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Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei?

Die AfD versucht es mit einer Doppelstrategie: Der radikale Flügel sucht den Schulterschluss mit Pegida, die Gemäßigten wollen die CDU zur Zusammenarbeit drängen. Jetzt könnte eine richtungsweisende Entscheidung fallen.


An der Hauptstraße von Eilenburg in Nordsachsen residierte die AfD schon einmal in Bestlage. Sie hatte ein Wahlkreisbüro direkt gegenüber vom örtlichen CDU-Landtagsabgeordneten. Die beiden zurzeit stärksten Parteien in Sachsen standen sich in der 15.000-Einwohner-Stadt nördlich von Leipzig Auge in Auge gegenüber. High Noon auf der Hauptstraße - oder eine symbolische Nachbarschaft?

Bei der Bundestagswahl 2017 landete die AfD in Sachsen nur ganz knapp vor der CDU. Im Sommer 2019 wird dort ein neuer Landtag gewählt. Sollte der Erfolg der Nationalisten im Osten anhalten, könnte von Dresden das nächste politische Beben ausgehen. Zum ersten Mal könnte in einem deutschen Bundesland keine Regierung gegen AfD und Linke möglich sein. Das liegt an der Schwäche von SPD, FDP und Grünen, aber vor allem auch daran, dass die AfD dort immer mehr zur Volkspartei wird.

Im Osten, und ganz besonders in Sachsen, heißt das auch, die Nähe zu denjenigen zu suchen, die den Schlachtruf der friedlichen Revolutionäre von 1989 gekapert haben. „Wir sind das Volk!" gehört fest zum Repertoire der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen, ebenso wie die Parolen „Widerstand", „Ausmisten" und „Abschieben".

In Sachsen ist die Zusammenarbeit von AfD und Pegida Realität

Am Wochenende soll der Konvent der AfD-Bundespartei, eine Art kleiner Parteitag, das Kooperationsverbot mit Pegida in Sachsen aufheben. Das wollen jedenfalls die prominentesten Rechtsausleger der Partei, André Poggenburg und Björn Höcke. In Sachsen ist die Zusammenarbeit der AfD mit dem Pegida-Führungspersonal ohnehin längst schon gelebte Realität, wie unlängst der Politische Aschermittwoch der Partei in der Sächsischen Schweiz zeigte. Pegida stellte die Ordner, hatte einen nicht allzu kleinen Teil der Eintrittskarten abgenommen. In der ersten Reihe saßen die Anführer Lutz Bachmann und Siegfried Daebritz. Am Ende sangen sie zusammen mit den vier Landesvorsitzenden Jörg Urban (Sachsen), Björn Höcke (Thüringen), André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) und Andreas Kalbitz (Brandenburg) das Deutschlandlied, dritte Strophe.

Es war die Veranstaltung, auf der das Publikum bei der Erwähnung des Namens Cem Özdemir „Abschieben" rief und Poggenburg Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft „heimat- und vaterlandsloses Gesindel, das wir hier nicht länger haben wollen" nannte.

André Barth hat den Abend organisiert. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion bewarb ihn als „Kracherveranstaltung" und sieht sich im Nachhinein bestätigt. „Erhebend" sei das gewesen, und die Zusammenarbeit mit seinem Bekannten Daebritz reibungslos verlaufen.

Petrys Abgang hat in Sachsen Lücken gerissen

Nun aber muss Barth in die Niederungen. Aus AfD-Sicht sind das heutzutage Orte wie Eilenburg. Denn das Bürgerbüro in symbolischer Lage an der Hauptstraße ist geschlossen und verrammelt, der AfD-Schriftzug entfernt. Es gehörte einmal Frauke Petry und Uwe Wurlitzer. Beide haben die Partei verlassen und sind nun in Petrys Konkurrenzveranstaltung „Blaue Wende" aktiv. Während auf Bundesebene kaum noch über die einstige Führungsfigur Petry gesprochen wird, hat der Abgang der Leipzigerin zu Hause in Sachsen einige Lücken gerissen. Gerade mal 30 Zuhörer sind da. Barth und Wilke haben mit größerem Zustrom gerechnet, doch obendrein trägt Red Bull im nahen Leipzig ein Heimspiel aus.

Es dauert, bis die Sprechstunde eine AfD-typische Betriebstemperatur erreicht. Barth und Wilke versuchen, den Nerv der Leute zu treffen. Sie sprechen von schnellerem Internet, von einer besseren Verkehrsanbindung. Ein Zuhörer meldet sich zu Wort: „Mit der S-Bahn sind wir eigentlich sehr gut an Leipzig angebunden. In 17 Minuten sind wir da." Viel lieber wolle er über Flüchtlinge sprechen, über den Islam. „Wie lange sind wir eigentlich noch Deutsche?", fragt eine Frau. „Man muss alle Moscheen schließen", fordert ein Mann. „Auf den Straßen Eilenburgs sieht es aus wie in Tausendundeiner Nacht", findet eine Frau, die sich als Verkäuferin vorstellt. Es klingt nicht so, als ob sie dem viel abgewinnen könnte.

„Die Flüchtlingskinder lernen in Nullkommanix Deutsch."

Barth und Wilke kommt das zugute, sie lenken mit populistischen Forderungen und Schuldzuweisungen in Richtung Angela Merkel geschickt von ihrer mangelnden Ortskenntnis in Nordsachsen ab. Die Wogen glätten sie nur, wenn Zuhörer allzu deutliche Anklänge an Verschwörungstheorien äußern. Und manchmal heizen sie an: „Die Flüchtlingskinder lernen in Nullkommanix Deutsch. Das können wir nicht wollen", sagt die AfD-Schulpolitikerin Wilke. „Denn keine muslimische Familie wird es erlauben, dass diese Kinder sich wirklich als Deutsche integrieren", meint sie.

Die AfD müsse vom Ruf der Ein-Themen-Partei wegkommen, hatte Barth vorher noch gesagt. Doch ihre Anhänger drängen sie genau dort immer wieder hin, und die Abgeordneten lassen sich willig ziehen. Dabei hatte Barth am Anfang der Sprechstunde mit Blick auf die Landtagswahl noch gesagt: „Wir müssen zeigen, dass wir mit unseren Möglichkeiten und unserem Personal auch Ministerien in Sachsen leiten können." So einfach wie im Herbst 2017 werde es nicht noch einmal: „Dass wir bei der Bundestagswahl stärkste Partei geworden sind, heißt nicht, dass wir die Landtagswahl 2019 gewinnen werden", sagt er den Eilenburgern. Bemerkenswerte Sätze einer Partei, die sonst vor Kraft kaum laufen kann und schon im ganzen Osten von „blauen Ministerpräsidenten" redet.

Die CDU auf Anschlusssuche ganz rechts?

Wahrscheinlicher ist, dass der neue CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer die Wahl gewinnt - und dennoch vor einem Dilemma steht, heißt es landauf, landab in der sächsischen AfD. Denn SPD, Grüne und FDP könnten so schwach werden, dass Kretschmer für eine Mehrheit mit der Linken oder der AfD reden muss. Und trotz aller öffentlichen Bekenntnisse, niemals mit der AfD zusammenzuarbeiten, trotz der aktuellen Unvereinbarkeitserklärung der CDU-Bundestagsfraktion, könnten Sachsens Christdemokraten den Anschluss ganz rechts suchen.

Es gibt deutliche Anzeichen für diese Vermutung. Da sind zum Beispiel die CDU-Leute, die im Landtag das verschwörungstheoretische Magazin „Compact" lesen. Oder die Vorgänge in Freiberg.

In der Universitätsstadt im Erzgebirge hatte sich der CDU-Stadtverband nach der Klatsche bei der Bundestagswahl weit vorgewagt. In den sogenannten Freiberger Thesen forderte er etwa den Rücktritt Angela Merkels und einen Aufnahmestopp von Asylbewerbern.

Ein CDU-Mann sieht den „Geist von 89" bei der AfD

Auf Bundesebene habe es keine Reaktionen auf die Thesen gegeben, klagt Freibergs Baubürgermeister Holger Reuter. Dabei wollte der 61-Jährige mit seinen Forderungen eine Debatte innerhalb der CDU anstoßen. „Ich habe das Gefühl, dass nur noch Merkel die Richtung der CDU vorgibt", sagt er. Eine Partei müsse aber verschiedene Meinungen aushalten. „Derzeit bekommen Andersdenkende in der CDU aber nur Stempel wie ‚ausländerfeindlich' oder ‚rechtsextrem' verpasst", moniert Reuter. Dass gerade aus Freiberg so deutliche Signale an Freistaat und Bund gesendet werden, erklärt der Kommunalpolitiker mit dem „Geist von 1989": Die Sachsen seien es gewohnt, politische Veränderungen zu schaffen. Und ja, diesen Geist erkenne er durchaus auch bei der AfD.

Folgerichtig kann sich Reuter eine Koalition der CDU mit der AfD vorstellen, „wenn die AfD sich weiterentwickelt und Politikangebote macht, die dem Volk und dem Land nutzen". Die Annäherung wird auch in anderen politischen Lagern aufmerksam registriert: „Ich beobachte bei den sächsischen CDU-Landtagsabgeordneten Kumpelhaftigkeit gegenüber den AfD-Leuten", sagt Linken-Chefin Katja Kipping dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Dresdnerin ist beunruhigt. „Ich warne davor, dass in Sachsen eine AfD-CDU-Regierung als Blaupause für den Bund ausprobiert wird."

Gauland stellt Pegida Bedingungen

Ausgerechnet Pegida aber bleibt ein Unsicherheitsfaktor bei den Blütenträumen der Sachsen-AfD. Es ist gut möglich, dass der AfD-Bundeskonvent am Wochenende die Frage nach einem Ende des Kooperationsverbots doch wieder vertagt. Zu umstritten ist die Kooperation auch innerhalb der Partei. Die Umarmungsstrategie ist bereits gescheitert. Eine zentrale Bedingung der Partei will die fremdenfeindliche Bewegung nicht akzeptieren: Der vielfach vorbestrafte Gründer Lutz Bachmann lässt sich nicht in die zweite Reihe schieben, wie von Parteichef Alexander Gauland gefordert. „Ich will unsere bürgerlichen Wähler nicht verlieren. Deswegen wäre es klug von Pegida, wenn Herr Bachmann aus dem Schaufenster der Bewegung verschwindet." Die Reaktion von Bachmann und seinem Vize Daebritz: „Ihr kriegt uns nur im Doppelpack." Und so wächst in der Sachsen-AfD nun wieder die Angst, dass Pegida der AfD mit eigenen Kandidaten entscheidende Prozente wegnimmt.

Bachmann und Daebritz erschließen sich unterdessen neue Geschäftsfelder - im Gleichschritt mit der AfD. Im brandenburgischen Cottbus trat am Wochenende neben den Pegida-Frontleuten auch Hansjörg Müller bei einer flüchtlingsfeindlichen Demonstration auf. Der Bayer ist einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion. „Wir müssen es wieder so machen wie 1989", rief er. Im Gespräch mit dem RND ergänzt Müller: „Von den Ostdeutschen lernen heißt siegen lernen. Es wird nur noch eine kurze Zeit dauern, bis auch die Westdeutschen auf die Straße gehen." Zwar stagniert Pegida in Dresden seit Langem, zwar gehen in Kandel oder Hamburg nur wenige Hundert auf die Straße. Unbeirrt spricht Müller von drei Säulen der Bewegung: „Die AfD in den Parlamenten, die Durchdringung der Öffentlichkeit über eigene Medien, und die Zusammenarbeit mit den Bürgerbewegungen auf der Straße. Wir dürfen keines dieser Instrumente aus der Hand geben."

Von Thoralf Cleven, Theresa Held und Jan Sternberg


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