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Reportage

Wörlitz und die Windräder

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Wörlitz und die Windräder

„Von der Kulturlandschaft zur Techologielandschaft“ – unter diesem Motto hat Anfang Juli das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz auf einer Fahrt durch Sachsen-Anhalt Journalisten informiert. Eine Station war das Wörlitzer Gartenreich. Bedrohen Windkraftanlagen das Weltkulturerbe? Adolf Stock hat vor Ort Eindrücke gesammelt.

Take 1:
„Bitte auf den Wegen bleiben … Schritte“

Adolf Stock:
Wir Journalisten laufen trotzdem über den Rasen zum Wörlitzer Schloss. 1773 wurde es im klassizistischen Stil gebaut. Der Architekt hieß Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, und mit seinem strohgelben Haus begann eine ganz neue Bau-Epoche auf dem europäischen Kontinent. Vor mir steht Annette Scholtka. Sie kümmert sich vor Ort um die Denkmalpflege und passt auf, dass dem Park und seinen Bauten kein Unbill geschieht. Schließlich steht das Wörlitzer Gartenreich seit dem Jahr 2000 auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste.

Take 2: (Annette Scholtka)
„Wir machen jetzt den Aufstieg hoch zum Belvedere, damit sie diesen englischen Landschaftsgarten und die im ganz großen Stil gestaltete Landschaft sehen können.“

Adolf Stock:
Treppen führen zu dem Belvedere auf dem flachen Schlossdach. Doch zuvor stehe ich in einem quadratischen Raum mit Südseeambiente, der berühmten Seefahrern und Südseeentdeckern gewidmet ist.

Take 3: (Besucher)
„Es ist absolut schön, eine große weite Landschaft, aber ich speak in English, right?
- Ja, schön hier in der Südsee. Super.
- Schöne Palmen. Nicht? Gemurmel Treppe.“

Adolf Stock:
Es gibt sechsunddreißig kunstvoll aus Holz geschnitzte Palmen.

Take 4: (Annette Scholtka)
„Es ging Franz auch darum, einfach die Gleichberechtigung und Wertschätzung gegenüber anderen Kulturen auszudrücken. Und er selbst war begeistert von James Cook und war auch befreundet mit Vater und Sohn Foster, und die ihre Sammlung Fürst Franz geschenkt haben.“

Adolf Stock:
Hier hat man gesessen und Tee getrunken. Vom Belvedere ein Stockwerk höher blicke ich über das Wörlitzer Gartenreich, über den See, die antiken Tempel und die vielen Wegachsen, die schnurstracks durch den englischen Landschaftgarten führen. Und plötzlich, ziemlich weit hinten am Horizont stehen sie dann, die aufdringlichen Buhmänner der Energiewende: Windräder, die Horst Woche von der Stiftung Wörlitz Dessau ein Dorn im Auge sind.

Take 5: (Horst Woche)
„Das Traurige ist, man sieht sie auch aus dem Garten. Wenn jetzt diese Windräder wie geplant mit 200 Meter Höhe gebaut werden, das würde einfach die Ruhe hier im Gartenreich stören. Und ich denke, so wie die Energiewirtschaft jetzt ist, werden sich diese Windräder in Zukunft noch vermehren. Und wenn wir jetzt nicht dagegen angehen, verlieren wir unseren Bonus, denke ich mal, hoffentlich nicht als Weltkulturerbe.“

Adolf Stock:
Also nichts gegen Energiewende und Windräder, aber Horst Woche und Annette Scholtka wollen sie nicht in Wörlitz sehen.

Take 6: (Annette Scholtka)
„Es gibt viele Standorte, die so weit weg sind, dass man Windkraft-Anlagen von diesem ganz wichtigen Deich der Wörlitzer Anlagen aus nicht sieht. Wir sind überhaupt nicht gegen Windkrafträder. Es kommt auf den Standort an.“

Adolf Stock:
Fürst Franz war der Aufklärung verpflichtet. Wörlitz ist sein schönstes Werk und wurde zum Mekka für die gebildete Welt. Ein Gartenreich voller guter Absichten. Das hat schon Karl Marx so gesehen, der Wörlitz einen „kleinen Musterstaat“ nannte. Ob Fürst Franz die Windräder gemochte hätte? Nach allem, was ich über seinen Reformwillen und Fortschrittsethos weiß, lautet die Antwort: Ja. Vielleicht hätte er ein paar von ihnen als „point de vue“ ans Ende einer der vielen Sichtachsen gestellt oder mit einem Augenzwinkern einen kleinen Wald aus Windrädern gestaltet, die dem künstlichen Vesuv ein wenig Gesellschaft leisten.

So denke ich, aber die Denkmalpfleger in Wörlitz ticken anders. Sie wollen nichts Neues, sie wollen das Alte eins zu eins erhalten. Aber vielleicht ist diese wackere Absicht nicht genug. Thomas Mann hat einmal bemerkt, von einem Nein könne man nicht leben. Und das gilt auch für Denkmalpfleger. Sie wollen den Wörlitzer-Park vor den Zumutungen der neuen Zeit bewahren. ICOMOS, der große Bruder im Hintergrund, ist noch nicht ganz auf ihrer Seite. Die internationalen Denkmalpfleger haben sich bislang noch nicht über die Windräder aufgeregt. Bis zu einer Million Besucher kommen jährlich ins Gartenreich, und die – so glauben Tourismusexperten – wollen keine Windräder sehen.

Take 7: (Horst Woche)
„Das Problem ist, dass die Besucher vorwiegend nur am Wochenende kommen, das heißt, ich möchte es nicht übertreiben, aber fast sagen möchte ich, dass es eine Art Vergewaltigung dieser einmaligen hochsensiblen Gartenanlage ist, weil am Samstag und Sonntag hier nur die Menschentrauben durch – Entschuldigung – trampeln.“

Adolf Stock:
Ich lerne, dass nicht nur die Windräder, sondern auch die Touristen in Wörlitz problematisch sind. Fürst Franz galt als weltoffen und tolerant. Er wollte das Schöne mit dem Nützlichen verbinden. Ein paar Windräder hätten ihn nicht aus der Fassung gebracht, und seinen Landschaftsplanern wäre bestimmt etwas Schönes und Kluges eingefallen. Doch Fachleute für Landschaftsästhetik sind zurzeit nicht gefragt. Und so werden an den Rändern des Wörlitzer Parks demnächst noch viel mehr und viel höhere Windräder irgendwie in der Landschaft stehen, als Gauner-Zinken der Gegenwart, die vor der guten alten Zeit nicht halt machen wollen.

Erstsendung Deutschlandradio Kultur Zeitfragen Wirtschaft und Umwelt am 05.08.2014

Links:
Die Kulturstiftung Wörlitzer Gartenreich
www.gartenreich.com

Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
www.dnk.de

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
http://www.lda-lsa.de