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Öffentlicher Raum: Warum unsere Stadtplanung diskriminierend ist

Das Öffentliche, die Stadt, galt lange Zeit als männlich, das Private, das Zuhause, dagegen als weiblich - Frauen sollten an den Herd, Männer zur Lohnarbeit. Zwar hat sich an dieser Vorstellung viel geändert, aber auch heute übernehmen Frauen statistisch gesehen häufiger die Erziehung von Kindern und die Pflege anderer Angehöriger, gleichzeitig kümmern sie sich oftmals um den Haushalt. Daraus ergeben sich komplexere Wegketten als bei Männern - genau die besitzen aber im Schnitt häufiger ein Auto. Laut Kraftfahrbundesamt sind 62 Prozent der Autos auf Männer zugelassen, nur 38 Prozent auf Frauen. Laut der Studie Mobilität in Deutschland fahren Männer zudem im Schnitt doppelt so viel Auto am Tag, nämlich 29 Kilometer, Frauen hingegen nur 14 Kilometer.


Auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens haben Frauen andere Bedürfnisse an eine Stadt. Dass etwa vor Frauenklos immer längere Schlangen entstehen, liegt unter anderem daran, dass es schlichtweg viel mehr Klos für Männer gibt. Pissoirs benötigen weniger Platz als Kabinen, weshalb Männer bei gleicher Fläche häufig mehr Möglichkeiten zum Urinieren haben. Frauen warten deshalb im Schnitt sechs Minuten vor einer Toilette, Männer dagegen nur elf Sekunden.


Doch wie können Städte inklusiver gestaltet werden? „Stadtplanerinnen und Stadtplanern ist häufig gar nicht bewusst, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse in einer Stadt haben", sagt Nina Schuster. Sie lehrt und forscht an der Fakultät für Raumplanung an der Technischen Universität Dortmund. Ihre Forschungsschwerpunkte sind neben Stadt- und Raumsoziologie auch Gender und Queer Studies. „Das, was Stadtplanerinnen und Stadtplaner im Hinterkopf haben, ist ein heteronormatives Bild von Menschen und ihren Lebensverläufen", sagt sie. Viele gesellschaftliche Gruppen wie etwa Frauen oder Homosexuelle würden in der Planung schlichtweg ignoriert.


Die Forderung nach inklusiveren Städten ist nicht neu. Die in den siebziger Jahren entwickelte feministische Stadtforschung und -kritik bemängelt, dass sich Stadtraum in Erwerbsarbeit, Versorgungsinfrastruktur und Wohnen aufteilt. Eine „Stadt der kurzen Wege" wurde schon früh zu einer zentralen, feministischen Forderung. Dabei sollte es vor allem darum gehen, wohnungsnahe Arbeitsplätze, Infrastruktur, attraktive Wohnquartiere und gut erreichbare öffentliche Verkehrsmittel zu schaffen. Städte sollten Möglichkeiten der Emanzipation offenlassen und nicht bloß die zugeschriebene Rolle der Hausfrau zementieren.


Eine solche Stadt ist für jene Menschen essentiell, die mit Fahrrad, Rollstuhl, Kinderwagen oder einer pflegebedürftigen Person unterwegs sind - dabei handelt es sich zum großen Teil um Frauen. Sie brauchen kurze Wege. Dass Frauen oder gesellschaftliche Minderheiten öffentliche Orte anders nutzen, sie manchmal sogar meiden und sich deshalb selbst einschränken, liegt unter anderem auch am subjektiven Angstempfinden. Dunkle Unterführungen, Tiefgaragen oder Parkplätze werden deshalb häufig als sogenannte Angsträume empfunden. „Das lässt sich durch wenige Eingriffe vermeiden", sagt Barbara Willecke. Sie ist Landschaftsarchitektin mit eigenem Büro in Berlin und sitzt im Fachfrauenbeirat des Berliner Senats.


„Wir konnten das Sicherheitsempfinden vieler Menschen bei mehreren Projekten erhöhen", sagt Willecke. Es seien oft nur kleine Eingriffe, die große Unterschiede machten: „Die Orte sollten übersichtlich sein, gut beleuchtet und stark strukturiert." Zur Zeit beschäftigt sie der Leopoldplatz in Berlin. Dort wurden gemeinsam mit den Anwohnern mehr Elemente zum Verweilen verwirklicht, mehr Licht und ein Platz für Urban Gardening sowie ein Streetball-Feld geschaffen.


Eine Strategie für Geschlechtergerechtigkeit in der Stadtplanung

Gender Planning nennt sich die Strategie, die Geschlechtergerechtigkeit in der räumlichen Planung umsetzen soll. Das Instrument soll in der Entwicklungs- und Umsetzungsphase von Projekten dabei helfen zu prüfen, ob die unterschiedlichen Sichtweisen von Männern und Frauen berücksichtigt wurden und die künftige Nutzung gleichberechtigt ist. Ziel ist es, Orte zu schaffen, die barrierefrei sind, gut erschlossen, vernetzt und bedarfsgerecht interpretier- und nutzbar sind - Orte für alle Menschen, nicht nur für Männer mit Auto.


Ein Beispiel: Ältere Frauen sind diejenigen, die Friedhöfe zu einem großen Anteil besuchen und pflegen. In Wien wurden darum nun Friedhöfe besser beleuchtet und mit niedrigeren Wasserentnahmestellen, mehr Sitzgelegenheiten und befestigten Wegen ausgestattet. Für ältere Frauen waren die Wege vorher zu unsicher, die Hähne zu hoch.


Wie aber kann man Projekte von vornherein so planen, dass sie allen zugute kommen? „Während des Prozesses und vor der Umsetzung eines Projekts suchen wir vor Ort nach Stellvertreterinnen und Stellvertretern aus der Bevölkerung", sagt Barbara Willecke. Ihr Team sei in der Anfangsphase eines Projekts, also bevor überhaupt ein Entwurf angefertigt werde, vor Ort, spreche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern - und suche dabei nach Menschen jeden Alters, Geschlechts und jeder Herkunft: „Wir sehen die Bewohner als Expertinnen und Experten ihres Alltags und lassen sie mitgestalten."


Die Menschen, die die Orte dann anschließend nutzten, wüssten am besten, was sie vom Park oder Spielplatz in der Nachbarschaft bräuchten. Dieser Prozess dauere dann, je nach Projekt und Budget, einige Monate. Willecke ist sich aber sicher, dass Geld so präziser eingesetzt werden könnte - und man am Ende durch die Vermeidung langwieriger Diskussionen oder Bürgerinitiativen sogar Geld spare.

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