Italien: "Ich bin Sozialarbeiter, nicht Anarchist"
"Meine Freunde und ich machen, was die Stadt nicht kann: Wir öffnen Häuser für Flüchtlinge. In Turin leben viele Menschen aus Somalia und aus dem Sudan, die in Libyen gearbeitet haben und wegen des Bürgerkriegs flüchten mussten. Die italienische Regierung ließ sie irgendwann allein, ohne Geld, ohne Aufenthaltsstatus und ohne Dach über dem Kopf.
Wir haben deshalb zwei Häuser im ehemaligen olympischen Dorf besetzt, die nicht mehr genutzt werden. Wenn man in Italien etwas erreichen will, muss man Druck machen. Oder man nimmt sich einfach, was man braucht.
Häuser zu besetzen ist bei uns leichter als in Deutschland. In öffentlichen Gebäuden werden Besetzer meist geduldet. Bei unserer Besetzung schauten ein paar Polizisten vorbei - und gingen wieder. Die Polizei räumt nur, wenn sie in der Überzahl ist oder die Stadt das Gebäude braucht.
Das liegt vielleicht auch daran, dass in den Medien und an den Unis viel über die Situation der Flüchtlinge geredet wird. Es ist eine Bewegung entstanden, die diesen Menschen helfen will. Nachdem wir Wohnungen für die Flüchtlinge hatten, blockierten wir das Meldeamt in Turin - bis die Regierung bereit war, mit uns zusammenzuarbeiten. Jeden Tag brachten wir neue Flüchtlinge ins Amt, damit sie Papiere bekommen und arbeiten können.
Weil die Flüchtlinge im Olympiadorf illegal wohnen, haben die Verwaltungsbeamten ihnen eine falsche Meldeadresse in die Ausweise geschrieben: casa communale, also Gemeindehaus. Ich sehe mich als Sozialarbeiter, nicht als Anarchist - ich will helfen.
Trotzdem finde ich es beängstigend, dass die Polizei meinen Namen kennt. Vor der Aktion für die Flüchtlinge habe ich noch nie ein Haus besetzt. Damals, im März 2013, war es richtig kalt und wir waren in einem Haus ohne Licht und ohne Heizung. Erfahrene Hausbesetzer haben uns Tee vorbeigebracht. Wir waren ja kaum vorbereitet."
"In Spanien haben viele Menschen durch die Finanzkrise ihre Häuser verloren. Sie waren ohne Jobs, konnten Kredite nicht mehr zurückzahlen, wurden von den Banken aus ihren Wohnungen geworfen – und haben trotzdem noch Schulden. Manche Leute haben sich sogar umgebracht, weil sie diesen Druck nicht mehr ausgehalten haben.
Ich arbeite im sogenannten Besetzungsbüro eines autonomen Zentrums. Wir helfen Leuten, deren Wohnungen zwangsgeräumt wurden: Wir zeigen ihnen, wie man Häuser besetzt. Die Türen müssen sie selbst öffnen, das ist ja illegal. Wir liefern nur das Handwerkszeug.
Vielen ist es peinlich, zu uns zu kommen, aber sie sehen es als einzige Lösung. Ich helfe, weil mir das Schicksal der Leute nahegeht. Jeder sollte das Recht auf Wohnen haben.Unser Zentrum ist übrigens auch besetzt. Es liegt im ehemaligen Verwaltungsgebäude eines Gefängnisses, in dem bis zum Ende der Franco-Diktatur Anfang der 1980er Jahre viele Militärverweigerer und andere politische Gefangene eingesperrt waren. Dort sind wir seit vier Jahren.
Anfangs hat uns die Polizei unsere Stromkabel zerschnitten. Jetzt zapfen wir Strom von der Hauptleitung der Straße ab. Die Polizei kann das Kabel nicht kappen, sonst wäre das ganze Viertel ohne Strom."
Hamburg:" Die Mietpreise rechtfertigen das Besetzen von Häusern"
"Manche Studenten in Hamburg müssen in Turnhallen übernachten – die Wohnungsnot betrifft hier immer mehr Leute. Ich selbst wohne mit zwei Mitbewohnern auf 45 Quadratmetern, so möchte ich nicht leben.
Mich ärgert, dass die Stadtentwicklungspolitik sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Allein die Mietpreise rechtfertigen das Besetzen von Häusern.Im Hamburger Münzviertel spielen die Kinder zwischen den Autos, während dahinter der Park einer ehemaligen Schule brachliegt – und abgesperrt ist.
Als die Schule im Juli besetzt wurde, hatten die Nachbarn Verständnis dafür. Sie wollten die Schule auch zwischennutzen. Trotzdem wurde das Gebäude noch am selben Tag von der Polizei geräumt.
Manchmal ist das auch anders, zum Beispiel im Gängeviertel. Dort hat
eine Künstlerinitiative verfallende Häuser besetzt. Da die Stadt Hamburg
als 'creative city'
gelten möchte, wurde das Künstlerviertel von den Behörden inzwischen legalisiert.
Unter Hausbesetzern wurde das kontrovers diskutiert. Denn es ist ja
auch ein wichtiges politisches Statement, gerade nicht mit den Behörden
zusammenzuarbeiten – und Hausfriedensbruch zu begehen gegen Gentrifizierung, Altersarmut oder Flüchtlingspolitik."
Rumänien: "Zwangsräumungen finden auch im Winter statt"
"In Rumänien werden immer wieder Menschen aus ihren Häusern vertrieben, weil dort ein Bürokomplex gebaut werden soll oder eine Autobahn. Solche Zwangsräumungen finden auch im Winter statt, obwohl das gesetzlich verboten ist. Wer nirgends unterkommt, sitzt dann auf der Straße.
Vergangenes Jahr gab es Proteste gegen die Errichtung einer Goldmine. Überall waren Leute auf der Straße. Da habe ich autonome Aktivisten aus meiner Stadt kennengelernt, bei denen ich nun mitmache. Ich plane, ein Haus zu besetzen, um selbst darin zu wohnen. Aber ich weiß nicht, wie die Polizei reagieren wird, wahrscheinlich sehr gewalttätig.
Das Gesetz ist bei Hausfriedensbruch streng. Wir wollten mal einen alten Bahnhof besetzen. Dann haben wir erfahren, dass das als terroristischer Akt gelten kann. Aber wenn Menschen ohne Wohnung sind und Häuser leer stehen, ergibt es einfach keinen Sinn, sie nicht zu besetzen."
* Die Protagonisten möchten ihren vollständigen Namen nicht nennen.
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