Kolumne : Die Düsseldorfer Dandy-Literaten und der vergessene Künstlertreff
Von 1909 bis 1911 feierten Kreative wie Hermann Harry Schmitz, Hanns Heinz Ewers, Herbert Eulenberg und Ilna Wunderwald im Altstadtlokal Zum Rosenkränzchen die Literatur, die Kunst und das Leben. Eine Würdigung.
„Gut, dass jetzt Winter ist, das passt", sagt mein bester Freund P., als wir gegen Mittag die Ratinger Straße entlang spazieren. Vorbei am Einhorn, vorbei an der Uel, vorbei an der Kreuzherrenecke. Hier, auf Höhe der Liefergasse, endet die Kneipenzone, und in Richtung Rhein trägt die Altstadtstraße einen Namen, der gar nicht so vielen Düsseldorfern geläufig ist: Altestadt. Also: Ich hätte das jedenfalls nicht auf Anhieb gewusst, anders als mein bester Freund P. - aber der hat sich ja auch vorbereitet. Heute hat er es nicht - wie so oft - auf die popmusikalische Vergangenheit der Stadt abgesehen, sondern auf die literarische. „Eine Art Ratinger Hof der Schriftsteller?", frage ich.
Zu den Literaten
Der Stammtisch Im Haus Altestadt Nr. 1 (Abriss 1933) befand sich bis das Bier- und Weinlokal Zum Rosenkränzchen, in dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts viele Intellektuelle und Künstler aus dem Malkasten-Umfeld verkehrten. Manchmal gaben sich auch berühmte literarische Gäste von Außerhalb die Ehre, etwa Gerhard Hauptmann oder Detlev von Liliencron. In den Wintermonaten der Jahre 1909 bis 1911 reservierte der Köbes einer Gruppe von Düsseldorfer Schriftstellern und Künstlern an den Samstagabenden ein „Hinterstübchen". Zum Kreis der „Rosenkränzer" gehörten: der Schriftsteller Hanns Heinz Ewers (1871-1943) sowie seine Frau, die Künstlerin Ilna Ewers-Wunderwald (1875-1957), der Dramaturg Herbert Eulenberg (1876-1949) und seine Frau, die Übersetzerin Hedda Eulenberg (geb. Maase, 1876-1960), die Schriftsteller Hermann Harry Schmitz (1880-1913), Kurt Kamlah (1866-1928) und Otto Boyer (1874-1912), die Künstler Erich Nikutowski (1872-1921), Andreas Dirks (1865-1922), Max Clarenbach (1880-1952) und August Deusser (1870-1942), der Kunsthistoriker Richard Klaphek (1883-1939), der Komponist Gustav Krumbiegel (gest. 1914), der Rechtsanwalt Friedrich Maase (ein Bruder von Hedda Eulenberg, 1878-1959). Auch Victor M. Mai, Feuilletonchef der Düsseldorfer Nachrichten gehörte zum erweiterten Kreis. Rückblickend schrieb er 1925: „Und jeder Abend hatte sein Ereignis, und manches Gedicht und manche Skizze oder Novelle wurde aus dieser befruchtenden Stimmung zur künstlerischen Improvisation." Fast wäre es sogar zu einer eigenen Buchpublikationen des Autorenkreises gekommen: So schrieb Hanns Heinz Ewers im Frühjahr 1910 an den angesehenen Münchener Verleger Georg Müller einen Brief, in dem er von den „Rosenkränzern" und der Idee einer gemeinsamen Textsammlung erzählte, und Müller schien in seiner Antwort nicht abgeneigt. Letztlich scheiterte das Projekt daran, dass sich die Gruppe der Rosenkränzer bereits 1911 wieder auflöste.
Die Grabstätten Das Grab von Herrmann Harry Schmitz auf dem Nordfriedhof wurde eingeebnet. Die Grabstätte von Hanns Heinz Ewers, ebenfalls auf dem Nordfriedhof, besteht noch (Feld 78, 55235-WE). Herbert Eulenberg ist im Garten des Haus Freiheit in Kaiserswerth begraben.
Linktipp Ein lesenswerter Text von Jasmin Grande über den Literatenstammtisch findet sich auf den Internetseiten des „Portal Rheinische Geschichte": rheinische-geschichte.lvr.de.
Buchtipp I In „Der Dandy vom Rhein" (2005, Droste) beleuchtet Michael Matzigkeit das Leben von Hermann Harry Schmitz, mit vielen Brief- und Bilddokumenten und einem angehängten Hörbuch mit ausgewählten Geschichten. Unter anderem enthalten: ein Kapitel zum „Literaturstammtisch im Rosenkränzchen".
Buchtipp II Außerdem gibt es in der Reihe „Nylands Kleine Rheinische Bibliothek" (Edition Virgines) ein „Hanns Heinz Ewers Lesebuch" (Hg. und Nachwort Wilfried Kugel, 2013) sowie ein „Herbert Eulenberg Lesebuch" (Hg. und Nachwort Martin Willems, 2012).
Buchtipp III Von Sven Brömsel ist 2019 erschienen: „Alraune des Jugendstils - Illna Ewers-Wunderwald", eine Biografie mit historischen Fotos und Ilustrationen.
Als die Lambertuskirche und der Fischerjungen-Brunnen in Sicht kommen, hält P. inne. Er zeigt auf das Eckhaus am Stiftsplatz. Kein Altbau, vielmehr ein eher modernes Gebäude mit viel Glas, in dem ein Brautmodengeschäft residiert. „Wie jetzt, warum Winter?", frage ich, bevor er etwas sagen kann.
„Na, weil die sich da eben nur im Winter getroffen haben." Und dann erklärt er, worum es geht: Bis zum Abriss 1933 stand an der Altstadt-Adresse Altestadt Nr. 1 - logisch - eines der ältesten Häuser der Stadt, mit einer besonderen, heute weitgehend vergessenen Geschichte. So residierten im zweiten Stock Mitte des 19. Jahrhunderts die Brüder Andreas und Oswald Achenbach, die zu den bedeutenden deutschen Landschaftsmalern gehörten und scherzhaft das „A und O der Landschaft" genannt wurden. Das ist allerdings nur die Vorgeschichte, denn diejenigen, um die es meinem besten Freund P. eigentlich geht, waren zu dieser Zeit noch gar nicht geboren: „Später gab es in dem Haus ein Lokal, das nach der Gründung des Malkastens zum Künstlertreff wurde", erzählt P. Und dann zeigt er mir auf dem iPhone ein historisches Foto: ein imposantes Eckgebäude, mit Holzfensterläden an den Erdgeschossfenstern - und mit der Aufschrift: „Wein- u. Bierhaus Rosenkränzchen". Von 1909 bis 1911 trafen sich hier in einem Hinterzimmer die „Rosenkränzer", und zwar immer samstagabends.
Die „Rosenkränzer" - ich fasse das zusammen, weil ich hier unmöglich P.s kompletten „Vortrag" wiedergeben kann - waren ein Kreis von Düsseldorfer Schriftstellern und Künstlern. Sie tranken Bier und Wein, sie diskutierten über Politik und Gesellschaft, sie waren anders als die anderen. Womöglich waren sie sogar im positiven Sinne verrückt, in jedem Fall lasen sie sich gegenseitig Texte vor und tauschten neue Ideen aus.
„Und warum nur im Winter?", frage ich.
„Na, im Sommer und im Herbst und im Frühling konnten sie sich vermutlich nicht treffen, weil immer einer von ihnen zur Inspiration in Berlin oder sonstwo in der Welt auf Reisen war - oder Urlaub im FKK-Klub machte."
„Okay, das war jetzt übertrieben, aber ein bisschen stimmt es doch." P. grinst. „Erzähle ich dir später."
Mein bester Freund P. hat eine genaue Vorstellung davon, wie der Text zum Thema aussehen soll: „Du stellst die wichtigsten Rosenkränzer vor, aber zu jedem nur ein paar Sätze, weil: Mit langen Texten sind die Leute ja heutzutage schnell überfordert." Auch die „richtige Reihenfolge" hat P. schon geplant: „Der kontroverseste und international bekannteste kommt am Schluss!"
„Sag mal", sage ich. „Woher weißt du das eigentlich alles?"
„Habe ich gelesen", sagt P. „Im Netz und in Büchern." Und natürlich müsse ich zu meinem Kolumnentext auch einen Infokasten stellen, denn dass wir jetzt überhaupt etwas von diesem Literatenzirkel wüssten, hätten wir schließlich der „Vorarbeit" anderer zu verdanken (siehe Infobox).
Der Recherchefleiß meines sonst gar nicht so literaturinteressierten Freundes lässt mir keine Wahl. Beginnen wir also mit Hermann Harry Schmitz, dem in Düsseldorf präsentesten Mitglied der Runde. Nicht nur eine Straße, sogar eine Abendrealschule ist nach den Autor grotesker Erzählungen benannt - das Hermann-Harry-Schmitz-Weiterbildungskolleg, das sich auf seiner Webseite ausdrücklich auf den „Satiriker" und „Chaosberichterstatter" beruft. Mein bester Freund P. ist davon so begeistert, dass er vor Ort am liebsten seinen Realschulabschluss nachmachen würde, „nur so zum Spaß". Aber dann fällt ihm ein, dass er ja schon das Abitur geschafft hat - wenn auch „nur mit 3,4". Gar nicht begeistert ist P. davon, dass das Grab des Herrmann Harry Schmitz auf dem Nordfriedhof eingeebnet worden ist: „Wie kann so etwas passieren?!" Andererseits wundere ihn gar nichts in einer Stadt, die sich erst 1988 - nach ewigen Diskussionen - entschloss, die Universität nach einem ihrer berühmtesten Söhne zu benennen. Bei der Gelegenheit, so P., solle ich möglichst erwähnen, dass sich Hermann Harry Schmitz von Heinrich Harry Heine zu einem zusätzlichen „Künstlervornamen" inspirieren ließ.
Nächster in P.s Reihe ist Herbert Eulenberg, der gemeinsam mit seiner Frau Hedda - einer Literaturübersetzerin - an den Treffen im Weinlokal-Hinterzimmer teilnahm: Ein zum Dramaturg berufener Jurist, der durch Louise Dumont 1904 aus Berlin an das neu geschaffene Düsseldorfer Schauspielhaus kam. Eulenberg gehörte zu den meistgespielten deutschen Bühnendichtern. Er erhielt positive Kritiken von Größen wie Robert Musil oder Alfred Kerr, und in seinem „Haus Freiheit" in Kaiserswerth gingen in den 1920er Jahren Kultur-Promis wie Richard Strauss, Thomas Mann oder Heinz Rühmann ein und aus.
Wir stehen nun schon mehr als zwanzig Minuten vor dem Nachfolge-Gebäude des ehemaligen Künstlerlokals - und beginnen zu frieren. „Lass uns zum Rhein gehen", schlage ich vor, „das haben die damals sicher auch gemacht, vor oder nach ihren Treffen."