Obwohl wir in Hongkong leben, besuchen wir uns häufig und auch unsere Kinder Ruby und Milo haben eine enge Beziehung zu ihrer Großmutter. Im letzten Jahr war meine Mutter ernsthaft krank. Es war schrecklich, in solchen Momenten nicht einfach einen Flug buchen zu können. Die Unsicherheit, ob und wann wir sie endlich wiedersehen, war das Schwerste für uns. Zum Glück geht es ihr jetzt wieder gut. Letztes Jahr hätte ich es auch fast geschafft, sie zu besuchen. Ich habe an Neuseelands 'Managed Isolation and Quarantine Lottery' teilgenommen, bei der jeden Monat eine begrenzte Anzahl an Plätzen in Quarantänehotels vergeben werden. Um vier Uhr morgens saß ich vor dem Rechner und schaffte es tatsächlich auf Platz 750 in der Warteschlange von insgesamt 16.000 Menschen, die sich auf 5.000 Plätze bewarben. Ich buchte also ein Flugticket, doch aufgrund der Delta-Variante verschärfte Hongkongs Regierung ihre Quarantäneregeln noch einmal. Bei meiner Rückreise hätte ich 21 Tage in einer Quarantäneunterkunft verbringen müssen. Das wären insgesamt 31 Tage Quarantäne für zwei Wochen Urlaub gewesen. Das konnte ich meinem Arbeitgeber leider nicht erklären. Neben Freunden und Familie vermissen wir an Neuseeland vor allem das transparente politische System. Jacinda Ardern und Carrie Lam - unterschiedlicher könnten zwei Politikerinnen wohl kaum sein. Im Juli werden wir jetzt endlich wieder nach Neuseeland reisen. Wir wollen dort ein Rugbyspiel der All Blacks besuchen, snowboarden, wandern und einfach unsere Freiheit genießen."

"Warum werden wir immer noch als tödliche Gefahr angesehen?"

Lizzy Dent, Autorin, lebt in Österreich

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"Ich bin in Melbourne geboren und im Alter von 13 Jahren mit meiner Familie nach Neuseeland gezogen. Da ich bis heute nur einen australischen Pass besitze, konnte ich während der Pandemie nicht nach Neuseeland einreisen und hatte den gleichen Status wie eine Touristin. Das letzte Mal haben mein österreichischer Mann und unsere Kinder meine Mutter vor zwei Jahren in Queenstown besucht. Wir schauten uns damals Häuser an, da wir planten, nach Neuseeland zurückzuziehen.

In den ersten 18 Monaten war ich absolut damit einverstanden, dass Neuseeland sich so schnell und konsequent vom Rest der Welt abgeschottet hat. Ich fand das sehr verantwortungsvoll und war froh, dass meine Mutter so gut vor Corona geschützt war. Aber seit Ende letzten Jahres verliere ich langsam die Geduld. Als wir ein weiteres Weihnachtsfest ohne meine Mutter feierten, überkam mich eine tiefe Trauer: Warum darf ich nicht in meine Heimat zurückkehren, in der mittlerweile fast 80 Prozent der Menschen geimpft sind? Warum werden wir immer noch als tödliche Gefahr angesehen, obwohl wir geimpft sind? Als Neuseelands Regierung verkündete, seine Grenzen ab März endlich wieder für Einheimische zu öffnen, schossen mir Tränen vor Erleichterung in die Augen. Mit meinem australischen Pass kann ich leider erst ab Juli wieder einreisen. In Neuseeland, will ich als erstes Paradise besuchen, einen Ort in der Nähe von Queenstown. In der Gegend wurden viele Szenen aus Herr der Ringe gedreht und es gibt ein Café direkt am See. Dort will ich meine Füße ins Wasser baumeln lassen. An keinem anderen Ort auf der Welt fühle ich mich so sehr mit mir selbst verbunden. Trotz der Vorfreude bin ich traurig über all die verlorene Zeit. Weil unser ältestes Kind mittlerweile in Österreich zur Schule geht, ist es nun nicht mehr so einfach für uns, nach Neuseeland zurückzuziehen."

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