Anfassen, streicheln, festhalten: In der Pflege geht vieles über den Hautkontakt. Warum der so wichtig ist, erfährt RZ-Reporterin Agatha Mazur. Sie war mit Pflegerin Myriam Dillmann unterwegs. Darüber hinaus hat sie eine Schreinerei besucht und mit Schreinermeister Jürgen Lipinski darüber gesprochen, wie wichtig die Haptik beim Herstellen von Möbeln ist. Teil vier der RZ-Serie: Fühlen.
Pflege: Ohne Berührung geht es nicht Durch das Fenster in Gertrud Görgens Wohnung in Rübenach fällt graues Licht, es ist bewölkt. Rosa Tulpen auf dem Tisch strecken ihre Hälse in RichtungHelligkeit. Entspannt sitzt die 85-Jährige in pastellgrünem Bademantel und wartet auf ihre Pflegerin.Die kommt jeden Morgen um Punkt 8 Uhr: Myriam Dillmann arbeitet bei der Caritas in der ambulanten Pflege. Die 43-Jährige ist examinierte Altenpflegerin und morgens ab 6 Uhr unterwegs: Waschen, Medikamente reichen, Blutzucker messen und Wunden versorgen sind nur einige der Aufgaben der Koblenzerin.
Seit Mai vergangenen Jahres betreut sie Gertrud Görgen - heute laufe ich mit ihr mit. Ein Fußbad und das Anziehen der Kompressionsstrümpfe stehen auf dem Programm. Berührungsängste darf man als Altenpflegerin nicht haben - das lerne ich schnell. Denn gleich bin ich mit dem Fußbad dran. Pflegerin Dillmann hat bereits alles vorbereitet: Angenehm warmes Wasser in einer hellblauen Wanne, etwas Badezusatz sorgt für einen dezenten Duft.
Basale Stimulation: Der wissenschaftliche AnsatzDillmann macht es vor, dann bin ich dran: Den Fuß der Patientin in einer Hand, mit der anderen das Waschläppchen über die Haut und die Unterschenkel hinauf, dann leicht einmassieren. Professorin Erika Sirsch vom Lehrstuhl für Akutpflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) hat einen Namen dafür: "Basale Stimulation" nennt man das Konzept, wenn der Pfleger die Sinne gezielt anregt, indem er den Patienten bewusst anzieht, mit ihm spricht oder beim Waschen beruhigt oder anregt. "Menschen brauchen den Körperkontakt und die Nähe", erklärt Sirsch. Wenn Patienten "hochgradig sensorisch beeinträchtigt" sind, hilft der Körperkontakt. Doch Sirsch macht darauf aufmerksam, dass nicht alle Menschen gleich sind. Ob ein Patient mehr oder weniger Berührung braucht, ist individuell - und kann sich auch von Kulturkreis zu Kulturkreis unterscheiden.
Der Hautkontakt ist angenehm, für mich sowohl wie für "meine" Rübenacher Patientin. Ob sich das gut anfühlt, frage ich. "Oh ja", sagt Gertrud Görgen und schmunzelt. Dann übernimmt Altenpflegerin Dillmann wieder: Wie jeden Morgen zieht sie ihrer Patientin die Kompressionsstrümpfe an. Die sorgen dafür, dass sich weniger Wasser in den Beinen einlagert, und sie senken das Thromboserisiko. Dillmann nimmt Görgens Fuß und stülpt den festen Strumpf über die Zehen. Fest muss er sitzen, damit er wirkt. Nebenbei achtet Dillmann auch immer auf Anzeichen, ob etwas nicht in Ordnung ist: Ist die Haut gerötet? Warm? Hat die Patientin Schmerzen?
Ohne Hautkontakt geht es in dem Beruf nicht. Doch die Berührung ist nicht nur wichtig, um den Patienten äußerlich zu untersuchen, sie hat auch einen hohen emotionalen Wert. Myriam Dillmann arbeitet viel mit demenzkranken Menschen. Wenn sie ihre Patienten begrüßt, spricht sie sie mit Vornamen an, streichelt ihnen über die Wange. Hier ist Berührung besonders wertvoll: "Dann merke ich, dass sie mich erkennen", sagt die 43-Jährige.
Berührung nimmt Angst und gibt SicherheitAußerdem nimmt man den Patienten dadurch ihre Ängste, erklärt Dillmann. Denn letztlich weiß keiner, wie viel demente Menschen von dem mitbekommen, was um sie herum geschieht. Die fehlende Orientierung löst Ängste aus. "Wenn ich die Patienten im Bett drehen möchte, nehme ich ihre Hand. Dann entspannen sie sich." Die Berührung gibt Sicherheit. Das kann Dozentin Erika Sirsch von der PTHV bestätigen. Für Menschen ist es wichtig, ihre Stellung im Raum zu kennen. Ist man über die eigene Situation im Unklaren, hilft eine "Initialberührung", erklärt Sirsch: Eine Berührung, mit der der Pfleger eine Bewegung einleitet und abschließt, sodass der Patient die Sicherheit wiedererlangt.
Gertrud Görgen ist zufrieden: Ihre trockene Füße sind von den Kompressionsstrümpfen ummantelt. Pflegerin Dillmann hat keine Rötungen oder andere Anzeichen von zu viel Wassereinlagerung erkannt. Die 85-Jährige schlüpft in ihre blauen Pantoffeln. Altenpflegerin Myriam Dillmann räumt noch die Utensilien weg, für sie geht es zum nächsten Patienten. Ich mache mich auf den Heimweg - die Hände noch warm von der Massage.
Koblenz. Es riecht nach Holz und Lack. Überall liegt feiner Staub. Sägen kreischen. Am Arbeitsplatz von Jürgen Lipinski im Industriegebiet Koblenz-Nord stapeln sich Behälter mit Beize, Lack, Wachs, neben Schleifpapier wartet eine Säge geduldig auf ihren Einsatz.
Der 36-jährige Lipinski ist Schreinermeister aus Ochtendung und stellt Möbel her. Gerade bearbeitet er einen Fernsehtisch, aber auch Betten und Schränke in allen Größen fertigt er regelmäßig. Lipinski ist einer, der noch vieles selbst macht. Der Ein-Mann-Betrieb hat nichts mit Massenanfertigung und Serienproduktion zu tun. Lipinski macht noch viel mit den Händen.
Splitter sind der Alltag
Die sind robust, mit eingerissenen Nägeln. Man sieht ihnen die tägliche Arbeit mit Holz an. Sich einen Splitter einzufangen, ist gang und gäbe bei diesem Beruf. „Das passiert ständig", meint er lachend. „Das ist gar nicht zu vermeiden." Man zieht ihn einfach raus, und das war es dann schon. Ohne Handarbeit geht es in seiner Schreinerei nicht. Bewusst verzichtet Jürgen Lipinski auf Handschuhe. Einmal aus Arbeitsschutzgründen: Der Handschuh könnte in eine Maschine eingesogen werden und die Hand mit sich reißen. Aber auch, weil mit Handschuhen das Gefühl in den Fingern fehlt. „Bei einer Verleimung muss ich doch fühlen, ob das flächenbündig ist", erklärt er. Heißt: Leimt er gerade ein Möbelstück zusammen, fährt er mit dem Finger über die Verbindung und könnte so selbst Unterschiede von einem halben bis zu einem Millimeter erspüren. Mit Handschuhen geht das nicht. Manchmal muss so genau gearbeitet werden, dass er sogar den Fingernagel zu Hilfe nimmt. Natürlich arbeitet Jürgen Lipinski auch mit Maschinen: Ohne Werkzeug kann man Holz nicht bearbeiten. Doch es macht einen Unterschied, ob man jeden Arbeitsschritt selbst tätigt und Hand anlegt, oder ob nur eine Maschine programmiert wird, die den Großteil der Arbeit übernimmt. Diese Maschinen gibt es auch in der Werkstatt im Koblenzer Industriegebiet-Nord, in die sich Lipinski eingemietet hat. Fräse, Vierseiter, Dikte: So heißen Maschinen, die einem Schreiner viel Arbeit abnehmen. Rund einen Tag bearbeitet Lipinski sein Möbelstück mit diesen Maschinen. Die anderen knapp drei Tage, die er für ein Möbelstück benötigt, nimmt er Handmaschinen: Sägen in diversen Variationen, der Hobel kommt zum Einsatz, auch der Akkuschrauber ist dabei.
Ohne Maschinen geht es nicht
Von der Gewichtung ist es im Laufe der Jahre dabei geblieben: Die meiste Arbeit muss mit den Handmaschinen erledigt werden. Generell tut sich viel in der Branche: Auch wenn Jürgen Lipinski mit der Auftragslage zufrieden ist, beobachtet er, dass die Handarbeit auf dem Rückzug ist: „Maßgeschneidert ist um einiges teurer." Er kann nicht mit Ikea und anderen großen Möbelhäusern mithalten. Massenproduktion, „Wegwerfgesellschaft" - diese Begriffe fallen im Gespräch. Seine Produkte halten länger, ist Lipinski überzeugt: Ein Bett kann bei ihm auch 100 Jahre halten, betont er. Lipinski macht die handwerkliche Arbeit großen Spaß. Holz hat den Ochtendunger schon immer begeistert. Und auch jetzt nimmt er die Holzbretter vom Sägewerk noch selbst in Empfang. Die Bretter, die „astig und rissig" sind, wie er es formuliert, wenn er mit den Fingern drüber geht. Weiter geht es an die Arbeit. Der Fernsehtisch muss weiter bearbeitet werden. Die kleine Wunde am Finger blutet nicht mehr. Aber der nächste Splitter kommt bestimmt. Doch davon lässt sich Schreinermeister Lipinski nicht abschrecken.
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